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entbehrlichen Wittelsbachers dasteht. Man hat <strong>de</strong>n Eindruck, daß es so bleiben<br />
kann, weil die Monarchie, auch wenn sie nicht wie<strong>de</strong>rkommt, schon da<br />
ist, immer natürlich vorausgesetzt, daß nicht ein Gast vom Café Stefanie die<br />
Herrschaft an sich reißt. Das ganze Vexiergebil<strong>de</strong> — mit Frem<strong>de</strong>npolizei, die<br />
um fünf Uhr früh nachschauen kommt — ist so eine Art Großherzogtum mit<br />
<strong>de</strong>m Präsi<strong>de</strong>nten an <strong>de</strong>r Spitze, <strong>de</strong>r aber bei wichtigeren Justizmor<strong>de</strong>n nicht<br />
anwesend ist. Und über allem die tiefe Langweile, mit <strong>de</strong>r diese reizen<strong>de</strong><br />
Stadt mich je<strong>de</strong>smal befällt, so daß ich mir die Umwandlung <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe<br />
als lebenslänglichen Gang über <strong>de</strong>n Promena<strong>de</strong>platz vorstelle und <strong>de</strong>n Anblick<br />
<strong>de</strong>r Deckengemäl<strong>de</strong> im Café Luitpold als Strafverschärfung, und ganz<br />
gut begreife, daß ein Temperament wie <strong>de</strong>r Simplicissimus in solchem Klima<br />
<strong>de</strong>n Entschluß fassen mochte, aus einem Bullenbeißer ein Schweinehund zu<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Der zweite Abend war eine mehr gesellschaftliche Veranstaltung, in die<br />
ich, nach Entfernung von Literaten aus <strong>de</strong>r Liste <strong>de</strong>r Einzula<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n, nicht<br />
<strong>de</strong>m Verlag Kurt Wolff, aber <strong>de</strong>ssen liebenswürdigem Inhaber zuliebe, <strong>de</strong>r zugleich<br />
meine eigenen Schriften verlegt, eingewilligt hatte. Es wur<strong>de</strong> hierbei<br />
eine Sammlung für die Wiener Kin<strong>de</strong>r veranstaltet, bei <strong>de</strong>r sich die Gäste ein<br />
wenig weniger reserviert verhielten als beim Vortrag; <strong>de</strong>ssen Verlauf die Erfahrung<br />
bestätigte, daß ein intimer Raum die Vertraulichkeit entfernt. Sie ist<br />
aber <strong>de</strong>m Vortragen<strong>de</strong>n unentbehrlich, und nicht Beifallssucht schafft dies<br />
Bedürfnis, son<strong>de</strong>rn die Unlust, als Einzelner unter lauter Einzelnen die Stimme<br />
zu erheben. Er muß — und davon lebt die Stimme — <strong>de</strong>n Eindruck <strong>de</strong>s Hörers<br />
empfangen, unmittelbar und nicht erst durch nachträglichen Bericht seiner<br />
habhaft wer<strong>de</strong>n. Gewiß nicht durch <strong>de</strong>n gedruckten (<strong>de</strong>r sozial<strong>de</strong>mokratischen<br />
'Münchener Post' 31. Januar), <strong>de</strong>r einer Privatveranstaltung nicht gebührt,<br />
aber damit nicht mein Unbehagen ein einseitiges Bild von ihr<br />
hinterlasse, zitiert sei:<br />
Vorlesung Karl Kraus. Am Donnerstag abend hatte <strong>de</strong>r Münchener<br />
Verleger Kurt Wolff eine Anzahl Gäste zu einer Karl—Kraus—Vorlesung<br />
in das Lesezimmer seines Verlagshauses gebeten. K., einigen,<br />
nicht allzuvielen, hier kein Unbekannter, stellte sich diesmal<br />
nicht als <strong>de</strong>r gefürchtete angriffslustige Essayist, son<strong>de</strong>rn als<br />
Dichter und Interpret vor. Er las eine Anzahl eigener Gedichte,<br />
voller musikalischer Klangschönheit, dichterischer Bildhaftigkeit<br />
und rhythmischer Kraft. (Vielmehr: Die Gedichte strömten klangvoll<br />
aus seinem dichterischen Born.) Wie in <strong>de</strong>n Essays ist alles<br />
tiefernstes heiliges Erleben, nur noch gesteigert durch Hymnus<br />
und Feierlichkeit: Der aus <strong>de</strong>m Fackelkraus kristallisierte Dichter<br />
Kraus. Für einzelne seiner Gedichte gebe ich die ganze mo<strong>de</strong>rne<br />
österreichische Lyrik her. — K. las dann außer<strong>de</strong>m ein Stück aus<br />
Hauptmanns »Webern«, diesem Drama <strong>de</strong>r Hungerschreie, mit<br />
prächtiger Meisterschaft. Hier fühlte man, daß wahre Kunst, auch<br />
wenn sie vorübergehen<strong>de</strong>r Naturalismus getauft wird, ihre Unsterblichkeit<br />
dadurch beweist, daß sie Herz und Stimme <strong>de</strong>s wahren<br />
Künstlers lebendig zu machen weiß. Karl Kraus vermochte<br />
das. Daß er gera<strong>de</strong> mit diesem dramatischen Notschrei für die<br />
hungern<strong>de</strong>n Wiener Kin<strong>de</strong>r wirbt und sammelt, sei ihm beson<strong>de</strong>rs<br />
gedankt. Zs.<br />
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