Thyssenkrupp Magazin Werkstoffe
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Wir brauchen junge<br />
Menschen, die sich für<br />
<strong>Werkstoffe</strong> begeistern<br />
Interview mit Prof. Dr. Ulrich Middelmann,<br />
stellvertretender Vorstandsvorsitzender der ThyssenKrupp AG<br />
Fotos Claudia Kempf<br />
Die ThyssenKrupp AG, Herr Professor Middelmann, ist Deutschlands<br />
größter Werkstoff- und Industriegüterkonzern. Liegt in der Werkstoffkompetenz<br />
das eigentliche Kapital des Unternehmens?<br />
Tatsache ist, dass sich unsere Werkstoffkompetenz durch den gesamten<br />
Konzern hindurchzieht, beginnend bei der Entwicklung und Produktion<br />
im Segment Steel. Nehmen Sie weiterhin nur den Automobilbereich:<br />
Auf einer metallurgischen Basis haben wir weitestgehende<br />
Kompetenzen entwickelt, was die Umformung von Außenhautteilen<br />
betrifft. Durch das Hydroforming können wir Stahlhohlkörper unter<br />
Hochdruck in komplizierte Formen bringen. Oder nehmen Sie Kurbelwellen:<br />
Auch die zeugen von einer sehr hohen Werkstoffkompetenz.<br />
Ähnliches gilt für Stoßdämpfer oder Nockenwellen. Um es zusammenfassend<br />
zu sagen: Das Auto ist bestes Beispiel für unsere Art, innovativ<br />
mit <strong>Werkstoffe</strong>n umzugehen und es unterstreicht unsere Kompetenz<br />
auf diesem Gebiet.<br />
Sie nennen den Werkstoff Stahl als Beispiel. Arbeiten Sie aber nicht mit<br />
einer Vielzahl unterschiedlichster <strong>Werkstoffe</strong>?<br />
Es ist richtig, dass wir mit vielen <strong>Werkstoffe</strong>n zu tun haben. Neue kommen<br />
hinzu, Magnesium ist so ein Beispiel – in Freiberg/Sachsen wurde<br />
ein erstes Flachprodukt abgegossen. Wenn es uns gelingt, produktionstechnisch<br />
Magnesium-Flachprodukte kostengünstig herzustellen,<br />
wäre dies ein Durchbruch für uns. Denn für den gesamten Bereich<br />
Leichtbau könnten wir dann ein Full-Service-Konzept anbieten. Gerade<br />
im Sinne nachhaltigen Produzierens wäre dies ein Vorzeigeprodukt.<br />
Dennoch müssen Sie grundsätzlich in unserem Konzern eines sehen:<br />
Wir haben eine fest umrissene Werkstoffpyramide. In dieser Hierarchie<br />
befinden sich unten die Massenstähle, auf ihnen bauen die so genannten<br />
Qualitätsstähle auf, denen die Gruppen der rostfreien Edelstähle<br />
und die Nickelbasislegierungen bei ThyssenKrupp VDM mit einem Nickel-Gehalt<br />
von mehr als dreißig Prozent folgen. Ganz oben in der Spitze<br />
der Pyramide sind die Titanlegierungen angesiedelt.<br />
Wie hat man sich die Wertproportionen dieser Pyramide vorzustellen?<br />
Die Proportionen sind klar definiert. Der Wert einer Tonne VDM-Stahl beispielsweise<br />
liegt bei 15.000 Euro, der Titan-Wert liegt noch höher. Der Ni-<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
INTERVIEW 59<br />
rosta-Preis bewegt sich pro Tonne zwischen 1500 und 2500 Euro, der<br />
Wert von normal beschichtetem Qualitätsstahl beträgt rund 500 Euro.<br />
Dies ist, wenn Sie so wollen, der Werkstoff-Fächer. Der Qualität müssen<br />
Sie aber die Quantität gegenüberstellen. Da stellt sich die Pyramide auf<br />
den Kopf, vom Qualitätsstahl stellen wir 15 Millionen Tonnen her, von den<br />
rostfreien Stählen 2,5 Millionen Tonnen, bei den VDM-Stählen sind es<br />
rund 29.000 Tonnen.<br />
Insofern hat der Werkstoff Stahl Potenzial, womöglich ungeahntes Potenzial?<br />
Beim Segment Steel heißt der Slogan: Wir denken Stahl weiter. Innovationen<br />
sind zwingend notwendig, schon wegen der rasanten technologischen<br />
Veränderungen und der damit einhergehenden Veränderung<br />
der Produktanforderungen. Der Lebenszyklus auch unserer Produkte wird<br />
dadurch immer kürzer. Da gibt es in der Tat auf Dauer eine Vielzahl neuer<br />
Potenziale, die man ständig erschließen muss. Im Mittelpunkt der Aktivitäten<br />
steht dabei der Kunde als Partner. Deshalb wird frühzeitig die Entwicklungsarbeit<br />
mit den Vertriebsbelangen verzahnt.<br />
Welche Aufgabe hat dann der Werkstoffforscher im Unternehmen?<br />
Der Forscher ist der Treiber der Innovationen, aber eines muss auch ihm<br />
klar sein: Unternehmerisches Agieren orientiert sich am Markt. Was der<br />
Kunde haben will, versuchen wir ihm in einem Wertschöpfungsprozess an<br />
die Hand zu geben. Damit müssen wir Geld verdienen. In erster Linie bestimmt<br />
also der Kunde, was gemacht wird. Dies müssen jede Mitarbeiterin<br />
und jeder Mitarbeiter im Konzern verinnerlichen. Danach muss stringent<br />
gehandelt werden.<br />
Ist dieses Denken Teil einer neuen Unternehmenskultur bei Thyssen<br />
Krupp?<br />
Lassen Sie mich den entscheidenden Unterschied aufzeigen: In der Vergangenheit<br />
haben die Ingenieure häufig erst einmal gefragt, worin ihre<br />
Kompetenz besteht, dann wurde eine Vielzahl von <strong>Werkstoffe</strong>n entwickelt<br />
mit einer Vielzahl von Eigenschaften. Für diese <strong>Werkstoffe</strong> wurden dann<br />
Anwendungsgebiete gesucht. Die Erfahrung zeigt, dass dieser Weg weniger<br />
erfolgreich ist als die umgekehrte Denkweise: Erst werden die Kun-