10 Frauenzentrierte Ansätze in der Gesundheitsförderung und in der ...

Frauenzentrierte Ansätze in der Gesundheitsförderung und in der gesundheitlichen Versorgung 629
so die Arbeit am Selbstwertgefühl. Gefördert wird das Erlernen von imaginativen Verfahren
sowie von Distanzierungstechniken und Entspannung. Ein sensibler Umgang
miteinander in der Gruppe muß auch gewährleistet sein, ehe am erlebten Trauma gearbeitet
wird. Würden zu Beginn - ohne das Erlernen stabilisierender und distanzierender
Strategien - die traumatisierenden Erlebnisse besprochen, verstärkten sich eher die Ohnmachtsgefühle.
Erst nach der Stabilisierungsphase kann die eigentliche Arbeit am Trauma
beginnen. Medikamente werden nach Möglichkeit nur im Krisenfall gegeben, da sie
den Hirnstoffwechsel und die Wahrnehmung verändern.
Die spezifische Behandlungsweise in der Gruppe mit den Frauen, die gynäkologische
Operationen hinter sich haben oder an weiblichen Organen erkrankt sind, zeichnet sich
durch eine Neubewertung und die Vermittlung eines anderen Verständnisses für
weibliche Organe, Körper, Lebensphasen und Symptome aus. Dazu gehört die kritische
Betrachtung dessen, wie weibliche Organe oder das Phänomen Klimakterium gesellschaftlich,
aber auch vielfach in der Gynäkologie definiert werden und welche
Bedeutung ihnen beigemessen wird. Ferner stellt die Therapeutin andere mögliche
Bedeutungen für Symptome zur Verfügung. Frauen in den Wechseljahren werden z. B.
oft Depressionen nachgesagt, körperlichen Erlebnisse wie Hitzewallungen werden als
Krankheit angesehen und mit Hormonen behandelt. Die Expertinnen dagegen betrachten
die Hitze als Kraft, der Körper signalisiert Veränderungsfähigkeit. Sie deuten das Symptom
so als Symbol für Wandlung. Die Wechseljahre bieten vielen Frauen eine Chance
zum Neuanfang nach langen Jahren vorrangiger Beschäftigung mit der Familie. Betont
wird auch, daß Hormone Medikamente sind, die nur in Anspruch genommen werden
sollten, wenn Krankheiten vorliegen, und daß es bei Beschwerden Alternativen zur
Hormonbehandlung gibt.
Der therapeutische Ansatz ist auch am Beispiel der Arbeit mit Frauen zu verdeutlichen,
deren Brust operiert oder amputiert wurde. Die Bewältigung der Brustoperation setzt
einerseits die Beschäftigung mit der Erkrankung, der Behandlung und den Behandlungsfolgen
voraus, andererseits die Arbeit am Selbstwertgefühl der Frauen. Auch hier geht
es um die Neubewertung der Brust als Organ, das für das Selbstverständnis von Frauen
sehr wichtig ist. Es kann nur etwas betrauert werden, dessen Wert bewußt ist. Um
amputierte Organe trauern zu können ist für die Krankheitsverarbeitung zentral.
Die Expertinnen in Bad Wildungen haben ein Konzept entwickelt, das sich an der
sozialen Situation, der gesellschaftlichen Bewertung und den daraus resultierenden
Lebensgefühlen von Frauen orientiert. Für die Mitarbeiterinnen in der Frauenabteilung
wurden Standards entwickelt: Sie müssen Therapieziele, Therapiesetting und Arbeitsweise
mit tragen und im Umgang mit Übertragung, Gegenübertragung und Sexualität
übereinstimmen. Eine Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle als Frau ist für die
Arbeit hilfreich. Durch regelmäßige Teambesprechungen und Weiterbildung werden
diese Standards gesichert.