Tradition2.pdf (Download) - Medienwissenschaft
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II. Nachdem aber auch die Sprache erfunden und durch sie die Möglichkeit vorhanden war, geschehene Dinge<br />
auszudrücken und weiter mitzuteilen, so geschah diese Mitteilung anfangs durch den unsichern und wandelbaren<br />
Weg der Sagen. Von Mund zu Mund planzte sich eine solche Begebenheit durch eine lange Folge von<br />
Geschlechtern fort, und da sie durch Media ging, die verändert werden und verändern, so mußte sie diese<br />
Veränderung miterleiden. 30<br />
Ignaz J. Gelb zufolge (A Study of Writing. The Foundations of<br />
Grammatology) wird das Wesen der Schrift durch die Sprache<br />
bestimmt, als Phonetisierung der Zeichen von Piktogramm zum<br />
Alphabet. J. G. Févriers Histoire de l´écriture (Paris 1948)<br />
definiert Schrift als ein Kommunikationssystem mit<br />
wohldefinierten Zeichen zwischen Menschen, als Sendung und<br />
Empfang. Doch<br />
Févriers Definition der Schrift als Kommunikations, genauer: Übertragungsmedium entspricht historisch und<br />
technisch streng gelesen einer sehr späten Etappe der Schriftentwicklung. Erst Morses Telegraphenalphabet<br />
beruhte auf einem Code, dessen Anwendung auf Senden und Empfangen beschränkt bleiben konnte. Die<br />
Definition übergeht eine der Übertragung bis dahin notwendig vorgängige Funktion: die der Speicherung.<br />
zur Datenspeicherung wird sie vorab durch eine der Sprache fremde Materialität bestimmt. <br />
Epische Überlieferung als Schrift ist eine Kulturtechnik.<br />
Vergils Aeneis tradierte sich vor allem als Schulübung; Reste<br />
der entsprechenden Papyri sind erhalten. 31 Mit der Schrift<br />
beginnt Kultur als Archiv (jene medienarchäologische Achse des<br />
Abendlandes). Von jener arché leitet sich Tradition ab:<br />
Überlieferung ist nicht bloße Weitergabe, sie ist Bewahrung des Anfänglichen, ist Verwahrung neuer<br />
Möglichkeiten der schon gesprochenen Sprache. Diese selbst enthält und schenkt das Ungesprochene. Die<br />
Überlieferung der Sprache wird durch die Sprache selbst vollzogen. 32<br />
Dabei gilt die Trennung von Ereignis und Nachricht:<br />
Nachrichten von Wundern sind nicht Wunder - daher die<br />
Kraftlosigkeit solcher Nachrichten. "Diese, die vor meinen<br />
Augen erfüllten Weissagungen, die vor meinen Augen geschehenen<br />
Wunder, wirken unmittelbar" - also unmediatisiert (es sei denn<br />
durch das Medium der Luft selbst, die Wellen des Lichts).<br />
"Jene aber, die Nachrichten von erfüllten Weissagungen und<br />
Wundern, sollen durch ein Medium wirken, das ihnen alle Kraft<br />
benimmt." 33 Lessing bezieht sich auf die Schriften des<br />
Origines, antiker Kirchenvater. Damit bekommt der Begriff des<br />
"Evangelisten" einen anderen Sinn: mediatisierte Botschaft,<br />
eu-angelein.<br />
30<br />
F. Schiller, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte, in: Werke Bd. II, München<br />
1966, 18<br />
31<br />
Dazu Richard Seider, Beiträge zur Geschichte und Paläographie der antiken Vergilhandschriften, in: Studien<br />
zum antiken Epos, hg. v. Herwig Görgemanns / Ernst A. Schmidt, Meisenheim am Glan (Anton Hain) 1976, 129<br />
172 (130)<br />
32<br />
Martin Heidegger, Überlieferte Sprache und technische Sprache [*Vortrag 1962], St. Gallen (Erker) 1989, 27<br />
33<br />
Gotthold Ephraim Lessing, Über den Beweis des Geistes und der Kraft, in: ders., Werke 1774-1778, hg. v. Arno<br />
Schilson, Frankfurt/M. (Dt. Klassiker Verlag) 1989, 437-446<br />
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