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Durchbruch - Credit Suisse eMagazine - Deutschland

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Foto: Image Source, Getty Images<br />

<strong>Durchbruch</strong> und Innovationen 07<br />

Entdeckungen werden dann gemacht, wenn die Zeit dafür reif ist. Darum hat so mancher<br />

originelle Einfall mehrere Väter. Ob jemand mit einer Idee oder einem Produkt<br />

den <strong>Durchbruch</strong> schafft, hängt aber nicht unbedingt davon ab, ob er als Erster darauf<br />

gekommen ist.<br />

Text: Mathias Plüss<br />

<strong>Deutschland</strong>, 1895. Ein Glasbläser fertigt drei identische Röhren,<br />

verpackt sie einzeln und verschickt sie an drei Physiker. Zwei Röhren<br />

gehen unterwegs zu Bruch – die dritte erhält Wilhelm Conrad Röntgen,<br />

der mit ihrer Hilfe seine berühmten Strahlen entdeckt. «Es ist<br />

also lediglich ein postalischer Zufall, dass es Röntgenstrahlen gibt<br />

und keine Hallwachsstrahlen», kommentierte Wilhelm Hallwachs, der<br />

eine der beiden zerbrochenen Röhren erhalten hatte. Ein Scherz?<br />

Gewiss. Aber er enthält einen wahren Kern. Röntgen experimentierte<br />

nicht als Einziger mit Glasröhren; mindestens drei Physiker hatten<br />

schon vor ihm die gleichen Strahlen erzeugt, aber hielten das, was<br />

sie sahen, nicht für etwas Neues, sondern für einen Dreckeffekt.<br />

Wie kommt es zu Durchbrüchen in Wissenschaft und Technik?<br />

Sind Entdeckungen Geniestreiche oder geschehen sie einfach, wenn<br />

die Zeit dafür reif ist ? Im Fall von Röntgen kann man sagen: Ja, es<br />

steckte experimentelles Geschick dahinter, auch Beobachtungsgabe<br />

und die Kunst, aus dem Beobachteten die richtigen Schlüsse zu<br />

ziehen. Wir dürfen aber auch, ohne seine Leistung zu schmälern,<br />

sagen: Die Röntgenstrahlen wären auch ohne Röntgen entdeckt<br />

worden. Vermutlich nicht einmal besonders viel später.<br />

Kollektiver Wissenschaftsbetrieb<br />

Wir stellen uns Wissenschaftler gerne als einsame Genies vor, die<br />

wie Schriftsteller quasi aus dem Nichts etwas Neues erschaffen.<br />

Doch der romantische Vergleich hinkt: Der Wissenschaftsbetrieb<br />

funktioniert kollektiv, die Forscher sind untereinander hochgradig<br />

vernetzt, und oft versammeln sich – das Beispiel Röntgen zeigt es –<br />

viele Akteure um eine einzige Entdeckung. In der Literatur hingegen<br />

kommt alles auf die Fantasie des Einzelnen an. Goethe hat diesen<br />

Unterschied klar erkannt, als er erklärte, warum sich Wissenschaftler<br />

oft so heftig um die Priorität einer Entdeckung streiten: In der<br />

Literatur, schrieb er, könne «ein einziger Gedanke das Fundament<br />

zu hundert Epigrammen hergeben, und es fragt sich bloss, welcher<br />

Poet denn nun diesen Gedanken auf die wirksamste und schönste<br />

Weise zu versinnlichen gewusst habe. Bei der Wissenschaft aber ist<br />

die Behandlung null, und alle Wirkung liegt im Aperçu.»<br />

Kann man sich «Die Verwandlung» ohne Kafka vorstellen? Sicher<br />

nicht. Kann man sich die Glühbirne ohne Edison vorstellen? Bestimmt.<br />

Mehr noch: Die ersten Glühlampen tauchten schon um 1820<br />

auf – 60 Jahre, bevor Edison sein berühmtes Patent erhielt. Edison<br />

hat die Glühbirne entscheidend verbessert und erfolgreich vermarktet,<br />

aber ihn als deren «Erfinder» zu bezeichnen, ist eigentlich falsch.<br />

Noch extremer ist der Fall beim Telefon, das mindestens fünfmal<br />

«erfunden» worden ist. Alexander Graham Bell, der heute meist als<br />

Erfinder genannt wird, kam am 14. Februar 1876 mit seinem Patentantrag<br />

dem amerikanischen Handwerker Elisha Gray um gerade mal<br />

zwei Stunden zuvor.<br />

Etwas liegt in der Luft<br />

Es gibt mehrere hundert Beispiele von «gleichzeitigen» Erfindungen.<br />

Sie sind ein Beweis dafür, dass Durchbrüche eben oft nicht das<br />

Resultat individueller Geniestreiche sind, sondern vielmehr dann<br />

geschehen, wenn sie in der Luft liegen: Wenn nämlich die Rahmenbedingungen<br />

stimmen, die nötigen Vorarbeiten gemacht sind und<br />

Bedarf danach besteht. «Es ist offenkundig, dass die gleiche Entdeckung<br />

oft gleichzeitig und ziemlich unabhängig von verschiedenen<br />

Personen gemacht wird», schrieb der britische Statistiker und Psychologe<br />

Francis Galton. «Es scheint, dass Entdeckungen gewöhnlich<br />

dann gemacht werden, wenn die Zeit reif für sie ist – das heisst,<br />

wenn die Ideen, aus denen sie hervorgehen, in den Köpfen vieler<br />

Menschen gären.»<br />

Stellt sich die Frage, ob sich das Phänomen der gleichzeitigen<br />

Entdeckung womöglich auf kleine Durchbrüche beschränkt? Erstaunlicherweise<br />

nicht. Gerade bei den grossartigsten Theorien von<br />

Physik, Biologie und Mathematik gibt es Vorgänge von verblüffender<br />

Parallelität.<br />

beit<br />

von Albert Einstein aus dem Jahr 1905. Doch der französische<br />

Mathematiker Henri Poincaré war auch sehr nahe dran – er hatte<br />

schon die richtigen Gleichungen gefunden und bereits 1904 das<br />

Relativitätsprinzip formuliert. Bis heute wird Einstein deswegen ><br />

<strong>Credit</strong> <strong>Suisse</strong> Bulletin 1/09

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