WERKBUCH_06_web
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werkbuch<br />
.<strong>06</strong> 3<br />
Methoden kultureller bildung aus dem<br />
bereich der Theaterpädagogik<br />
Der dritte Baustein vertieft den Charakter der Figuren,<br />
ihre Themen und die Sprache des Stückes. Die Spielleitung<br />
löst bestimmte Szenen, die möglichst<br />
dieselben Zitate wie oben enthalten, aus dem Stück<br />
heraus und entnimmt aus diesen wiederum vier bis<br />
zehn kurze Passagen von 4 bis 12 Zeilen, vergleichbar<br />
mit einer fragmentarischen Strichfassung, welche<br />
ungefähr auf die komplette Szene schließen lassen. Es<br />
müssen mindestens so viele Szenen und Passagen<br />
sein, dass miteinander multipliziert die Anzahl der<br />
Gruppengröße erreicht wird. Aufgabe ist nun, in<br />
Kleingruppen die Szene anhand der Text-Passagen<br />
inhaltlich und sprachlich zu durchdringen und mit<br />
Hilfe inszenatorischer Mittel, also mit möglichst viel,<br />
jedoch zumindest der notwendigen Mimik, Gestik<br />
und durch Bewegung den ganzen Bühnenraum<br />
einnehmend, eine in sich geschlossene Szene zu<br />
entwickeln. Diese Szenen müssen sehr symbolhaft<br />
dargestellt werden, da es sich nur um Textbruchstücke<br />
handelt und mehrere Spielerinnen und Spieler<br />
in derselben Szene eine Figur darstellen müssen. Das<br />
ist speziell bei den langen Monologen von Faust und<br />
Mephistopheles im ersten Teil der Fall. Diese Szenen<br />
spielen sich die Kleingruppen gegenseitig vor. Interessant<br />
ist, für welche ästhetischen Mittel und<br />
Lösungen sich die Gruppen entscheiden und wie<br />
deutlich und sinnvoll sie dies in der Szene umzusetzen<br />
vermögen. Das Publikum soll sich kritisch äußern,<br />
wie die jeweilige Szene angekommen ist und gegebenenfalls<br />
Veränderungsvorschläge einbringen.<br />
Der vierte Baustein schlägt die Brücke zwischen<br />
damals und heute, zwischen „uns“ und „den historischen<br />
Figuren“. Auch hier ist die Spielleitung<br />
zunächst vorbereitend gefragt, Szenen aus dem Stück<br />
auf möglichst ½ bis 1 DIN A4-Seite zu kürzen. Möglich<br />
sind hier natürlich wieder „Studierzimmer“, „Straße“<br />
in Kombination zum Beispiel mit „Abend“, „Martens<br />
Garten“, „Nacht“, „Straße vor Gretchens Türe“,<br />
„Kerker“. Es sollten nicht mehr Personen in einer<br />
Kleingruppe vertreten sein, als Figuren in der Szene<br />
vorkommen plus eine Person für die Regie. Bei dieser<br />
Übung kann eine Szene auch mehrmals vergeben<br />
werden. Aufgabe ist, die Szene inhaltlich möglichst<br />
nicht zu verändern, aber eine heutige Sprache und<br />
Körperlichkeit anzuwenden. Komisch erscheint bei<br />
der Präsentation oft die Diskrepanz von Moral- und<br />
Wertekanon von damals und der heutigen Ausdrucksweise.<br />
Aufgabe kann aber auch sein, nicht nur Sprache<br />
und Körperlichkeit, sondern auch den Konflikt der<br />
Szene ins Heute zu transferieren. Oft verändert sich<br />
der Konflikt oder löst sich komplett auf. Auch diese<br />
Übung sollte vom Publikum kritisch reflektiert<br />
werden, auf den spielerischen Einsatz, die Plausibilität<br />
der Szene, aber auch auf die Veränderungen von<br />
Moral, Werten und Normen in Form einer kurzen<br />
Gesellschaftskritik damals und heute. Diese vier<br />
Bausteine können auch bei anderen klassischen<br />
Dramen als theaterpraktische Einheit eingesetzt<br />
werden.<br />
Beispielhafter Lehrplanbezug<br />
U. a. können folgende fachbezogene Kompetenzen durch die theaterpädagogischen<br />
Elemente erreicht werden:<br />
Auszug aus dem Kernlehrplan Deutsch für das Gymnasium Jahrgangsstufe 11<br />
Schülerinnen und Schüler<br />
• den Zusammenhang von Teilaspekten und dem Textganzen zur Sicherung des<br />
inhaltlichen Zusammenhangs herausarbeiten (lokale und globale Kohärenz),<br />
• dramatische, erzählende sowie lyrische Texte unter Berücksichtigung grundlegen<br />
der Strukturmerkmale der jeweiligen literarischen Gattung analysieren und dabei<br />
ein schlüssige Deutung (Sinnkonstruktion) entwickeln,<br />
• Texte im Hinblick auf das Verhältnis von Inhalt, Ausgestaltung und Wirkung<br />
beurteilen.<br />
Bei den oben angeführten Kompetenzerwartungen handelt<br />
es sich um eine exemplarische Auswahl. Diese Auswahl<br />
lässt sich auch für andere Schulformen treffen. Die<br />
entsprechenden Kernlehrpläne für weitere Schulformen<br />
finden Sie auf dem Bildungsportal unter http://www.<br />
standardsicherung.schulministerium.nrw.de/lehrplaene/<br />
lehrplannavigator-s-i/<br />
Die Szenische Einführung zu „Demut vor<br />
deinen Taten Baby“ besteht aus drei<br />
Übungen.<br />
Dieses Stück ist vergleichbar mit einem Krimi. Wird<br />
zu viel vom Plot erwähnt, geht ein Großteil der Spannung<br />
verloren. Was nicht heißen soll, dass ein zweiter<br />
Theaterbesuch unattraktiv wäre. Aber beim ersten<br />
Theaterbesuch sollte man dem Publikum diese Spannung<br />
nicht vorweg nehmen. Bei der Sprache handelt<br />
es sich um Umgangssprache, bei der Besetzung um<br />
lediglich drei Figuren. Allerdings ist die Sprache teilweise<br />
pornografisch gefärbt und scheinbar gewaltverherrlichend.<br />
Ähnlich der Figuren in Kurzgeschichten<br />
ist eine komplette Biografie nicht notwenig.<br />
Die Tragik der Figuren entwickelt sich erst im Verlauf<br />
des Stückes. Für den Vorstellungsbesuch vorbereitet<br />
werden muss neben den pornografischen und den<br />
gewaltverherrlichenden sprachlichen Anteilen nur<br />
die Ausgangssituation der drei jungen Frauen. Sie<br />
leben jede aus einem anderen Grund am Rande der<br />
Gesellschaft, ohne „Sitz im Leben“, ohne Freunde.<br />
Diese Gründe sind später zwar noch für die Charaktere<br />
der Figuren, aber nicht für das Stück von Bedeutung.<br />
Hieraus ergibt sich die erste Übung der szenischen<br />
Einführung.<br />
Übung 1 (Vorbereitung)<br />
Laura Naumann nimmt sich auf den ersten drei Seiten<br />
(3 - 5) ihres Stückes „Demut vor deinen Taten Baby“<br />
die Zeit, um der Leserschaft/dem Publikum die drei<br />
Figuren Lore (Hannelore), Bettie und Mia vorzustellen.<br />
Alle drei leben jede für sich in einem anderen<br />
Dilemma, das sie jede auf ihre Weise mehr oder<br />
weniger hilflos versuchen zu lösen. Sie erzählen dem<br />
Publikum abwechslungsweise davon, fallen sich<br />
beinahe gegenseitig ins Wort. Die Biografien bleiben<br />
aber bis auf die drei Dilemmata weitestgehend im<br />
Dunkeln, was dem Leser/Zuschauer die Möglichkeit<br />
breitester Spekulationen eröffnet, die Biografien der<br />
drei Figuren selbst zu füllen und zum Leben zu erwecken<br />
(biografisches Schreiben, Interview-Technik).<br />
Aus den ersten drei Seiten des Originaltextes wurden<br />
18 Zitate (je 6 Zitate jeder Figur) so herausgenommen,<br />
dass nicht mehr zu erkennen ist, welches Zitat von<br />
welcher Figur gesprochen wird. Es werden auch<br />
keinerlei weitere Hinweise zu diesen Zitaten auf den<br />
einzelnen Zetteln vermerkt.Verteilen Sie die einzelnen<br />
Zitate möglichst ungeordnet an 18 freiwillige Schülerinnen<br />
und Schüler. Diese stecken die Zettel zunächst<br />
ungesehen in die Tasche. Die anderen Schülerinnen<br />
und Schüler benötigen später ein Blatt Papier und<br />
einen Stift.<br />
Übung 1<br />
Die 18 Schülerinnen und Schüler lesen während des<br />
Raumlaufes still ihren Zettel, bewegen sich kreuz und<br />
quer im gesamten Raum, bis sie den Inhalt des Zettels<br />
begriffen und verinnerlicht haben, proben unabhängig<br />
voneinander verschiedene Haltungen aus,<br />
begeben sich dann auf Zeichen der Spielleitung im<br />
gesamten Raum verteilt in eine ihres Erachtens dem<br />
Inhalt entsprechende Haltung (Arme, Beine, Hals,<br />
Kopf, Schultern, Brust, Bauch, Hüfte, Gestik, Mimik,<br />
stehend, liegend, sitzend) und sprechen den Text mit<br />
der entsprechenden stimmlichen Haltung und in der<br />
körperlichen Haltung nicht zu schnell, laut und deutlich<br />
nach vorne zum Publikum, das sich mit Stift und<br />
Papier bewaffnet hat. Die Reihenfolge der „Auftritte“<br />
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