Tradition2.pdf (Download) - Medienwissenschaft
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Jahren des 19. Jahrhunderts zu ihrer klassischen Form: "Sie<br />
tendieren, so legt es Boltzmanns H-Theorem, die statistische<br />
Fassung des zweiten Satzes der Themodynamik, fest, von<br />
unwahrscheinlichen Zuständen der Ordnung zu wahrscheinlichen<br />
der Unordnung" - bis zum entropischen Maximum als spannungs-,<br />
energielose Gleichverteilung aller Elemente. 99 Insofern sind<br />
Archive als Versuch, geregelte Prozesse der Aktenübertragung<br />
auf die dauerhafte Ordnung eines Speichers zu stellen,<br />
prinzipiell katechontisch und wie alle Kultur unter hohem<br />
Energieaufwand negentropisch angelegt.<br />
Auch Michael Thompsons Abfalltheorie der Kultur argumentiert<br />
ansatzweise mathematisch und informationstheoretisch. 100 Die<br />
Rivalität zwischen Allmählichkeits- und<br />
Plötzlichkeitsstandpunkt läßt sich nur in Begriffen der<br />
Stochastik und der Entropie präzise formulieren. Thompson<br />
siedelt Abfall an der Grenze von Natur und Kultur an: „Natur<br />
ist von Grund auf chaotisch und durch fließende Übergänge<br />
gekennzeichnet; Kultur ist geordnet und in einzelne<br />
Teile unterteilt“ . Vilém Flusser faßte Müll<br />
darüber hinausgehend:<br />
Kultur ist ein Prozeß, welcher negativ entropisch Natur informiert und verwertet, also durch Erzeugung in<br />
Produkt verwandelt. Ein Teil dieses Produktes wird verbraucht, desinformiert, entwertet und der Natur<br />
zurückgegeben. <br />
Dieser Prozeß läßt sich - sobald negentropische Energie, also<br />
Intention im Spiel ist - als das identifizieren, was<br />
herkömmlich als Tradition bezeichnet wird. Ein Objekt nimmt<br />
mit der Zeit an Wert ab und kann in die Kategorie des Null-<br />
Werts, also des Abfalls hinübergleiten, der sich - übertragen<br />
auf den Prozeß der Tradition - nicht nur als Müll, sondern<br />
auch als Zeitloch manifestiert. Entsprechend definiert<br />
Thompson das probabilistische Kulturgesetz, daß ein Gegenstand<br />
zunäcsht in einem zeitlosen und wertfreien Raum<br />
weiterexistiert, bis daß er zu einem späteren Zeitpunkt (wenn<br />
er bis dahin nicht zu Staub geworden oder gemacht worden ist)<br />
die Chance hat, wiederentdeckt zu werden, um in die Kategorie<br />
der Dauerhaftigkeit transfertiert zu werden . Dieser Zwischenraum, von Thomson limbo benannt, ist ein<br />
Raum der Virtualität oder besser Latenz: „1. condition of<br />
being forgotten and unwanted“; beiseitegelegt. „2. place for<br />
forgotten and unwanted things“ - gleich dem dead letter office<br />
für unzustellbare Briefe. Oder ein heterotopischer Friedhof:<br />
„3. region for souls of unbaptized infants and pre-Christian<br />
righteous persons.“ 101<br />
99<br />
Albert Kümmel, Möglichkeitsdenken. Navigation im fraktalen Raum, in: Weimarer Beiträge, xxx. Vgl. ders.,<br />
Beitrag , in: Daniela Kloock / xxx (Hg.), Medientheorien, München (Fink / UTB) 199xxx, xxx<br />
100<br />
Siehe das Vorwort seines Doktorvaters, des Professors für Mathematik E. C. Zeenan, 710, und Thompson<br />
1981: 94f u. 314<br />
101<br />
Oxford Advance Learner´s Dictionary of Current English (A. S. Hornby), London (Oxford UP) 1974, Eintrag<br />
"limbo", 499<br />
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