Jahrbuch 2008 - Sozialhilfe - Kanton Basel-Stadt
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Ein Mann der innerhalb eines Jahres 120 Bewerbungen geschrieben hatte, führt aus:<br />
«Ich lebe seit einiger Zeit unter dem Existenzminimum. Ich habe kein Auto, leiste mir keine Ferien,<br />
sondern lebe ausschliesslich von meinen Reserven in Bezug auf Kleidung etc. Restaurantbesuche sind<br />
sowieso tabu. Aber es ist auch interessant, festzustellen, dass Konsumverzicht gar nicht so dramatisch<br />
ist. Meine Grundnahrungsmittel beziehe ich aus dem Caritas-Laden. Freunde, die meine Situation<br />
kennen, bringen mir regelmässig Unterstützung durch Naturalien, zum Beispiel Getränke, Brot,<br />
Büchsen etc. Nach aussen muss ich das Gesicht wahren, das heisst, wenn bekannt würde, dass ich von<br />
<strong>Sozialhilfe</strong> lebe, bin ich inakzeptabel. Mein Bruder bezahlt mir ab und zu eine Rechnung, wie Telefon<br />
oder auch mal eine Miete. Meine Wohnung benutze ich zum Teil als Büro, ich brauche ein Minimum<br />
an Infrastruktur, also Telefon, Fax und Internet. Meine Wohnung ist der einzige ‹Luxus›, den<br />
ich mir gönne. Ich bemühe mich regelmässig ernsthaft um Jobs. Ich habe sogar mein CV altersmässig<br />
etwas korrigiert, um meine Chancen zu erhöhen. Ich brauche, mindestens vorläufig, die <strong>Sozialhilfe</strong>.<br />
Ich möchte mich lieber heute als morgen daraus verabschieden.»<br />
Eine Grossmutter hütet gelegentlich das Enkelkind und schreibt, dass sie von seinen Eltern zu Weihnachten<br />
und Geburtstagen Geldbeträge als Geschenk erhalten habe. Anstatt damit persönliche<br />
Wünsche zu erfüllen, habe sie damit Lebenshaltungskosten bestritten. Sie gehe nie zum Coiffeur,<br />
verzichte auf Ausgang, Radio, Zeitungen. Besitze kein Tramabonnement oder Auto und mache keine<br />
Einladungen. Neue Kleider würden nur gekauft, wenn unbedingt nötig. Sie besitze nur die absolut<br />
notwendigsten Geräte, kaufe oft herabgesetzte Lebensmittel und:<br />
«den Moment, von <strong>Sozialhilfe</strong> abhängig zu sein, versuchte ich lange hinauszuschieben und Glauben<br />
Sie mir, ich wäre noch so froh unabhängig zu sein und noch so gerne würde ich meinen Enkel hüten,<br />
ohne Geld dafür zu erhalten…»<br />
Eine allein erziehende Mutter schreibt:<br />
«Ich kann begründen, weshalb ich trotz der hohen Miete noch knapp haushalten kann. Fast jedes<br />
Wochenende nimmt mein in Trennung lebender Ehemann den sechsjährigen Sohn zu sich und entlastet<br />
damit mein Budget. Eine weitere Entlastung bedeutet auch, dass mein Sohn am Dienstag und<br />
am Freitag im Tagesheim ist und dabei auch verpflegt wird. Auch verbringt der Sohn manchmal<br />
einen ganzen Tag bei der Grossmutter. Zudem muss ich fast keine Kleider für das Kind kaufen, weil<br />
ich von Freundinnen Kleider erhalte, die für ihre Kinder zu klein geworden sind. Theater und Kinobesuche<br />
sind für mich Fremdwörter, und oft liegt auch kein Fleisch auf dem Teller. Fazit: Wie Sie den<br />
Zeilen entnehmen können, bedeutet ein Leben mit der <strong>Sozialhilfe</strong> auch ein ständiges Sparen und<br />
Überlegen, wo und wie etwas billig erstanden oder gar auf etwas verzichtet werden kann. Je fantasievoller<br />
eine Person ist, desto mehr kann sie auch mit den vorhandenen finanziellen Mitteln<br />
machen. Ich weiss und bin mir sicher, dass eine solche Denk- und Lebensweise wahrscheinlich nur<br />
Leute, die stets mit wenig Geld leben müssen, sich aneignen können.»<br />
Diese Zitate verschaffen einen Einblick in die Lebenswelt von Armutsbetroffenen: Ihr Blickwinkel<br />
und ihre Kreativität beim Umgang mit wenig Geld werden in diesen Zitaten sichtbar.