10 Frauenzentrierte Ansätze in der Gesundheitsförderung und in der ...

658 Bericht zur gesundheitlichen Lage von Frauen in Deutschland
sie wirklich verstanden und in Ruhe verarbeitet werden können, ohne unnötigen
Zeitdruck und einschließlich der Ermutigung, bei Zweifel eine weitere Meinung
einzuholen. In Kenntnis der Verbreitung von sexualisierter Gewalt, aber auch von
anderen Formen der Diskriminierung von Frauen sollte es als Recht der Patientin gelten,
die Behandlung durch weibliche Fachkräfte - insbesondere bei körpernahen und
psychotherapeutischen Behandlungen, die Intimitäts- und Schamgrenzen berühren
können - oder die Gesprächsmöglichkeit in einer Frauengruppe zu wählen. Dieses Recht
ist erst Wirklichkeit, wenn die Wahl keiner Begründung bedarf, weil die Möglichkeit
der Therapeutin bzw. der Frauengruppe von vornherein als Angebot präsent ist.
Die Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Erfahrungen, eine angemessene
Informations- und Behandlungskultur und die Wahlfreiheit, über peinliche oder intime
Fragen mit Fachkräften des eigenen Geschlechts zu sprechen bzw. von ihnen behandelt
zu werden, sollten ebenso selbstverständlich für Männer gelten. Auch sie bedürfen einer
für geschlechtsbedingte Risiken und Ressourcen sensiblen Gesundheitsförderung und
gesundheitliche Versorgung. Geschlechtssensible Angebote entstehen dann, wenn die
fachlich Verantwortlichen sich der Beeinträchtigung ihrer Lebenskräfte und
persönlichen Entfaltung durch einschränkende Geschlechtervorgaben bewußt werden
und eine andere Rangordnung der Werte für sich und im Umgang mit anderen suchen.
Die in diesem Sinne kritische Hinterfragung gesellschaftlicher Erwartungen an das
männliche Geschlecht hat jedoch in Medizin und Psychotherapie bislang keine Lobby.
In der Gesamtschau der untersuchten frauenzentrierten Ansätze und der rückblickende
Bewertung verschiedener Versorgungserfahrungen durch Nutzerinnen kann
zusammengefaßt werden, daß sich die Berücksichtigung geschlechtsspezifischer
Aspekte für einen Vorrang der Prävention gegenüber der kurativen Behandlung, sowie
der ganzheitlichen und Kräfte mobilisierenden Behandlung gegenüber dem Einsatz von
Medikamenten, Geraten und invasiven Verfahren förderlich auswirkt. Von diesem
Sektor können wichtige Anstöße zu einer vernünftigen, klug wirtschaftenden und
humanen Weiterentwicklung des Gesundheitssystems erwartet werden.