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<strong>de</strong>m Zwecke, eine ungeheuerliche Gesinnung anzuklagen, so stellt sich bei allen,<br />

die vom Original keinen Ton verstehn, aber schon darauf warten, es überführt<br />

zu sehen, unfehlbar die Wirkung jenes»Ah da schauts her!« ein, die ich<br />

auf <strong>de</strong>r Straße prompt herzustellen mich verpflichte, wenn ich <strong>de</strong>r Menge zurufe,<br />

daß <strong>de</strong>r Herr da soeben seine Uhr aus <strong>de</strong>r Tasche gezogen hat; in <strong>de</strong>m<br />

von mir erzeugten Wirbel — ich brauchte gar nicht die Parole »Haltet <strong>de</strong>n<br />

Dieb!« — könnte ich ruhig verschwin<strong>de</strong>n, selbst wenn ich es war, <strong>de</strong>r ihm die<br />

Uhr aus <strong>de</strong>r Tasche gezogen hat. Ein gemachter Mann. Natürlich kann ich<br />

mich in <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rgabe solcher Produktionen nicht darauf beschränken, die<br />

Sätze im Sperrdruck zu geben, die jener ausrufen wollte — meine eigenen —,<br />

son<strong>de</strong>rn muß auch die seinen spationieren, weil dadurch meine Entlarvung<br />

noch besser gelingt. Der Auffor<strong>de</strong>rung, einen unverdrehten <strong>de</strong>utschen Satz zu<br />

sprechen, genüge ich freilich besser damit, daß ich mich selbst zitiere, notabene<br />

in <strong>de</strong>r Fassung, die ein Satz von mir hatte, ehe er verdreht wur<strong>de</strong>. Daß<br />

meine Sätze nicht leicht zu verstehen sind — auch dort nicht, wo sie es scheinen<br />

—, will ich zugeben. Wiewohl sie nur von »Karl Kraus, Wien« sind, also eigentlich<br />

keine Angelegenheit <strong>de</strong>s Kosmos, son<strong>de</strong>rn mehr eine Lokosache, so<br />

sind sie doch nicht ab Wien sofort greifbar und erregen darum häufig Kopfschütteln<br />

und Verdruß. Wer sie trotz<strong>de</strong>m und justament zu greifen sucht, <strong>de</strong>m<br />

bleibt ein plumper Sinn in <strong>de</strong>r Hand, <strong>de</strong>n sie in ihrem geistigen Milieu nicht<br />

hatten, aber im Neuen Wiener Journal wirkungsvoll bewähren. Doch sind es<br />

eben wie gesagt keine unverdrehten <strong>de</strong>utschen Sätze mehr und selbst dann<br />

nicht, wenn sie unversehrt in solche Hän<strong>de</strong> geschoben wären. Sonst freilich<br />

gäbe es noch allerlei Arten, <strong>de</strong>r Auffor<strong>de</strong>rung zu genügen. Falls sie wirklich<br />

noch nicht erfüllt wäre, könnte ich etwa sagen: Mit mir ist kein Geschäft zu<br />

machen! Das ist doch gewiß ein unverdrehter <strong>de</strong>utscher Satz. Aber da könnte<br />

ein Polemiker vielleicht zurückkommen und fragen, ob mit mir nicht vielleicht<br />

doch ein Geschäft zu machen ist. Dann wür<strong>de</strong> ich etwa sagen: Abfahren! Das<br />

ist doch gewiß ein unverdrehter <strong>de</strong>utscher Satz. Welchen er sonst noch zu hören<br />

wünscht, ahne ich nicht. Wir bewegen uns doch im Gebiete <strong>de</strong>r Literatur<br />

und sind mit unsern Spekulationen im Kosmos und nicht auf <strong>de</strong>r Börse. Dort<br />

mag ich in einer dunklen Stun<strong>de</strong> gesehen wor<strong>de</strong>n sein; er ist dort nicht zuhause.<br />

Denn wäre er's, so wür<strong>de</strong> er doch nicht die sittliche Kompetenz aufbringen,<br />

an helllichtem Tage über mich zu richten. Sein Angriff ist mir, wenn ich<br />

je an ihm gezweifelt hätte, ein Beweis für ihn, ein Gegenbeweis gegen die bloße<br />

Möglichkeit, daß sein Denken mit Interessen verknüpft sein könnte, die<br />

das Gerücht mir nachsagt und infolge<strong>de</strong>ssen sein Artikel an<strong>de</strong>utet. Gewiß,<br />

auch mir geschieht unrecht; <strong>de</strong>nn selbst von mir ist es klar, daß ich mich wenigstens<br />

jetzt, wo ich doch schon gewarnt bin, nicht in ethischen Dingen mausig<br />

machen und mit Butter auf <strong>de</strong>m Kopf <strong>de</strong>m Sonnenschein aussetzen wer<strong>de</strong>.<br />

Nichts da, wir sind in <strong>de</strong>r Literatur! Und da gilt, weil wir Nihilisten sind, zwar<br />

auch keine Moral, <strong>de</strong>nn wie sagt doch Sonka:<br />

Zum Teufel die Moral! sie ist nicht Sprache gewor<strong>de</strong>n: es ist<br />

gleich 1 : 1, wenn es sein muß, eins ist nicht zwei, wenn es nicht<br />

sein muß; dies ist <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> klar. Braucht die Er<strong>de</strong> Gott? Was<br />

braucht die Er<strong>de</strong> Gott!<br />

Doch wir ha<strong>de</strong>rn, wenn's schon um je<strong>de</strong>n Preis sein muß, mit Gott, aber<br />

feilschen nicht mit <strong>de</strong>n Menschen. Wohl bin ich ein Ichweißetwas, aber nur in<br />

Beziehung auf eine verdächtige Zeit, in <strong>de</strong>ren Atmosphäre ich das Einzelbild<br />

halte, nie in Beziehung auf <strong>de</strong>n Einzelnen. Möge dieser mit einem unverdreh-<br />

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