WERKBUCH_06_web
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werkbuch<br />
.<strong>06</strong> 3<br />
Methoden kultureller bildung aus dem<br />
bereich der Theaterpädagogik<br />
Claudia Wulff<br />
Gespielte Biologie: Austraopithecus, Neanderthaler & Ich-<br />
Ein Theaterprojekt zur Ecolution<br />
«Können Fruchtfliegen den Verwandtschaftsgrad mit<br />
potentiellen Sexualpartnern riechen?<br />
» Können Sie, liebe Leserin und lieber Leser, sich<br />
vorstellen, dieses Doktorarbeitsthema auf einer<br />
Bühne getanzt dargestellt zu sehen? Wenn nicht, dann<br />
schauen Sie im Internet nach (www1). Es war der<br />
Gewinner 2011 im regelmäßig stattfindenden Wettbewerb<br />
«Dance your PHD», der seit 2007 vom Science<br />
Magazin ausgeschrieben wird. Dass solche Darstellung<br />
biologischer Inhalte eine große Faszination<br />
bedeuten kann, zeigen auch Beispiele aus außerschulischen<br />
Zusammenhängen: Museen und Science<br />
Center versuchen zunehmend, naturwissenschaftliche<br />
Inhalte künstlerisch-kreativ darzustellen (z. B.<br />
www 2). Bei diesen Darstellungen handelt es sich um<br />
gespielte und getanzte Modelle, die den Transfer vom<br />
Lehrbuchwissen in Bewegungsabläufe leisten. Solche<br />
Methoden lassen sich auch in den Biologieunterricht<br />
integrieren.<br />
Schulisches Lernen und Spiel<br />
Junge Tiere spielen – je intelligenter umso mehr. Sie<br />
erproben dabei ihre Kraft, ihre Reaktionsgeschwindigkeit,<br />
soziale Verhaltensweisen: Sie lernen für ihr<br />
Leben. Auch Kinder lernen von Anfang an im Spiel,<br />
im frühen Alter lässt sich beides oft nicht trennen.<br />
«Jedes individuelle oder soziale Lernen hat einen gewissen<br />
Spielcharakter und jedes Spielen hat einen gewissen Lerncharakter»<br />
(Graf 2004). Mit zunehmendem Alter<br />
verändert sich der Charakter der Spiele – bis ins<br />
Erwachsenenalter. Lernen und Spielen haben viele<br />
Gemeinsamkeiten, z. B. die Neugier als treibende<br />
Kraft und den konstruktiven Charakter. «Lernen ist<br />
kein passives Aufnehmen des Bestehenden, sondern meint<br />
im Grunde einen schöpferischen Akt: Das, was man<br />
vorfindet, wird nicht bloß aufgegriffen und wahrgenommen,<br />
sondern untersucht und gedeutet, erkundet und<br />
abgetastet, verglichen und bewertet. Auf diese Weise<br />
entsteht ein Spiel mit Perspektiven und Standpunkten, ein<br />
Abwägen von Wesentlichem und Unwichtigem, ein Finden<br />
von Originellem und Übertragbarem.» (Duncker 1995)<br />
Unter pädagogischen Gesichtspunkten ist das Spielen<br />
ein «Handeln in einem Schonraum» (Baer 1995). Dieser<br />
Schonraum bietet Schülerinnen und Schüler die<br />
Möglichkeit in einer geschützten Scheinwelt des<br />
Spiels auf Probe zu handeln und sich so Wissen und<br />
Kompetenzen anzueignen. Aber während in den<br />
1980er Jahren Spiele im Biologieunterricht beliebt<br />
waren (vgl. UB 64, UB 172, Friedrich Jahresheft 1995),<br />
gelten Lernen und Spielen angesichts der Umorientierung<br />
von Unterrichtskonzeptionen und immer<br />
enger werdenden Zeitrastern heute oft als<br />
unvereinbar.<br />
Deshalb muss vor einer Unterrichtsplanung abgewogen<br />
werden, ob und wie spielerische Elemente<br />
zum Einsatz kommen. Das Spiel kann dabei eine<br />
«Ergänzung im reichhaltigen Methodenset des<br />
Unterrichtenden » (Graf 2004) darstellen. Unterricht,<br />
der Eigenaktivität herausfordert, der den Lernenden<br />
und Lehrenden Freude bereitet und der Schülerinnen<br />
und Schülerauf der kognitiven und emotionalen<br />
Ebene anspricht, ist motivationsfördernd und<br />
bildungswirksam. (Kasten 1)<br />
Kasten 1<br />
Gespielte Biologie<br />
• wird hier verstanden als Methode der Darstellung<br />
biologischer Sachverhalte und Prozesse mittels<br />
Körpereinsatz.<br />
• ist eine Form der Modellentwicklung bzw.<br />
Modelldarstellung.<br />
• eignet sich besonders für prozesshafte Vorgänge auf<br />
verschiedenen Organisationsebenen (Stoffwechsel,<br />
Wachstum, Evolution).<br />
• dient zur Veranschaulichung biologischer Prozesse<br />
und hat ihren Platz in der Sicherungsphase des<br />
Unterrichtes.<br />
• sollte von Schülerinnen und Schüler wenn möglich<br />
selbst entwickelt werden. Die hier dargestellten<br />
Beispiele stellen Anregungen dar.<br />
• fördert Fähigkeiten und Kompetenzen der Schülerinnen<br />
und Schüler auf verschiedenen Ebenen und<br />
erfüllt die Anforderungen des kompetenzorientierten<br />
Unterrichts.<br />
• fördert Kreativität, Motivation und ganzheitliches<br />
Lernen.<br />
• lässt sich verwirklichen in kleinen Einheiten (eine<br />
Doppelstunde) bis hin zu unterrichtsbegleitenden<br />
großen Projekten.<br />
• regt zu fachübergreifendem Unterricht an.<br />
• macht einfach Spaß!<br />
Spiele sind Modelle<br />
Spiele simulieren reale Situationen. Sie sind aber<br />
immer auch Modelle der Wirklichkeit. Modelle sind<br />
vereinfachte Abbildungen von Originalen (Gropengießer/Kattmann<br />
20<strong>06</strong>). Es gibt verschiedene Modelltypen<br />
und Einteilungskriterien. Gespielte Modelle<br />
gehören im Gegensatz zu den Denkmodellen zu den<br />
Anschauungsmodellen und stellen aufgrund ihrer<br />
Prozesshaftigkeit meistens Funktionsmodelle dar.<br />
Rollenspiele von Kindern bilden Situationen ab, in<br />
denen Kommunikationsmöglichkeiten, Streit und<br />
Versöhnung, Kampf und Freundschaft geübt werden.<br />
Immer ist es möglich, aus der Spielsituation auszusteigen.<br />
Neben dieser Abstraktion, die das Spiel<br />
darstellt, bietet es einen hohen Grad an Komplexität<br />
und Freiraum für Variabilität. Spiele enthalten eine<br />
Mischung aus Zufall und Regelhaftigkeit, die auch für<br />
biologische Prozesse und für unser eigenes Leben<br />
kennzeichnend ist.<br />
Diese Modellhaftigkeit des Spiels lässt sich für viele<br />
biologische Sachverhalte nutzen. Modelle spielen im<br />
Biologieunterricht eine zentrale Rolle, um Strukturen<br />
und räumliche und zeitliche Prozesse zu veranschaulichen.<br />
Die Fähigkeit, mit Modellen zu arbeiten, sie<br />
kritisch zu bewerten und Modelle selbst zu entwickeln,<br />
ist gerade im Biologieunterricht ein wichtiges<br />
Lernziel. Dabei ist die Entwicklung eigener (Spiel-)<br />
Modelle durch die Notwendigkeit, sich intensiv mit<br />
dem zu modellierenden Inhalt zu beschäftigen,<br />
besonders wertvoll. (Kasten 2)<br />
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