Tradition2.pdf (Download) - Medienwissenschaft
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. Die neue Ordnung erscheint durch den Parasiten, der die Nachricht stört. Er verwirrt die glatte Reihe, die<br />
Folge, die Botschaft, und er komponiert eine neue. <br />
Ersetzt die medienwissenschaftliche Nachrichtentheorie die<br />
historiographische Theorie des Archivs? Doch die<br />
Informationstheorie beachtet die semantische Seite der<br />
Nachricht ausdrücklich nicht“, welche auf Seiten der Kultur<br />
steht.<br />
Michel Foucault definiert als Archiv nicht die materielle<br />
Speicheragentur juristischer oder historischer Überlieferung,<br />
sondern die Ebene einer Praxis zwischen der Sprache und dem<br />
Korpus, das die gesprochenen Worte passiv aufnimmt (klassische<br />
Archive oder technische Aufnahmemedien). Zwischen der<br />
Tradition und dem Vergessen läßt seine Wissensarchäologie die<br />
Regeln einer Praxis erscheinen, die den Aussagen gestattet,<br />
fortzubestehen und zugleich sich regelmäßig zu modizifieren.<br />
Für ihn ist das Archiv "das allgemeine System der Formation<br />
und der Transformation der Aussagen" 40 . Läßt sich dieser<br />
diffuse Kanal von Tradition, diese Praxis im Element des<br />
Archivs positiv, konkret: medial benennen? "Das besondere<br />
Kennzeichen aller Kanäle ist, daß sie durchwegs in das Gebiet<br />
der Physik fallen." 41 Alle Tradition ist damit den<br />
Materialitäten verschrieben, in denen kulturelle Kodes<br />
übermittelt (oder verrauscht) werden - das, was an der Reibung<br />
mit Realien als das Reale (Geräusch) entsteht.<br />
Droysen illustriert Wahrscheinlichkeit von Geschichte anhang<br />
der Pigmente der Malerei:<br />
Die Farben, die Pinsel, die Leinwand, welche Raphael brauchte, waren aus Stoffen, die er nicht geschaffen; diese<br />
Materialien zeichnend und malend zu verwenden hatte er von den und den Meistern gelernt aber daß auf<br />
diesen Anlaß, aus diesen materiellen und technischen Bedingungen, auf Grund solcher Ueberlieferungen und<br />
Anschauungen die Sixtina wurde, das ist in der Formel A = a + x das Verdienst des verschwindend kleinen x<br />
Mag immerhin die Statistik zeigen, daß in dem bestimmten Lande so und so viele uneheliche Geburten<br />
vorkommen, mag in jener Formel A = a + x dieß a alle die Momente enthalten, die es `erklären´, daß unter<br />
tausend Mädchen 20, 30 unverheirathet gebären jeder einzelne Fall der Art hat seine Geschichte und wie<br />
oft eine rührende und erschütternde ; in den Gewissensqualen durchweinter Nächte wird sich manche von<br />
ihnen sehr gründlich überzeugen, daß in der Formel A = a + x das verschwindend kleine x von unermeßlicher<br />
Wucht ist. 42<br />
Damit ist das Menschliche am Menschenwerk als statistische<br />
Abweichung definiert. Die Differenz von statistischer<br />
Regelmäßigkeit, historischer Wahrscheinlichkeit und Gesetz<br />
definiert hier Geschichte.<br />
Die großen Werke der Antike sind allesamt überlieferte Werke, das heißt, dass es im Transskriptionsprozess über<br />
die Jahrhunderte hinweg zu einer Unzahl von Ungenauigkeiten und Varianten gekommen ist , aber auch zu<br />
Lücken. Was wäre wohl, wenn statt der zehn Komödien des Aristophanes alle vierzig erhalten<br />
40<br />
Michel Foucault, Das historische Apriori und das Archiv , hier zitiert nach dem<br />
Auszug in: Foucault 1999: 7784 (82)<br />
41<br />
Hans Titze, Ist Information ein Prinzip?, Meisenheim/Glan (Hain) 1971, 104<br />
42<br />
Johann Gustav Droysen, Die Erhebung der Geschichte zum Rang einer Wissenschaft, in: Historische<br />
Zeitschrift Bd. 9 (München 1863), 122 (13f)<br />
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