Jennyfer Großauer-Zöbinger - bei LiTheS
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<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html<br />
blickswerk zum Spaßtheater im 18. Jahrhundert für die Entwicklung der Lustigen<br />
Figur und im speziellen der Kasperl-Figur auftut:<br />
„Zensur und Geschmack […] drängten die Lustigen Figuren in die Rollen<br />
ehrlicher, kindlich froher Domestikengestalten und paralysierten ihre groteske<br />
Leiblichkeitskomik ganz entscheidend. Im Vergleich mit Stranitzkys Hanswurst<br />
und Kurz’ Bernadon entdämonisiert, entzaubert und verharmlost, spielte<br />
der Kasperl zuletzt nur noch Nebenrollen.“ 73<br />
Zur „Versittlichung“ 74 des Kasperls passt auch, dass die Figur v. a. in den Produktionen<br />
von Ferdinand Eberl und Karl Friedrich Hensler nicht mehr ausschließlich, wie<br />
noch sein Ahnherr Hanswurst, an die losgelöste Dienerrolle ohne sozialen Hintergrund<br />
gebunden ist. Als Träger bürgerlicher Moral und häuslicher Tugenden erfährt<br />
der Kasperl eine Verankerung in den unterschiedlichsten Berufsständen, womit die<br />
Lustige Figur in das in den Stücken gespiegelte gesellschaftliche Leben eingebunden<br />
wird (sie hat Familie, eine berufliche und private Existenz etc.). Die Dienerfigur aus<br />
ihrer isolierten Funktion zu holen und mit bürgerlichen Pflichten zu belegen, muss<br />
ebenso Begleiterscheinung der Zensur sein, die keinen Lustigmacher dulden wollte,<br />
der keiner Moral verpflichtet ist, ausschweifende Liebschaften beginnt, ständig hinter<br />
jedem Rock her ist, keine Rechenschaft für dieses Verhalten ablegen muss und<br />
dem Publikum ein für die Vorbildwirkung fatales, lasterhaftes Leben präsentiert.<br />
Somit wundert es nicht, dass in den ausgewählten Texten der Kasperl, wenn er noch<br />
Diener ist, zumeist eine naive Verliebtheit an den Tag legt, die nie körperlich wird.<br />
Oder er mimt einen Bürger mit Beruf, lebt folglich mit seiner Partnerin (das lustige<br />
weibliche Gegenüber in der Tradition der Colombine) durch das Sakrament der<br />
Ehe 75 verbunden, in gesitteten Verhältnissen zusammen. Mit der Zuordnung des Familienstandes,<br />
der Reduktion der Lustigen Figur auf Ehemann und naiven Liebhaber<br />
werden die Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt. Der Verlust verschiedener<br />
althergebrachter Facetten der Komik ist logische Begleiterscheinung dieses Zurechtstutzens,<br />
als dessen Folge die Kasperl-Figur ausgesprochen lieblich, aber nicht im<br />
Entferntesten umtriebig erscheint.<br />
Wie heterogen das literarisch-theatrale Feld in den 1780er Jahren infolge der Geschmacksdebatten,<br />
die seit den 1750er Jahren andauerten und Publikum wie Pro-<br />
73 Müller-Kampel, Hanswurst, Bernardon, Kasperl, S. 187.<br />
74 Ebenda, S. 187.<br />
75 Verheiratet ist der Kasperl in Kasperl’ der Mandolettikrämer, oder: Jedes bleib bey seiner Portion,<br />
Der Tode und seine Hausfreunde, Die Limonadehütte, Alles weis, nichts schwarz, oder<br />
der Trauerschmaus, Der Schornsteinfeger, Männerschwäche und ihre Folgen; oder Die Krida,<br />
Der Großvater, oder Die 50 jährige Hochzeitfeyer, Die Marionettenbude, oder der Jahrmarkt<br />
zu Grünwald, Kasper Grünzinger, Der Glückshafen, Der eifersüchtige Schuster, Kasperl’s neu<br />
errichtetes Kaffeehaus, oder der Hausteufel und damit in 12 von 30 untersuchten Stücken.