18.07.2014 Aufrufe

Jahrbuch 2008 - Sozialhilfe - Kanton Basel-Stadt

Jahrbuch 2008 - Sozialhilfe - Kanton Basel-Stadt

Jahrbuch 2008 - Sozialhilfe - Kanton Basel-Stadt

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

68<br />

Ein Mann der innerhalb eines Jahres 120 Bewerbungen geschrieben hatte, führt aus:<br />

«Ich lebe seit einiger Zeit unter dem Existenzminimum. Ich habe kein Auto, leiste mir keine Ferien,<br />

sondern lebe ausschliesslich von meinen Reserven in Bezug auf Kleidung etc. Restaurantbesuche sind<br />

sowieso tabu. Aber es ist auch interessant, festzustellen, dass Konsumverzicht gar nicht so dramatisch<br />

ist. Meine Grundnahrungsmittel beziehe ich aus dem Caritas-Laden. Freunde, die meine Situation<br />

kennen, bringen mir regelmässig Unterstützung durch Naturalien, zum Beispiel Getränke, Brot,<br />

Büchsen etc. Nach aussen muss ich das Gesicht wahren, das heisst, wenn bekannt würde, dass ich von<br />

<strong>Sozialhilfe</strong> lebe, bin ich inakzeptabel. Mein Bruder bezahlt mir ab und zu eine Rechnung, wie Telefon<br />

oder auch mal eine Miete. Meine Wohnung benutze ich zum Teil als Büro, ich brauche ein Minimum<br />

an Infrastruktur, also Telefon, Fax und Internet. Meine Wohnung ist der einzige ‹Luxus›, den<br />

ich mir gönne. Ich bemühe mich regelmässig ernsthaft um Jobs. Ich habe sogar mein CV altersmässig<br />

etwas korrigiert, um meine Chancen zu erhöhen. Ich brauche, mindestens vorläufig, die <strong>Sozialhilfe</strong>.<br />

Ich möchte mich lieber heute als morgen daraus verabschieden.»<br />

Eine Grossmutter hütet gelegentlich das Enkelkind und schreibt, dass sie von seinen Eltern zu Weihnachten<br />

und Geburtstagen Geldbeträge als Geschenk erhalten habe. Anstatt damit persönliche<br />

Wünsche zu erfüllen, habe sie damit Lebenshaltungskosten bestritten. Sie gehe nie zum Coiffeur,<br />

verzichte auf Ausgang, Radio, Zeitungen. Besitze kein Tramabonnement oder Auto und mache keine<br />

Einladungen. Neue Kleider würden nur gekauft, wenn unbedingt nötig. Sie besitze nur die absolut<br />

notwendigsten Geräte, kaufe oft herabgesetzte Lebensmittel und:<br />

«den Moment, von <strong>Sozialhilfe</strong> abhängig zu sein, versuchte ich lange hinauszuschieben und Glauben<br />

Sie mir, ich wäre noch so froh unabhängig zu sein und noch so gerne würde ich meinen Enkel hüten,<br />

ohne Geld dafür zu erhalten…»<br />

Eine allein erziehende Mutter schreibt:<br />

«Ich kann begründen, weshalb ich trotz der hohen Miete noch knapp haushalten kann. Fast jedes<br />

Wochenende nimmt mein in Trennung lebender Ehemann den sechsjährigen Sohn zu sich und entlastet<br />

damit mein Budget. Eine weitere Entlastung bedeutet auch, dass mein Sohn am Dienstag und<br />

am Freitag im Tagesheim ist und dabei auch verpflegt wird. Auch verbringt der Sohn manchmal<br />

einen ganzen Tag bei der Grossmutter. Zudem muss ich fast keine Kleider für das Kind kaufen, weil<br />

ich von Freundinnen Kleider erhalte, die für ihre Kinder zu klein geworden sind. Theater und Kinobesuche<br />

sind für mich Fremdwörter, und oft liegt auch kein Fleisch auf dem Teller. Fazit: Wie Sie den<br />

Zeilen entnehmen können, bedeutet ein Leben mit der <strong>Sozialhilfe</strong> auch ein ständiges Sparen und<br />

Überlegen, wo und wie etwas billig erstanden oder gar auf etwas verzichtet werden kann. Je fantasievoller<br />

eine Person ist, desto mehr kann sie auch mit den vorhandenen finanziellen Mitteln<br />

machen. Ich weiss und bin mir sicher, dass eine solche Denk- und Lebensweise wahrscheinlich nur<br />

Leute, die stets mit wenig Geld leben müssen, sich aneignen können.»<br />

Diese Zitate verschaffen einen Einblick in die Lebenswelt von Armutsbetroffenen: Ihr Blickwinkel<br />

und ihre Kreativität beim Umgang mit wenig Geld werden in diesen Zitaten sichtbar.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!