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Ausgabe 1/2013 - Deutsche Olympische Gesellschaft

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sondern Abbild unserer <strong>Gesellschaft</strong> ist. Der Transformationsprozess<br />

ist dabei im Wesentlichen gekennzeichnet durch<br />

einen Prozess der Ökonomisierung. Die Gegenwelt Sport wird<br />

zu einer Teilwelt des Wirtschaftssystems moderner <strong>Gesellschaft</strong>en.<br />

Aus organisatorischer Sicht lässt sich dies vor allem<br />

in den Vereinen erkennen, die die Basis des gemeinsamen<br />

Sportsystems darstellen. Immer mehr Vereine befinden sich<br />

dabei in einem Transformationsprozess hin zum Wirtschaftsunternehmen.<br />

Von Vereinen wird erwartet, dass sie ihre<br />

Strukturen der Wirtschaft anpassen, Managementprozesse<br />

sind gefragt, Manager haben Vereine zu führen, aus ehrenamtlicher<br />

Arbeit wird hauptamtliche Arbeit, Professionalisierung<br />

wird gefordert, Wachstum ist angesagt, obgleich es vor<br />

dem Hintergrund der angestammten Logik einer freiwilligen<br />

Vereinigung hierfür keine Notwendigkeit gibt. Ein Transformationsprozess<br />

von großer Tragweite kann auch unter den<br />

Athleten beobachtet werden. Immer mehr kommt es zu einer<br />

Totalisierung der Höchstleistungen. Man muss sich ganz der<br />

Sache widmen, andere Tätigkeiten neben dem Hochleistungssport<br />

verbieten sich. Doppelkarrieren haben allenfalls nur<br />

noch bei Randsportarten ihre Möglichkeiten, ansonsten sind<br />

die sportlichen Höchstleistungen in den einzelnen Sportarten<br />

nur noch durch eine volle Professionalität zu erreichen. Oft<br />

sind 60 und mehr Stunden Training gefordert, sieben Tage die<br />

Woche ist der Athlet fokussiert auf seine sportliche Höchstleistung.<br />

Eine gute Ausbildung in der Schule ist nur noch<br />

bedingt möglich, eine berufliche Karriere neben einer sportlichen<br />

Karriere verbietet sich. Betrachten wir die Zusammensetzung<br />

von Olympiamannschaften, so müssen wir erkennen,<br />

dass jene Athleten, die neben ihrer Rolle als Hochleistungssportler<br />

noch andere Rollen mit vergleichbarer Intensität<br />

erfüllen, die Ausnahme der Regel darstellen. Fast sämtliche<br />

Athleten einer Olympiamannschaft sind heute Angehörige<br />

der Bundeswehr oder des Bundesgrenzschutzes oder der<br />

Polizei, viele sind von ihrer Arbeit völlig freigestellt. Nur noch<br />

eine kleine Minderheit meistert die sogenannte Doppelkarriere.<br />

Zu diesem Totalisierungsprozess gehört auch die kontinuierliche<br />

Steigerung der Risiken, die die Ausübung des Hochleistungssports<br />

mit sich bringt. Diese Risiken hat der Athlet<br />

nahezu alleine zu tragen. Von einer sozialen Absicherung<br />

sportlicher Karrieren sind die modernen Hochleistungssportsysteme<br />

weiter entfernt denn je.<br />

Deshalb kann es nicht überraschen, dass der Transformationsprozess<br />

vom Gegenbild zum Abbild auch in moralischer<br />

Hinsicht zu beobachten ist. Angesichts der ökonomischen<br />

Bedeutungssteigerung des Hochleistungssports kommt es zu<br />

einem moralischen Verfall, Betrug wird immer wahrscheinlicher,<br />

Athleten befinden sich immer häufiger in der Falle des<br />

Hochleistungssports. Mitmachen bedeutet bereit sein zum<br />

Betrug, wer dazu nicht bereit ist, ist zur Zweitklassigkeit<br />

verurteilt oder hat seine Karriere zu beenden. Betrug zeigt<br />

dabei alle denkbaren Varianten. Er reicht von der Ergebnismanipulation<br />

zur Leistungsmanipulation des einzelnen Athleten<br />

bis hin zum Betrug bei Wahlhandlungen zu den Führungsgre-<br />

mien der einzelnen Sportarten. Gewalt wird zum nahezu<br />

selbstverständlichen Merkmal des modernen Sports. Sie wird<br />

von Athleten ebenso ausgeübt wie von den Zuschauern. Sie<br />

scheint in der Natur der Sache zu liegen, zumindest wird sie<br />

immer mehr als eine Selbstverständlichkeit hingenommen,<br />

gegen die wirksame Maßnahmen nicht wahrscheinlich sind.<br />

Die sportliche Höchstleistung wird dabei mit enormer gesellschaftlicher<br />

Bedeutung aufgeladen. Sportliche Höchstleistungen<br />

erzeugen höchste Emotionen, haben einen außergewöhnlich<br />

hohen Unterhaltungswert und ermöglichen für alle<br />

Beteiligten außergewöhnlich hohe Gewinne. Der Hochleistungssport<br />

ist dabei bestens anschlussfähig für die Massenmedien,<br />

für die Wirtschaft und die Politik. Immer mehr Athleten<br />

sind dabei bereit, alles zu investieren, was den sportlichen<br />

Erfolg sichern könnte. Das Ideal der Unversehrtheit des eigenen<br />

Körpers wird dabei über Bord geworfen, die eigene<br />

Gesundheit wird im vollen Bewusstsein der Gefahren, die der<br />

Hochleistungssport in sich birgt, in Frage gestellt. Schmerzen<br />

werden wider der Natur des eigenen Körpers gedämmt,<br />

Medikamente werden zur Leistungssteigerung genutzt, wohlwissend,<br />

dass sie eine Gefährdung der eigenen Gesundheit<br />

bedeuten können. Die körperliche Unversehrtheit des Gegners<br />

wird in Frage gestellt, wenn damit der eigene ökonomische<br />

Nutzen gesichert werden kann. Längst ist bei diesem Transformationsprozess<br />

des Sports zu erkennen, dass er sich genau<br />

jene Merkmale zu Eigen macht, die auch in der übrigen<br />

<strong>Gesellschaft</strong> zu finden sind. Wie in der Wirtschaft und wie in<br />

der Politik ist nun Korruption im Sport anzutreffen, wie in<br />

Wirtschaft und Politik finden Machtauseinandersetzungen in<br />

den Organisationen des Sports statt. Und das, was viele<br />

Funktionäre des Sports als Verteidigungsritual verwenden,<br />

wenn sie gefordert sind, wird zur gesellschaftlichen Realität:<br />

Der Sport ist nicht besser als die <strong>Gesellschaft</strong>, und er kann<br />

gewiss nicht Probleme der <strong>Gesellschaft</strong> lösen, wenn er die<br />

gleichen Verfehlungen aufweist, wie sie auch in der <strong>Gesellschaft</strong><br />

anzutreffen sind. Der Sport ist nicht mehr Gegenwelt,<br />

er ist Abbild der <strong>Gesellschaft</strong>. Seinen Siegeszug hat er seinem<br />

eigenen Werteverfall zu verdanken. Betrug, Korruption, Manipulation<br />

und all die sonstigen zu beklagenden Verfehlungen<br />

sind Teile eines kontinuierlichen Skandals, der die Unterhaltungsfunktion<br />

des Sports eher zu steigern weiß, als dass er<br />

sie in Frage stellen könnte. Moralische Appelle müssen dabei<br />

ebenso vergeblich sein, wie sie in der <strong>Gesellschaft</strong> vergeblich<br />

sind, und angesichts der vielen Verfehlungen in der <strong>Gesellschaft</strong><br />

hat auch der Sport keinen besonderen Legitimationszwang.<br />

Es gelingt ihm besser denn je, sich als wichtigen Teil<br />

der <strong>Gesellschaft</strong> auszuweiten. Angesichts dieses aufgezeigten<br />

Transformationsprozesses ist es höchst unwahrscheinlich,<br />

dass aus dem System des Sports heraus eine Rückbesinnung<br />

auf den Gegenweltcharakter des Sports erfolgen könnte. Der<br />

Sport in seinem Verhältnis zur Wirtschaft, zur Politik und zu<br />

den Massenmedien befindet sich in einer Win-Win Situation,<br />

deren Fortschreibung von allen gewünscht ist. Fatal ist dabei<br />

lediglich, dass dies auch dann der Fall ist, wenn dabei die<br />

Moral auf der Strecke bleibt.<br />

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