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menschen<br />
Reich-Ranicki hielt<br />
„Re<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Jahres<br />
2012“<br />
Würdigung. Der 92-jährige Literaturkritiker Marcel Reich-<br />
Ranicki hat für seine Re<strong>de</strong>, die er am 27. Januar 2012<br />
im Bun<strong>de</strong>stag zum „Tag <strong>de</strong>s Ge<strong>de</strong>nkens an die Opfer <strong>de</strong>s<br />
Nationalsozialismus“ hielt, die Auszeichnung „Re<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />
Jahres 2012“ erhalten. Zugesprochen wur<strong>de</strong> ihm diese<br />
Ehre vom Seminar für Allgemeine Rhetorik <strong>de</strong>r Universität<br />
Tübingen, das seinen präzisen Berichtsstil lobte.<br />
Foto: J. Macdougall/AFP/Getty Images<br />
Reich-Ranicki erinnerte in seiner Re<strong>de</strong> als Überleben<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s<br />
Warschauer Gettos an die Verbrechen <strong>de</strong>r Nazis in Polen. Er<br />
erzählte von <strong>de</strong>n Ereignissen kurz vor und nach <strong>de</strong>m 22. Juli<br />
1942. Damals startete die Deportation <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n aus Warschau<br />
in das Vernichtungslager Treblinka. „Die <strong>de</strong>tailgetreue und von<br />
atmosphärischen Eindrücken durchzogene Erinnerung führt<br />
die Grausamkeit <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>nvernichtung direkt vor Augen“, urteilte<br />
die Jury.<br />
Reich-Ranickis Re<strong>de</strong> sei durch die genaue Beschreibung von<br />
Abläufen geprägt und habe durch ihre Authentizität eine hohe<br />
emotionale Kraft entfaltet. Deshalb sei in <strong>de</strong>r Re<strong>de</strong> auch keine<br />
Spur von „konventioneller Ge<strong>de</strong>nk-Rhetorik“ zu fin<strong>de</strong>n. Bemerkenswert<br />
sei es, dass <strong>de</strong>r Redner ganz auf Mahnungen<br />
und For<strong>de</strong>rungen an die heutigen Menschen verzichtet habe.<br />
Durch die präzisen, anschaulichen Schil<strong>de</strong>rungen sei je<strong>de</strong>r<br />
selbst in <strong>de</strong>r Lage, die Emotionen <strong>de</strong>r Betroffenen nachzuvollziehen.<br />
Präziser Bericht statt Ge<strong>de</strong>nk-Rhetorik<br />
Nicht mehr als zwei einleiten<strong>de</strong> Sätze brauchte Reich-Ranicki,<br />
um sein Anliegen anzukündigen: „Ich soll heute hier die Re<strong>de</strong><br />
halten zum jährlichen Ge<strong>de</strong>nktag für die Opfer <strong>de</strong>s Nationalsozialismus.<br />
Doch nicht als Historiker spreche ich, son<strong>de</strong>rn<br />
als ein Zeitzeuge, genauer: als Überleben<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Warschauer<br />
Gettos.“ Damit verwies <strong>de</strong>r zum Zeitpunkt <strong>de</strong>r Re<strong>de</strong> 91-Jährige<br />
auf seine Situation als Augenzeuge. Dann begab er sich mitten<br />
hinein in die Schil<strong>de</strong>rung einer Szene, die in <strong>de</strong>r Deportation<br />
<strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n aus Warschau kulminierte: „Am 22. Juli fuhren<br />
vor das Hauptgebäu<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Ju<strong>de</strong>nrates im Warschauer Getto<br />
einige Personenautos vor und zwei Lastwagen mit Soldaten.<br />
Das Haus wur<strong>de</strong> umstellt. Den Personenwagen entstiegen etwa<br />
fünfzehn SS-Männer, darunter einige höhere Offiziere. Einige<br />
blieben unten, die an<strong>de</strong>ren begaben sich forsch und zügig ins<br />
erste Stockwerk zum Amtszimmer <strong>de</strong>s Obmanns, Adam Czerniaków.<br />
Im ganzen Gebäu<strong>de</strong> wur<strong>de</strong> es schlagartig still, beklemmend<br />
still. Es sollten wohl, vermuteten wir, weitere Geiseln verhaftet<br />
wer<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>r Tat erschien auch gleich Czerniakóws Adjutant,<br />
<strong>de</strong>r von Zimmer zu Zimmer lief und <strong>de</strong>ssen Anordnung mitteilte:<br />
Alle anwesen<strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Ju<strong>de</strong>nrates hätten sofort<br />
zum Obmann zu kommen. Wenig später kehrte <strong>de</strong>r Adjutant<br />
wie<strong>de</strong>r: Auch alle Abteilungsleiter sollten sich im Amtszimmer<br />
<strong>de</strong>s Obmanns mel<strong>de</strong>n. Wir nahmen an, dass für die offenbar<br />
gefor<strong>de</strong>rte Zahl von Geiseln nicht mehr genug Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s<br />
Ju<strong>de</strong>nrates (die meisten waren ja schon am Vortag verhaftet<br />
wor<strong>de</strong>n) im Haus waren. Kurz darauf kam <strong>de</strong>r Adjutant zum<br />
dritten Mal: Jetzt wur<strong>de</strong> ich zum Obmann gerufen, jetzt bin<br />
wohl ich an <strong>de</strong>r Reihe, dachte ich mir, die Zahl <strong>de</strong>r Geiseln zu<br />
vervollständigen. Aber ich hatte mich geirrt.“<br />
Einige Absätze später berichtete Reich-Ranicki: „Schon am<br />
ersten Tag <strong>de</strong>r Umsiedlung war es für (<strong>de</strong>n Obmann <strong>de</strong>s Ju-<br />
14 wirtschaft+weiterbildung 02_2013