Jennyfer Großauer-Zöbinger - bei LiTheS
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<strong>Jennyfer</strong> <strong>Großauer</strong>-<strong>Zöbinger</strong>: Das Leopoldstädter Theater (1781–1806)<br />
geschriebenen wie gesprochenen Witz hinlänglich werden und „d’gnädigen Herrn<br />
und Fraun lachen […], bevor“ der Kasperl „’s Maul aufmacht“ 62 .<br />
Abgesehen davon lassen sich die Berichte über La Roches komische Darbietungen<br />
und den enormen Zulauf 63 angesichts der komikarmen Textbücher noch damit erklären,<br />
dass der Schauspieler, wie bereits zuvor angesprochen, von der zensierten<br />
Textgrundlage zuweilen abwich, sozusagen ein Schlupfloch 64 fand, die Behörde zu<br />
umgehen (den einen oder anderen Bezug auf das aktuelle Tagesgeschehen 65 einbrachte,<br />
oder ernsthafte Szenen sarkastisch interpretierte bzw. parodierte, wogegen<br />
die Zensur der Texte nichts ausrichten konnte).<br />
Es darf darüber spekuliert werden, ob die Zensur direkt für den Verlust der Komik<br />
in den schriftlichen Spieltexten verantwortlich ist, oder ob die untersuchten Dramen<br />
einfach als Lesedramen nicht taugten und erst während der Umsetzung auf der<br />
Bühne an Witz gewannen. Fest steht, dass der heutigen Forschung nur diese durch<br />
die Zensur verzerrten „Schriften“ zur Verfügung stehen, um das Spiel und Komik<br />
La Roches zu fassen. Hingegen wird La Roches Darbietungskunst, der Zeitzeugen<br />
Komik im höchsten Maße zusprechen, in der von der Textgrundlage gelösten Form<br />
wohl nie mehr vollständig rekonstruiert werden können.<br />
Kasperls Sozialisierung<br />
Ganz in der Tradition des Wiener Spaßtheaters setzte auch das Leopoldstädter Theater<br />
<strong>bei</strong> der Unterhaltung des Publikums auf einen lustigen Zentraltypus – den<br />
Kasperl. Eine Folgeerscheinungen der Zensur ist die erzwungene Sozialisierung dieses<br />
Typus durch die Abtrennung der verpönten Charakterattribute der Hanswurst-<br />
Figur und die daraus resultierende Entwicklung eines zahmen, wenig anstößigen<br />
Volkstypus, dem die Unkeuschheit, die derbe Sprache, die Ferkeleien, die Kopulationsobsessionen<br />
und der obszöne Witz der Sexual- und Fäkalkomik abhanden<br />
gekommen sind. Damit wurde die Kasperl-Figur den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen<br />
gemäß auf eine Schattenexistenz des Hanswurst – von dem nur mehr die<br />
Ess-, Sauf- und Prügellust in abgeschwächter Form, nicht aber mehr Häme, Arglist<br />
62 Eugen von Pannel: Josef Richter. Die Eipeldauer Briefe 1785–1797. In Auswahl herausge- herausgegeben,<br />
eingeleitet und mit Anmerkungen versehen. Bd. 1. München: Müller 1917, S. 49.<br />
63 „Johann Laroche (der ,Magnet‘ der Truppe […])“. Schlögl, Vom Wiener Volkstheater,<br />
S. 35.<br />
64 In der Wiener Theater-Zeitung vom 3. Oktober 1807 findet sich eine Anspielung auf die Art<br />
und Weise, wie La Roche improvisierte, ohne die Zensur zu verstimmen: „[…] und wenn<br />
er gleich manchmal einen witzigen Gedanken zu sagen hatte, so benahm er sich immer so,<br />
als wenn er ihm entschlüpft sey, wie durch einen Zufall, wie auch manchmal eine blinde<br />
Henne ein Weitzenkörnchen findet; es lag in seinem ganzen Spiel mehr Kunst als in irgend<br />
seinen Nachfolger zusammen lag.“ Theater-Zeitung, Wien, Nr. 14 vom 3. Oktober 1807,<br />
S. 30.<br />
65 Vgl. Glossy, Zur Geschichte der Wiener Theaterzensur, S. 292.<br />
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