Tradition2.pdf (Download) - Medienwissenschaft
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charakterisiert ist, rückt die verlustfreie Kopie. Der Preis<br />
ist der Verlust des Ewigkeitsanspruchs des Speichers. "Wie<br />
groß darf die Verschiebung der Bedeutung eines Wortes sein,<br />
damit die von ihm transportierte Information mit seinen<br />
Ursprüngen noch `verwandt´ ist?" .<br />
Im Sinne des Signal-zu-Rauschen-Verhältnisses der<br />
Nachrichten(übertragungs)theorie ahnte auch der britische<br />
Historiker Lord Acton das Prinzip der Stillen Post(histoire)<br />
in einer Äußerung des Begründers der stochastischen<br />
Wahrscheinlichkeitsrechnung Laplace: „When a report passes<br />
from one person to another the probability of error increases<br />
every time, until finally one reaches the stage at which it is<br />
greater than the probability of truth“. 85 So schwierig ist es,<br />
der Nachwelt ein update der Gegenwart zu hinterlassen. Werden<br />
die Metadaten nicht in den digitalen files integriert, drohen<br />
sie im Prozeß der Datenmigration verlorenzugehen; somit wäre<br />
Katalogwissen und Kulturgut nicht mehr trennen. 86<br />
Die Wissenschaften der Vergangenheit sind also eine<br />
Briefkastenfirma, die zunächst an solchen Nachrichten im Namen<br />
der Geschichte interessiert sind, die sich performativ als<br />
postalische Sendungen zu erkennen geben, d. h. die sich dazu<br />
bekennen, daß die Übermittlung von Vergangenheit (sei es<br />
Tradition, sei es Geschick) immer schon ein Effekt von Medien<br />
und Mechanismen des Verzugs sind. 87<br />
Beim Medium Brief steht der Übermittlungsvorgang oder Transport im Zentrum: Konstitutiv für den Brief<br />
ist die räumliche (oder zeitliche, mentale usf.) Distanz. Peter Bürgel markiert das mit der Formel vom<br />
`brieftypischen Phasenverzug´ (1976, 288). Die spezifische Leistung des Briefes ist demnach die<br />
Distanzüberbrückung 88<br />
- die emphatische Überbrückung der Distanz als Ent-fernung;<br />
mithin ein Verzögerungsspeicher (Kanal). Das postalische<br />
Dispositiv der Tradition spricht sich schon im Begriff der<br />
Übertragung. Was aber geschieht, wenn nicht mehr die Dinge,<br />
sondern deren Information übertragen wird? Geopfert wird deren<br />
Materialität: Ein Teil der mittelalterlichen Urkunden und<br />
Dokumente des Alten deutschen Reiches wanderte nach ihrer<br />
typographischen Übersetzung in das Editionswerk Monumenta<br />
Germaniae Historica nach Beginn des 19. Jahrhunderts zum<br />
Recycling in Werkstätten, da mit der Konzentration auf den<br />
Schriftsinn des Überlieferten deren Materialität irrelevant<br />
wurde. 89 Für das Archiv des emergierenden Germanischen<br />
Nationalmuseums war daher Veranlassung geboten, durch Ankauf<br />
85<br />
Herbert Butterfield, Man on His Past: The Study of the History of Historical Scholarship, Cambridge<br />
(University Press) 1955, 75, unter Bezug auf Notizen im Acton-Nachlaß (Add. 4929,52)<br />
86<br />
Masur (Euroscan), auf der Tagung: Digitalisierung und Langzeitarchivierung von Kunst und Kulturgütern, 29.<br />
März 2001, Deutsches Zentrum für Luft und Raumfahrt, BerlinAdlershof<br />
87<br />
Siehe dazu den Beitrag Marian Hobbsons, "History traces", in: Derek Attridge/Geoffrey Bennington/Robert<br />
Young (Hg.), Poststructuralism and and the question of history, Cambridge/London 1987<br />
88<br />
Werner Faulstich, Das Medium als Kult. Von den Anfängen bis zur Spätantike, Göttingen (Vandenhoeck &<br />
Ruprecht) 1997, 265<br />
28