Jahrbuch 2008 - Sozialhilfe - Kanton Basel-Stadt
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Zuerst zur Altersvorsorge: Mit der 11. AHV-Revision soll die Finanzierung der ersten Säule mittelfristig<br />
stabilisiert und die Möglichkeiten eines flexiblen Rentenalters verbessert werden. Konkret wird<br />
über eine Vorruhestandsregelung diskutiert, die es auch der unteren Mittelschicht erlauben würde,<br />
vorzeitig in Pension zu gehen. Allerdings sind diese Massnahmen höchst umstritten. Die bürgerliche<br />
Mehrheit möchte bei der Altersvorsorge etwas anderes: stärkere Anreize, damit mehr Leute über das<br />
Pensionsalter hinaus erwerbstätig bleiben. Einzig die Anhebung des Rentenalters für die Frauen auf<br />
65 Jahre scheint kaum mehr umstritten zu sein. Ein erster Anlauf zur 11. Revision scheiterte an der<br />
Urne. Den zweiten Anlauf wollte der zuständige Bundesrat im Parlament gleich selber kassieren. Ob<br />
das Geschäft noch zu retten ist oder ob man die 11. Revision quasi ausfallen lässt und gleich zur 12.<br />
Revision übergeht, wird sich in den nächsten Monaten zeigen.<br />
Die Invalidenversicherung hat nach schwierigen Diskussionen überraschend deutlich in der eben erfolgten<br />
5. Revision ihre Instrumente zur Früherkennung und besseren Integration von Behinderten<br />
bekommen. Ob sie damit die gesteckten Ziele einer markanten Reduktion der Rentenzahlungen erreichen<br />
wird, muss sich allerdings erst noch weisen. Dieser Erfolg wurde aber mit einem schweren Tribut<br />
erreicht. Die materielle Schieflage wurde aus der Vorlage ausgeklammert. Darum bleibt auch die Invalidenversicherung<br />
auf der politischen Agenda. Im Parlament wird um eine Finanzierungslösung hart<br />
gerungen. Die Vorstellungen liegen noch weit auseinander. Bereits wurde aus Kreisen der ‹Oppositionspartei›<br />
eine Referendumsdrohung gegen eine sich abzeichnende Lösung ausgesprochen.<br />
Nicht zu vergessen sind die epischen Diskussionen bei der Krankenversicherung. Eine grosse Revision<br />
scheiterte in der Volksabstimmung. Nun soll in kleinen Paketen die Pflege- und Spitalfinanzierung<br />
neu geordnet werden. Doch selbst diese vergleichsweise bescheidenen Reformvorschläge drohen am<br />
Veto des Volkes zu scheitern, weil sie nicht um eine direkte Mehrbelastung der einzelnen Haushalte<br />
herumkommen.<br />
Schliesslich wird auch über die Revision der Arbeitslosenversicherung verhandelt. Im Zentrum der<br />
Reform steht ein neues Finanzierungsmodell, das davon ausgeht, dass die durchschnittliche Arbeitslosigkeit<br />
über einen Konjunkturzyklus hinweg nicht bei 100 000, sondern bei 125 000 Arbeitslosen<br />
liegt. Dies hat eine Erhöhung des Beitragssatzes zur Folge. Ebenso soll vorübergehend<br />
wieder ein Solidaritätszuschlag auf hohe Lohneinkommen erhoben werden. Neben diesen Massnahmen<br />
auf der Finanzierungsseite sind Einsparungen auf der Leistungsseite vorgesehen, die vor<br />
allem darauf hinauslaufen, die Rechnung der Arbeitslosenversicherung auf Kosten der Betroffenen<br />
und der <strong>Sozialhilfe</strong> zu entlasten. Auch diese Revision ist in höchstem Masse umstritten. Es droht<br />
sogar eine Rücknahme der Vernehmlassungsvorlage, noch bevor diese an das Parlament weitergereicht<br />
wird.<br />
Natürlich hat jede Revision einer Sozialversicherung ihre Besonderheiten. Trotzdem zeichnet sich in<br />
Konturen seit den neunziger Jahren ein Muster ab, welches die Anpassungen der Sozialwerke prägt:<br />
1 Jede Revision in den letzten zwanzig Jahren erfolgt im Kontext der wirtschaftlichen Globalisierung<br />
und der steigenden Ausgaben für die soziale Sicherheit. Damit wird möglichen Verbesserungen<br />
auf der Leistungsseite mit dem Verweis auf die drohende Einschränkung der Wettbewerbsfähigkeit<br />
und den aus dem Ruder laufenden Ausgaben ein Riegel vorgeschoben. Diese<br />
Hürde kann nur noch selten überwunden werden, so etwa bei der Einführung der Mutterschaftsversicherung<br />
oder bei der minimalen Harmonisierung der Familienzulagen. Im Vordergrund<br />
der Revisionen steht stets die Sanierung der Jahresrechnung. Die auflaufenden Defizite<br />
werden dabei selten im gleichen Kontext diskutiert, als ob die finanzielle Schieflage bei der<br />
Arbeitslosen- und bei der Invalidenversicherung nichts mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel<br />
der vergangenen zwei Dekaden und dem radikalen Einbruch auf dem Arbeitsmarkt zu tun<br />
hätte.<br />
2 Die Revisionen finden zunehmend in einem sozialpolitischen Klima der strukturellen Rücksichtslosigkeit<br />
statt. Menschen, die Sozialversicherungsleistungen in Anspruch nehmen, stehen<br />
unter dem Generalverdacht, dass sie diese missbräuchlich beantragen und sich in ungerechtfertigter<br />
Weise Leistungen erschleichen wollen.<br />
3 Der permanente Revisionsdruck spielt die einzelnen sozialen Gruppen von Betroffenen gegeneinander<br />
aus. Immer müssen die einen befürchten, dass für sie keine Mittel mehr vorhanden<br />
sind, wenn sie eine andere Risikogruppe in ihrem Engagement für eine gute Lösung unterstützen.