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Sammler Journal Gemälde (Vorschau)

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MÖBEL 37<br />

Betpulten ein Widerspruch, der eigentlich<br />

bei allen religiösen Gerätschaften<br />

schwer lösbar ist, besonders<br />

zu. Denn zum Einen ist ja dieses<br />

Möbel zum Niederknien vor dem<br />

Herrn ein Instrument, um sich kleiner<br />

zu machen, um seine Bescheidenheit<br />

zu demonstrieren. Wenn<br />

man aber dieses Möbel besonders<br />

luxuriös herausputzt, so steht dies<br />

im Widerspruch dazu. Es wird selbst<br />

zum Objekt der Prunksucht oder, wie<br />

man im Barock noch auf Lateinisch<br />

sagen konnte, der „Luxuria", die zu<br />

den sieben Todsünden gehört. Umgekehrt<br />

aber ist es auch nicht angemessen,<br />

wenn man ausgerechnet an<br />

dem Möbel, auf dem man seinem<br />

obersten Vorgesetzten gegenüber<br />

tritt, es an allem fehlen lässt. Es gilt<br />

hier also, vielleicht noch mehr als in<br />

allen anderen Bereichen des Lebens,<br />

den schmalen Grat des Angemessenen<br />

zu finden. Dieser Aspekt mag ein<br />

Grund sein, warum man im Bereich<br />

der Gebetspulte auf die ganz luxuriösen,<br />

extravaganten Dekor- und Designlösungen<br />

vergebens hofft. Wenn<br />

ein Chorgestühl über alle Maßen<br />

prunkvoll gestaltet wurde, so ist das<br />

etwas anderes: Hier geht es ums Kollektiv<br />

und es geht um die Ausgestaltung<br />

der Kirche, die das Haus des<br />

Herrn ist. Aber das Betpult ist eindeutig<br />

dem Einzelnen, demütig Betenden<br />

zugeordnet, weshalb sich<br />

hier übermäßig prunkvolles Auftreten<br />

eher verbietet. Ein dritter Typus<br />

ist der schon erwähnte Betstuhl, der<br />

häufig als einfaches Multifunktionsmöbel<br />

auftritt, aber auch als Verwandlungsmöbel<br />

begegnet. Man<br />

kniet also entweder auf einem mehr<br />

oder weniger stark tiefergelegten<br />

Stuhl mit erhöhter Lehne samt Auflagebrett<br />

bzw. Polster – oder man<br />

verwandelt einen Stuhl mit einem<br />

Klappmechanismus in ein Betpult.<br />

MARKT UND PREISE<br />

Das Betpult gehört nicht zu den<br />

ganz hochpreisigen Möbeln, da sein<br />

repräsentativer Wert immer schon<br />

durch seine funktionale Besonderheit<br />

eingeschränkt war und ist. Es<br />

wird also nie mit entsprechenden<br />

Prunkkommoden oder Schränken<br />

konkurrieren können. Dennoch gibt<br />

es auch hier kunsthandwerklich und<br />

kulturgeschichtlich wertvolle Objekte.<br />

Stilistisch interessante Stücke beginnen<br />

in der Zeit des Barock und Rokoko<br />

und erstrecken sich über den<br />

Klassizismus bis in die erste Hälfte<br />

des 19. Jahrhunderts. Eher einer Gebrauchskategorie<br />

zuzuordnen sind<br />

die vor allem in Frankreich und auch<br />

Italien in größerer Zahl erhaltenen<br />

Stücke des Historismus, d. h. es handelt<br />

sich hier nicht im engeren Sinne<br />

um <strong>Sammler</strong>stücke, sondern um Objekte<br />

des Gebrauchs, die es an Charme<br />

und authentischer Ausstrahlung<br />

allemal mit dem aufnehmen können,<br />

was in heutigen Bedarfsgeschäften<br />

für das gepflegte Frommsein<br />

angeboten wird. Während die<br />

kunsthistorischen <strong>Sammler</strong>stücke<br />

eher im unteren vierstelligen Bereich<br />

anzutreffen sind, liegen diese historistischen<br />

Betpulte weit darunter, oft<br />

bei wenigen Hundert Euro. Während<br />

die Betkommoden auch als interessantes<br />

Möbelobjekt eine Aura verbreiten,<br />

sind die historistischen, nun<br />

ja auch schon über hundert Jahre alten<br />

Betpulte mit ihrer meist verschlissenen<br />

Ausstrahlung für sich<br />

von einer eigentümlichen Stimmigkeit,<br />

etwa wie historistische Häuser,<br />

die, weil sie keinem authentischen<br />

Stil angehören, ein merkwürdiges<br />

Ambiente der Zeitlosigkeit bieten.<br />

Gerade ihre stilistische Schwäche<br />

wird ihnen so zu einer funktionalen<br />

Stärke, weil ihr stilistischer Eigengeschmack<br />

nicht so vordrängt. Namhafte<br />

Designer haben sich nicht mit<br />

dem Thema des Betpultes befasst.<br />

Einzige Ausnahme stellt, wie auch in<br />

anderen Fällen, die Firma Thonet dar,<br />

die ein sehr interessantes Betmöbel<br />

geschaffen hat, das jedem Thonetsammler<br />

das Herz höher schlagen<br />

lassen dürfte, auch wenn er kein<br />

frommer Christ ist. Hier überwiegt<br />

dann die Thonetfrömmigkeit.<br />

Betpult, Italien, 18. Jahrhundert, Nussholz,<br />

H 85 cm. In Italien waren die dort<br />

„Inginocchiatoio” genannten Betpulte<br />

besonders beliebt. Dieser schrankartige<br />

Typus war weit verbreitet, da er nicht<br />

nur zum Beten, sondern auch zum Verstauen<br />

verwendet werden konnte<br />

Betpult, Italien (Marken), 1. Hälfte 19.<br />

Jahrhundert. Nussholz, H 88 cm. Einfaches,<br />

sehr funktional gehaltenes Möbel,<br />

das stilistisch dem Biedermeier entspricht

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