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Tradition2.pdf (Download) - Medienwissenschaft

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sich die Modifikation des phönizischen Konsonanten- zum<br />

altgriechischen Vokalalphabet höchstwahrscheinlich dem Wunsch<br />

nach Notation der homerischen Gesänge verdankt. Schriftkritik<br />

geriet damit in Paradoxien: "Die mündliche Poesie wurde in<br />

Büchern gesammelt und also durch die Aufzeichnung gleichzeitig<br />

gerettet und ausgelöscht" - die Ambivalenz<br />

von Tradition und/oder Archiv.<br />

Fritz Heiders Aufsatz von 1921 über "Ding und Medium" 5 kommt<br />

deshalb so vertraut vor, weil ein Teil seiner Argumente an die<br />

Lektüre von Aristoteles´ Text De anima erinnert. Der<br />

aristotelische protomediale Begriff des Dazwischen (to metaxy)<br />

taucht als Denkfigur in späteren Texten auch dann noch auf,<br />

wenn Autoren vergessen haben, worauf sie zurückgehen; erst<br />

Thomas von Aquin übersetzt ihn dann ausdrücklich mit medium.<br />

Gerade dann wird Überlieferung zur Tradition, wenn die Medien<br />

der Übertragung selbstverständlich oder vergessen werden. "Für<br />

die wenigen, die sich noch in den Archiven umsehen, drängt<br />

sich die Ansicht auf, unser Leben sei die verworrene Antwort<br />

auf Fragen, von denen wir vergessen haben, wo sie gestellt<br />

wurden." 6<br />

Von dem Moment an, wo das Wissen um Kontexte als<br />

hypertextuelles Schreibverfahren technisch implementiert ist,<br />

lösen wir uns aus der Linearität von Schrift. Womit auch der<br />

Begriff der Tradition sich vom historiographischen zum<br />

archivischen Dispositiv ändert: "Das elementare Schema der<br />

Kommunikation wäre nicht mehr `A übermittelt etwas an B´,<br />

sondern `A modifiziert eine Konfiguration, die Ab, B., C, D<br />

usw. gemeinsam ist." 7 Der Unterschied zur räumlichen<br />

Konfiguration des Archivs ist jedoch die Zeitbindung des<br />

Begriffs der Tradition, der auf den ersten Blick mit dem 2.<br />

Hauptsatz der Thermodynamik kongruiert:<br />

Nur da, wo es ein "vorher" und ein "nachher" gibt, kann man von "tradere", von Überliefern sprechen: außerhalb<br />

der Zeit ist Tradition undenkbar. Es scheint allgemein, daß das, was "vorher" gewesen ist, daß die Vergangenheit,<br />

weil sie etwas Totes, endgültig Abgeschlossenes ist ­ etwas Vorhandenes sei, und daß das Unbestimmte,<br />

Unsichere nur in der Zukunft, in dem was noch nicht ist, liegt. Tradition scheint somit die Übergabe dessen, was<br />

abgeschlossen und für jeden vorhanden daliegt. Bei einer näheren Betrachtung sehenwir aber, daß<br />

Vergangenheit ebenso wie Zukufnt nicht als etwas Vorhandenes zu betrachten sind. Das was nicht mehr ist ­<br />

Vergangenheit ­ und das was noch nichtist ­ Zukunft ­ sind zwei Abgrenzungen, Ermessungen, die sich nur unter<br />

Voraussetzung eines Maßstabes erschließen und zwar auf Grund von etwas Bestehendem. 8<br />

Genau im Raum dazwischen siedelt Martin Heidegger in § 74 von<br />

Sein und Zeit den Begriff der Überlieferung an: Sie antwortet<br />

weniger auf vergangene Wirklichkeiten als vielmehr auf<br />

5<br />

In: Symposion, Heft 2 (1921), 109-157; Wiederabdruck (gekürzt) in: Claus Pias / Joseph Vogl / Lorenz Engell et<br />

al. (Hg.), Kursbuch Medienkultur, Stuttgart (DVA) 1999: 319-333<br />

6<br />

Peter Sloterdijk, Regeln für den Menschenpark. Ein Antwortschreiben zum Brief über den Humanismus – die<br />

Elmauer Rede, in der vom Autor autorisierten Version in: Die Zeit v. 16. September 1999<br />

7<br />

Pierre Lévy über die "Metapher des Hypertext", in: Engell et al. (Hg.) 1999: 529<br />

8<br />

Ernesto Grassi, Politisches und begriffliches Denken in der italienischen Tradition [29. 11. 1938], in: Jahrbuch<br />

1939 der Kaiser­Wilhelm­Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, hg. durch den geschäftsführenden<br />

Vorstand, 109­134 (110f)<br />

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