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WERKBUCH_06_web

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werkbuch<br />

.<strong>06</strong> 3<br />

Methoden kultureller bildung aus dem<br />

bereich der Theaterpädagogik<br />

Didaktische Bemerkung<br />

Pädagogische Bemerkung<br />

Die Übung ermöglicht eine historisch-genetische<br />

Herangehensweise: Der Lernende entdeckt das Maß<br />

in der Art und Weise, wie auch die Menschheit in der<br />

Geschichte das Maß erfand. Die Kinder kommen<br />

meist von selbst darauf, dass es viel geschickter wäre,<br />

sich auf einen Gegenstand zu einigen, möglichst<br />

einen, der „stabil“ ist und sich nicht verformt. Es ist<br />

also nicht mehr weit bis zum Urmeter aus Platin und<br />

Iridium, welches wegen thermischer Ausdehnung bei<br />

0°C gelagert wird. Ein Schüler kam sogar auf die Idee,<br />

dass man etwas nehmen sollte, was nicht kaputt<br />

gehen kann, „irgendetwas Abstraktes“. Irgendwie<br />

erinnert die Idee doch sehr an die Anbindung des<br />

Meters an eine Naturkonstante: die Lichtgeschwindigkeit.<br />

Ein Meter ist die Strecke, die das Licht im<br />

Vakuum in 1 / 299.792.458 Sekunden zurücklegt. Es<br />

ist sehr hübsch, die Schüler bei ihrer Diskussion zu<br />

beobachten. Oft scheint es, als wüssten sie das<br />

Wesentliche bereits und müssten nur noch erkennen,<br />

dass sie es bereits wissen. Man kann so unmittelbar<br />

an dem anknüpfen, was die Kinder mitbringen.<br />

Die Übung kann beliebig im Schwierigkeitsgrad<br />

verändert werden. Beträgt die Abweichung zwischen<br />

den Längen nur einen Millimeter, wird die Aufgabe<br />

auch für Oberstufenschüler interessant. Die Schnüre<br />

sollten dann wegen ihrer Dehnbarkeit durch Drähte<br />

ersetzt werden.<br />

Zweite Übung: Absurde Geschichten<br />

Die Schülerinnen und Schüler sollen als Hausaufgabe<br />

eine Geschichte schreiben, in der viele Größen<br />

vorkommen, die möglichst ungewöhnlich gewählt<br />

sind.<br />

So halten Sie beispielsweise bereits 740 Sekunden ein<br />

ca. 0,0003 Tonnen schweres Buch in den Händen. Die<br />

Geschichte soll ca. eine halbe Seite lang sein. Es<br />

können einzelne Sätze aneinander gereiht werden,<br />

aber lustiger ist es, wenn es einen Zusammenhang<br />

gibt. Über die absurden Größenangaben wird viel<br />

gelacht.<br />

Didaktischer Hintergrund<br />

Das im Grunde stupide und trockene Umrechnen von<br />

Einheiten wird in einen künstlerischen Rahmen<br />

gesetzt. Die Geschichte ist nicht einfach nur eine<br />

Ausschmückung, damit die „eigentliche“ Übung –<br />

nämlich das Umrechnen von Größen – netter daher<br />

kommt. Die Übung ist effektiv! Damit ist gemeint,<br />

dass mehr Synapsenverbindungen im Schülerhirn<br />

verändert werden als im Vergleich zum reinen Pauken.<br />

Vielmehr wird hier Sprache mit Mathematik vernetzt.<br />

Wenn man es so will, handelt es sich um eine fächerübergreifende<br />

Übung. Aber es ist noch mehr. Der<br />

wirkliche Wert in dieser Übung ist die Freude an der<br />

künstlerischen Ästhetik. Der Schüler sucht<br />

„verrückte“ Maßangaben. Er macht das Gegenteil von<br />

dem, was üblich ist, und lernt auf diese Weise – quasi<br />

nebenher –, was eine vernünftige Maßangabe<br />

bedeutet. Es ist didaktisch interessant, dass hier das<br />

Extrem zum Lehrmeister wird. Und dabei liegt die<br />

Motivation in der Suche nach einer humorvollen<br />

Darstellung. So wird die Kunst selbst zum Lehrer.<br />

Man kann die Schülertexte noch stärker würdigen,<br />

indem man den Raum umgestaltet: Der Tisch wird zur<br />

Bühne, der Tageslichtprojektor zum Scheinwerfer<br />

und die Schüler sitzen wie im Theater im Halbkreis<br />

um den Vortragenden. Die Tische wurden einfach<br />

nach hinten geschoben.<br />

Kein Schüler sollte auf die Bühne gezwungen werden.<br />

Es gibt nichts, hinter dem man sich verstecken<br />

könnte. Es ist fast wie eine kleine Mutprobe. Am<br />

besten fragt man die Schüler, ob sie das Klassenzimmer<br />

umgestalten wollen.Wenn sich jemand nicht<br />

traut, kann der Text durch einen mutigen Mitschüler<br />

fremd gelesen werden. Oder er wird am Platz gelesen<br />

und die Hörer schließen dabei die Augen. Das ist<br />

ebenso möglich, in erster Linie geht es darum, eine<br />

äußere Form für die Wertschätzung der Texte zu<br />

finden.<br />

Dritte Übung: Vorstellung großer Zahlen – Modellbau und<br />

das Gefühl für Millionen und Milliarden<br />

Ich höre in den Nachrichten eine Zahl von einigen<br />

Millionen. Kurze Zeit später frage ich mich: Waren es<br />

nicht Milliarden? Vielleicht fällt Ihnen die Unterscheidung<br />

leichter. Natürlich weiß ich den Unterschied<br />

zwischen einer Million und einer Milliarde,<br />

und ich könnte auf Nachfrage die richtige Antwort<br />

geben, aber im (Schüler-)Alltag ist eine Million<br />

„ungefähr“ so viel wie eine Milliarde: viel mehr, als<br />

ich je besitzen werde, und viel mehr, als ich mir<br />

vorstellen kann. Gefühlt sind es Zahlen „knapp“ vor<br />

der Unendlichkeit. Jetzt soll eine Vorstellung von<br />

einer Million oder einer Milliarde gegeben werden,<br />

indem die Schüler maßstabsgetreue Modelle bauen.<br />

Am besten zusammenklappbare Modelle, die ins<br />

Schulheft passen:<br />

Konkrete Umsetzung<br />

Jedes Kind sucht sich ein Zimmer oder ein Haus aus, in<br />

dem er sich außerhalb der Schule häufig und gerne<br />

aufhält, z. B. sein Kinderzimmer, aber auch Küche,<br />

Wohnzimmer oder ein Baumhaus sind möglich. Der<br />

Maßstab wird vorgegeben: 1 m in der Natur entspricht<br />

1 cm im Modell. Damit passt das Modell 1.000.000-<br />

mal ins Original.<br />

Die etwas umständliche Formulierung „jedes Kind<br />

sucht sich ein Zimmer oder ein Haus aus, in dem er<br />

sich außerhalb der Schule häufig und gerne aufhält“<br />

ist Absicht. Nicht jedes Kind hat ein eigenes Kinderzimmer.<br />

Und es sind auch nicht alle Kinderzimmer<br />

gleich groß. Der Schüler gibt mit dieser Hausaufgabe<br />

etwas sehr Persönliches von sich preis. Das ist einerseits<br />

wünschenswert, weil man sich auf diese Weise<br />

näher kennenlernt. Aber es wäre vielleicht schlimm<br />

für Karl, wenn alle sehen würden, dass er nur ein<br />

winziges Zimmer bewohnt oder vielleicht sogar gar<br />

kein eigenes hat. Vielleicht wird sogar nach dem<br />

Grund gesucht, vielleicht ist die Mutter oder der Vater<br />

alleinerziehend. Vielleicht. Auf jeden Fall sind das<br />

Themen, die nicht (einfach so) im Unterricht<br />

aufkommen sollten. Wenn sich der Schüler selbst<br />

aussuchen kann, was er von sich preisgibt, gibt es<br />

keinen solchen Vergleich. Was allerdings bleibt, ist,<br />

dass der Schüler etwas nachbaut, was ihm gefällt.<br />

Damit gibt er nicht seine Zimmergröße und seinen<br />

sozialen Stand bekannt, sondern seine Vorliebe! Das<br />

ist wertvoller und wichtiger für zwischenmenschliche<br />

Begegnungen als die Frage nach dem sozialen<br />

Stand. Es gibt noch einen zweiten Grund, warum der<br />

Schüler ein Zimmer aussuchen sollte, in dem er sich<br />

häufig und gerne aufhält: Er beschäftigt sich mit etwas,<br />

was er mag, was er wertschätzt. Die Mathematik aus<br />

dem Unterricht wird in der alltäglichen Welt zur Realität.<br />

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