Tradition2.pdf (Download) - Medienwissenschaft
Tradition2.pdf (Download) - Medienwissenschaft
Tradition2.pdf (Download) - Medienwissenschaft
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
die scheinbare Unmittelbarkeit von Fernsehen nicht mehr nur<br />
veritas in nomine, sondern auch veritas in re – ansonsten die<br />
Differenz zwischen kommunikativem, körperlichem Dabeisein und<br />
der live-Übertragung durch Fernsehen. 134 Erst Papst Johannes<br />
Paul II. setzt die Gültigkeit von televisuell übertragenem<br />
Segen (Urbi et Orbi) durch. gegen das biblische<br />
Schriftmonopol. Die Differenz zwischen inhaltlicher<br />
("Tradition") und technischer Übertragung wird im Begriff der<br />
Sendung deutlich, oder frei nach Martin Heidegger: die<br />
Differenz von Sendung und Geschick.<br />
Vom Speichern zum Übertragen<br />
"Die Informationsgesellschaft ist nachtraditional." 135 Liegt das<br />
Wesen der Information in seiner Immaterialität, jenseits der<br />
klassischen materiellen Bindung von Tradition? Denken wir das<br />
Read Only Memory unmetaphorisch als Gedächtnisform des<br />
elektronischen Zeitalters und Herausforderung an die<br />
klassische Weise, Tradition zu begreifen. „Im Unterschied zu<br />
tradierten Kulturtechniken ersetzen technologische Maschinen<br />
die Primärfunktion der Aufbewahrung durch schnelle<br />
Übertragung" (Michel Serres). Wenn Archiv und recycling sich<br />
kurzschließen, fällt der Augenblick des Entstehens (live) mit<br />
dem Augenblick des Sendens zusammen. Die Macht des Archivs lag<br />
einmal in seiner aufschiebenden Struktur. Doch was, wenn sein<br />
Abruf immediat geschieht? Mit dem Internet, also der<br />
unverzüglichen Aktualisierbarkeit von Speichern, wird diese<br />
Nachträglichkeit als Bedingung jeder emphatischen<br />
Geschichtsphilosopie gegen Null verkürzt. Gegenüber der<br />
Echzeit von Datenverarbeitung und -speicherung bringt das<br />
insistente Archiv den Begriff der Nachhaltigkeit ins Spiel,<br />
die Wiedereinführung einer Blockade namens Archivsperre als<br />
Schutz von Ressourcen, als Blockage von Information oder als<br />
Nachrichtensperre - die katechontische Macht des Archivs, die<br />
mit dem psychoanalytischen Begriff der Verdrängung selbst<br />
korrespondiert.<br />
Doch das Archiv als Gedächtniskapital gerät in Bewegung.<br />
Analog zur Beschleunigung, ja Auflösung klassischer<br />
Geldanlageformen wie dem Bankkonto samt seinen Zinsen durch<br />
dynamische Direktinvestition von Aktien und Börsenkurse, die<br />
ständig im Fluß sind, wandelt sich auch die<br />
Konsumentenhaltung: nicht mehr dauerhafte Anschaffungen,<br />
sondern ein Trend zum temporären Konsum von Luxusgütern; wenn<br />
eine Anschaffung auf Dauer, dann als Akt ständiger<br />
134<br />
Dazu die Magisterarbeit von Daniel Harbecke, Fernsehen und Kirche. Das Problem religiöser (Selbst)<br />
Darstellung im virtuellen Raum des Mediums am Beispiel konkreter Sendeformen, eingereicht an der Fakultät<br />
für Philologie der RuhrUniversität Bochum (Film und Fernsehwissenschaften), Juni 2000, 67, unter Bezug auf:<br />
Horst Albrecht, Die Religion der Massenmedien, Stuttgart / Berlin / Köln 1993<br />
135<br />
Beat Wyss, Der notwendige Anachronismus der Kunst. Kulturarbeit und Öffentlichkeit, in: Claus Pias (Hg.),<br />
Medien. Dreizehn Vorträge zur Medienkultur, Weimar (VDG) 1999, 297-313 (310)<br />
44