GL 1/2011 - der Lorber-Gesellschaft ev
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<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong> Gotteserfahrung<br />
21<br />
Gotteserfahrung<br />
Inge und Siegfried Starck<br />
Für Friedrich Hebbel, den deutschen Dichter (�1863) „ist die<br />
Gemeinschaft Gottes mit den Menschen eine Wirklichkeit, die sich nicht<br />
beweisen, aber erfahren lässt.“<br />
Und Friedrich Nietzsche kommt uns mit <strong>der</strong> gerade von ihm nicht<br />
unbedingt erwarteten Äußerung: „Eigentlicher Zweck alles Philsophierens:<br />
die intuitio mystica.“<br />
Seit jeher gab es Menschen, denen traditionelle Glaubensformen und<br />
eingepauktes religiöses Wissen nicht genügten. Sie suchten nach „mehr“,<br />
nach „darüber Hinausgehendem“ und fanden es in einer persönlichen<br />
Gotteserfahrung. Man nennt sie Mystiker. Der Begriff „Mystik“ wird<br />
abgeleitet von griech. „myein“ = „Augen o<strong>der</strong> Lippen schließen“ (vor den<br />
Toren <strong>der</strong> Sinne und <strong>der</strong> Logik des Verstandes). Dadurch wird das normale<br />
Alltagsbewusstsein und die verstandesmäßige Erkenntnis transzendiert.<br />
Die Seele „erhebt“ sich und gelangt in einen „höheren“ Bewusstseinszustand,<br />
wo sie die „nie<strong>der</strong>en“ Dinge <strong>der</strong> Sinnen- und Verstandeswelt<br />
hinter sich gelassen, ihr inneres Auge auf die göttliche Welt richtend,<br />
Impulse von dieser erhält, und - was freilich immer ein Akt <strong>der</strong> Gnade ist -<br />
in Kontakt mit ihr treten und damit in eine unmittelbare Erfahrung mit dem<br />
Göttlichen geraten kann. Je nach Veranlagung mag sich diese<br />
„Begegnung“ in den verschiedensten Formen ausprägen: von <strong>der</strong> Ekstase<br />
(Stigmatisation, El<strong>ev</strong>ation, L<strong>ev</strong>itation und <strong>der</strong>gl.) bis hin zur<br />
kontemplativen o<strong>der</strong> auch spekulativen Art; wobei die Übergänge fließend<br />
sein können.<br />
Die Mystik ist in allen Religionen beheimatet: Im Alten Ägypten und<br />
im Alten Griechenland waren es die Mysterienkulte, in <strong>der</strong> Spätantike <strong>der</strong><br />
Neuplatonismus, im Judentum die Kabbala und <strong>der</strong> Chassidismus, im<br />
Islam <strong>der</strong> Sufismus, in Indien <strong>der</strong> Vedanta und in China <strong>der</strong> Taoismus. Im<br />
Christentum tritt die Mystik auf u.a. als Herz-Jesu-Mystik, als Braut- und<br />
Frauen-Mystik (z.B. Bernhard von Clairvaux, �1153; Mechthild von<br />
Magdeburg, �1282/97; Gertrud die Große, �1301 etc.), aber auch als<br />
philosophisch-spekulative Mystik des „mystischen Dreigestirns“ Meister<br />
Eckhart, �1328; Johannes Tauler, �1361 und Heinrich Seuse, �1366.<br />
In einer Zeit, in <strong>der</strong> die Menschen mehr nach religiösen Erfahrungen<br />
suchen als nach (dogmatischen) Glaubenssätzen, ist das wesentliche<br />
Moment mo<strong>der</strong>ner Religiosität nicht das einfach für wahr gehaltene Was<br />
des Glaubens, son<strong>der</strong>n das vielfältig selbst erfahrene Wie. Im Osten <strong>der</strong><br />
Welt führt <strong>der</strong> mystische Weg dahin, dass das Individuum aufgeht im All-