Tradition2.pdf (Download) - Medienwissenschaft
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vergangene Möglichkeiten (parallel zu Leibniz´ „möglichen<br />
Welten“). „Die Anstrengung der Überlieferung richtet sich auf<br />
das, was seine Wirkung nicht ohnehin schon getan hat; genau<br />
dadurch wird sie zum „Widerruf dessen, was im Heute sich als<br />
Vergangenheit auswirkt“. Gerade das Interesse an Tradition<br />
widerstrebt einer bloßen Fortsetzung des Gewesenen als<br />
Wiederholung. 9 „Die Überlieferung liefert uns nicht einem Zwang<br />
des Vergangenen und Unwiderruflichen aus. Überliefern,<br />
délivrer, ist ein Befreien, nämlich in die Freiheit des<br />
Gespräches mit dem Gewesenen.“ 10<br />
Droysen formuliert in seiner Historik die<br />
Überlieferungsabsicht historischer Quellen und spricht vom<br />
"atmosphärischen Prozeß der aufsteigenden und sich<br />
niederschlagenden Dünste, aus denen die Quellen werden" -<br />
Rausch, nahe der thermodynamischen Gastheorie, aus welcher die<br />
Gesetze der Entropie abgeleitet werden. In welchem Verhältnis<br />
stehen dabei kulturelle Tradition und Redundanz?<br />
Ein verschlüsselter Text ohne jede Redundanz gilt als sicherer Übertragungscode. In der<br />
Informationstheorie ist Redundanz derjenige Teil einer Botschaft, der in einem technischen System nicht<br />
übertragen werden muß, ohne daß der Informationsgehalt der Nachricht verringert wird. 11<br />
Gilt das auch für die Relation von Signatur und Dokument in<br />
den nicht-technischen Systemen Archiv und Bibliothek und<br />
Museum, und ist die historische Narration demgegenüber<br />
redundant? „Einmal mehr taucht die Rätselfrage auf, in welchem<br />
Verhältnis bei Medien Programm und Narrativität stehen.“ 12<br />
Das Archiv ist eine reine Differenzmaschine, intern wie<br />
extern. Als Kulturtechnik zieht es, wie andere<br />
Speichertechnologien, seine "eigenen Demarkationslinien im<br />
Verhältnis von Sagbarem und Unsagbarem, Sichtbarem und<br />
Unsichtbarem, Ordnung und Differenzlosigkeit und damit jene<br />
Grenze, die den historsichen Stand eines Wissenszusammenhangs<br />
vom Außen seines Nicht-Wissens trennt." 13<br />
Auch Übertragungstechniken beruhen auf einem technorhetorischen<br />
Dispositiv:<br />
Nicht zufällig hat der Akt, durch den das Subjekt der Geschichte bestimmt und legitimiert wird, den Namen einer<br />
fundierenden rhetorischen Figur getragen als translatio imperii, "Übertragungen", metaphorische Funktionen<br />
spielen hier immer wieder eine wesentliche Rolle. Alexander ergreift seine historische Konzeption in der<br />
Umkehrung des XerxesZuges über den Hellespont. Der Gott des Alten Testaments überträgt seine<br />
Geschichtshoheit durch Vertrag. Je tiefer die Krise der Legitimität reicht, um so ausgeprägter wird der Griff<br />
nach der rhetorischen Metapher. <br />
9<br />
Jürgen Kaube, Einmal Davos und zurück, über eine Tagung zu Heidegger und Cassirer, in: Frankfurter<br />
Allgemeine Zeitung vom 29. September 1999, N5<br />
10<br />
Martin Heidegger, Was ist das - die Philosophie?, Vortrag August 1955 in Cerisy-la-Salle, Pfullingen (Neske)<br />
1956, 9. Aufl. 1988, 8<br />
11<br />
Axel Roch, Mendels Message. Genetik und Informationstheorie, TS 1996<br />
12<br />
Kittler, Drogen xxx, in: xxx, 249<br />
13<br />
Joseph Vogl in seiner Einleitung zum Kapitel "Formationen des Wissens", in: Claus Pias / ders. / Lorenz<br />
Engell u. a. (Hg.), Kursbuch Medienkultur. Die maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard, Stuttgart<br />
(DVA) 1999, 485488 (487)<br />
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