Tradition2.pdf (Download) - Medienwissenschaft
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sie nicht mehr schlicht vor der Chiffriermaschine, sondern<br />
wird als Denkprozeß an sie gekoppelt, damit selbst zur<br />
Maschine (human-computer-interface). Genau diese Loslösung vom<br />
menschlichen (historisch meist weiblichen) „computer“ aber<br />
dissimuliert der Spielfilm, indem er eine Liebesgeschichte zum<br />
eigentlichen Geheimnis von Bletchley Park macht - und damit<br />
zugleich die Anfälligkeit der menschlichen Mathematiker für<br />
Störungen namens Liebe nachweist 84 (weshalb dieser Faktor dann<br />
auch durch elektronische Rechner ersetzt wurde). Hier dient<br />
die Form der story als das eigentliche (diskursive) Interface<br />
zwischen Mensch und Maschine, wie schon die Funktion der<br />
Helena in Homers Ilias - am Ende eine photographische<br />
Halluzination Heinrich Schliemanns, der seine junge<br />
griechische Gattin mit dem für den Schatz des Priamos<br />
fehlgedeuteten Goldschmuck behängt. Aufklärung heißt<br />
demgegenüber, die Sachlage des Wissens von Bletchley Park aus<br />
der narrativen Umklammerung zu befreien und einer<br />
wissensarchäologischen Beschreibung zugänglich zu machen -<br />
durch Umschneiden des Films etwa.<br />
Womöglich liegt ein Hauptgrund für die Hochkonjunktur der Mathematiker im Weltkino darin, daß wir uns in<br />
Zeiten befinden, in denen der Datenaustausch zwischen Maschinen ein Ausmaß<br />
angenommen hat, das nach Helden verlangt, die den Anschein vermitteln, sie könnten die abstrakte Materie vom<br />
Kopf wieder auf die Füße stellen. Der Wahnsinn ist die Strafe, die sie für uns auf sich nehmen, Ausdruck unsrer<br />
Paranoia, in dem ganzen Datenschrott seien irgendwelche Geheimbotschaften versteckt, für die wir blind sind.<br />
<br />
Daß Musterbildung Vergangenheit nicht abbildet, sondern als<br />
Bildmuster erst konstruktivistisch generiert, wird an John<br />
Dean, einem Berater des mit ihm in die Watergate-Affäre<br />
verstrickten Richard Nixon, deutlich:<br />
In seiner Aussage erinnerte er sich anscheinend wörtlich an Gespräche mit dem Expräsidenten. Erst als später die<br />
Tonbandmitschnitte aus dem Weißen Haus veröffentlicht wurden, zeigte sich, dass Deans Gedächnis die Szenen<br />
neu geschrieben hatte. Er gab nur die Punkte richtig wieder, die immer wieder erörtert worden waren, und<br />
verband sie mit erfundenen Einzelheiten zu einem Gesprächsablauf. <br />
Und weiter heißt es bezüglich eines der Nixon-Tonbänder, denen<br />
Oliver Stone in seinem Film Nixon - Der Untergang eines<br />
Präsidenten (USA 1995) ein Denkmal gesetzt hat:<br />
Although my assistant and I listened to the line repeatedly with great care, we were able to hear neither on with<br />
nor off, but only unitelligible noise. Thus depending on who listens to the line, the resulting gestalt is very<br />
different. <br />
Die Lage hat William Burroughs einmal treffend formuliert:<br />
"Nothing here now but the recordings." Zwischen Signal und<br />
Rauschen oszilliert nun die Option " ... in order got get on<br />
with / off / unclear / the coverup plan." Im digitalen Raum<br />
ist zusätzliche Sicherheit der Überlieferung durch den Error<br />
Correction Code (etwa beim Abspielen von CDs) garantiert; an<br />
die Stelle von "Tradition", die durch Übertragungsverluste<br />
84<br />
Slogan auf dem deutschen Filmplakat: „Er war der Mann, der den Code knacken sollte. Sie war die Frau, die er<br />
nicht entschlüsseln konnte.“<br />
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