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Das Wort »Du sollst nicht töten«, prallt mit <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn vom »Gehorsam<br />

gegen die Obrigkeit« zusammen — und das große Wort<br />

gewinnt Macht über das kleine utilitaristische. Du sollst nicht töten<br />

... ! Und ein so konstruiertes Auge sah sich nun die große Zeit<br />

an und zeichnete ihre schrecklichsten Bil<strong>de</strong>r.<br />

Was hier gestaltet ist, mag sich oft erst nach <strong>de</strong>r Gestaltung ereignet<br />

haben. Und was sich nicht ereignet hat, das hat nur vergessen,<br />

sich zu ereignen — so grauenhaft echt ist das alles. Die<br />

großen Worte fallen ab, und es bleibt eine ungeheure Kulturschan<strong>de</strong>,<br />

die durch nichts zu entschuldigen ist.<br />

Der Vorleser K. ist einer <strong>de</strong>r stärksten Eindrücke. Er sieht fast<br />

niemals auf, er liest richtig vor — nur manchmal beschreiben diese<br />

seltsamen schmalen Finger einen Halbkreis o<strong>de</strong>r sie zeichnen<br />

eine Geste übertrieben auf ... nur die Stimme herrscht. Nein: <strong>de</strong>r<br />

Wille herrscht. Seine Stirna<strong>de</strong>r schwillt. Mit ungeheurer Intensität<br />

bricht das Geschriebene und Erlebte noch einmal heraus — eine<br />

Eruption seltenen Gra<strong>de</strong>s. Er darf es wagen, entgegen allen Vortragsgesetzen,<br />

fortissimo zu beginnen und andante fortzufahren —<br />

weil es wahr ist, in je<strong>de</strong>m Augenblick wahr. Schrei auf Schrei entringt<br />

sich dieser gequälten Brust, Ruf auf Ruf, Klage auf Klage.<br />

Und Anklage auf Anklage ...<br />

»Ich habe sie in Schatten geformt«, heißt es einmal. Das hat er.<br />

Wie Schemen, aber erschrecklich lebendig, tanzen diese bunten<br />

Burschen noch einmal vorbei, wie Schemen kichert das und posaunt<br />

und telegraphiert und hält Re<strong>de</strong>n auf einem Bankett — seltsam<br />

tot und seltsam lebendig. Es gibt ja schließlich bei diesen<br />

Dingen nur ein Kriterium: die Gänsehaut. Und hier ist Pathos, das<br />

keinen rationalistischen Witz verträgt, <strong>de</strong>r glatt und matt herunterfallen<br />

wür<strong>de</strong>.<br />

Du sollst nicht töten ... ! Das ist eine harte For<strong>de</strong>rung, eine unbequeme<br />

For<strong>de</strong>rung, eine unrationalistische For<strong>de</strong>rung. Er vertritt<br />

sie, er schreit sie hinaus, er pocht mit ehernem gekrümmten Knöchel<br />

an die Tür <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s, die mit <strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>sfarben angemalt ist.<br />

Und es klingt hohl ...<br />

Dies ist keine Parteiangelegenheit und keine Lan<strong>de</strong>sfrage. Hier<br />

ruft ein Mensch und gibt euch alles in allem: Kunst, Gesinnung,<br />

Politik und sein rotes, reines Herzblut.<br />

Es wur<strong>de</strong> eine; aber erst in Innsbruck.<br />

Über <strong>de</strong>n zweiten Abend brachte <strong>de</strong>r 'Vorwärts' (Abendausgabe vom<br />

22. Januar) die folgen<strong>de</strong> Kritik:<br />

16<br />

Karl Kraus las aus seinen Dichtungen an zwei Aben<strong>de</strong>n für die<br />

hungern<strong>de</strong>n Wiener Kin<strong>de</strong>r. Gestern im Meistersaal. Vor einer<br />

dichtgedrängten Masse. Und es gehört zum Bil<strong>de</strong>, zu sagen, daß<br />

sie ganz aus <strong>de</strong>n jungen Lebensaltern bestand. Also: die Generationen<br />

<strong>de</strong>r nächsten Zukunft drängen sich nach seinem Wort. Und<br />

dies Wort ist Sonnewollen und Frühlingsbegehren, und es ist<br />

Bruch mit <strong>de</strong>m, was gestern übermächtig war, auffliegen<strong>de</strong>r Helldrang<br />

und schonungslos richten<strong>de</strong>r, hinrichten<strong>de</strong>r Bruch. Also <strong>de</strong>r<br />

Karl Kraus von heute, wie ihn das überbarbarische Ungetüm Welt-

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