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Zeitschrift SENIOREN - Senioren Zeitschrift Frankfurt

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Blick über den Tellerrand<br />

Ein anrüchiger Konflikt zwischen<br />

Neu-Isenburg und seinen Nachbarn<br />

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts<br />

hielt die Industrialisierung<br />

im Rhein-Main-Gebiet Einzug.<br />

Zu Tausenden strömten die Menschen<br />

nach <strong>Frankfurt</strong>, um sich hier als Fabrikarbeiter<br />

eine neue Existenz aufzubauen.<br />

Sie fanden in der Stadt Arbeit, jedoch<br />

bezahlbaren und menschenwürdigen<br />

Wohnraum oft nur im Umland. Ein bevorzugter<br />

Wohnort für <strong>Frankfurt</strong>er Arbeiter<br />

war Neu-Isenburg, weil die Gemeinde<br />

gute Verkehrsverbindungen nach <strong>Frankfurt</strong><br />

besaß. Auf Dauer wollte sich Neu-<br />

Isenburg aber nicht mit der Rolle des<br />

Wohnquartiers für <strong>Frankfurt</strong>er Pendler<br />

begnügen, sondern auch als Standort<br />

moderner Fabriken von der Industrialisierung<br />

profitieren. 1898/99 wurden ein<br />

Wasser- und ein Elektrizitätswerk in Betrieb<br />

genommen, um Dampfmaschinen<br />

und Generatoren antreiben zu können.<br />

Straßen wurden angelegt und Industriegebiete<br />

erschlossen. Nur eines übersahen<br />

die Neu-Isenburger Stadtväter – für<br />

eine adäquate Entsorgung der immens<br />

angewachsenen Abwässer zu sorgen.<br />

Aus den Handwerksbetrieben, Fabriken<br />

und den stark erweiterten Wohngebieten<br />

floss die trübe, stinkende Brühe in<br />

offenen Kanälen durch die Stadt in die<br />

umliegenden Wälder. Bei Regen liefen<br />

die Abwässer sogar in manche Häuser.<br />

Als man das Versäumnis erkannte, war<br />

kein Geld mehr für Investitionen in Kanalsysteme<br />

und ein Klärwerk in den städtischen<br />

Kassen.<br />

Die fehlende Schmutzwasserentsorgung<br />

wurde nicht nur für die Neu-<br />

Isenburger, sondern auch für die Nachbarn<br />

der Gemeinde zum Ärgernis. Die<br />

Abwässer aus dem westlichen Stadtgebiet,<br />

in dem sich Schreinereien, Hasenhaarschneidereien<br />

und metallverarbeitende<br />

Betriebe angesiedelt hatten, flossen<br />

in den großherzoglich-hessischen<br />

Wald an der Haltestelle der Main-Neckar-<br />

Bahn, dem heutigen Neu-Isenburger<br />

S-Bahnhof. Dort wurden sie in eine<br />

Sickergrube geleitet, die bei Regen<br />

regelmäßig überlief und den Wald mit<br />

giftiger Brühe überschwemmte.<br />

Die Abwässer aus der dichten Wohnbebauung,<br />

den Werkstätten und den<br />

62 SZ 4 / 2011<br />

Erst 1914 wurden die Neu-Isenburger Schmutzwässer<br />

in das Klärwerk Niederrad eingeleitet.<br />

Foto: Institut für Stadtgeschichte<br />

<strong>Frankfurt</strong> am Main<br />

zahlreichen Wäschereien im östlichen<br />

Stadtgebiet ergossen sich direkt in den<br />

Bach, den die <strong>Frankfurt</strong>er Königsbach<br />

nennen, die Neu-Isenburger Luderbach<br />

oder auch Erlenbach. Eine der Erklärungen<br />

zum Namen „Luderbach“ lautet<br />

„lauterer Bach“, also klarer Bach. Am<br />

Beginn des 20. Jahrhundert war der<br />

Luderbach aber alles andere als klar.<br />

Die Neu-Isenburger Abwässer vewandelten<br />

ihn in ein totes, stinkendes Rinnsal,<br />

das durch den <strong>Frankfurt</strong>er Stadtwald<br />

waberte.<br />

Behörden in <strong>Frankfurt</strong> und im Großherzogtum<br />

Hessen-Darmstadt versuchten,<br />

der Umweltverschmutzung Einhalt<br />

zu gebieten. Im Mai 1909 forderte die<br />

Forstabteilung der <strong>Frankfurt</strong>er Stadtkämmerei<br />

die Stadt Neu-Isenburg energisch<br />

auf, die Reinigung der Abwässer<br />

sicherzustellen und alle direkten Zuleitungen<br />

zum Luderbach abzutrennen.<br />

Diese Forderungen stießen in Neu-<br />

Isenburg zunächst auf taube Ohren. Ein<br />

Jahr später war die Situation im Stadtwald<br />

immer noch unverändert. Auf die<br />

unhaltbaren Zustände machte im März<br />

1910 mit sarkastischem Humor ein Reim-<br />

schmied in der <strong>Frankfurt</strong>er Zeitung<br />

„Die Sonne“ aufmerksam. In gutem Hessisch<br />

versah der Dichter dabei den von<br />

ihm besungenen Luderbach mit einem<br />

weiblichen Artikel, es heißt bei ihm also<br />

„die Bach“:<br />

Frühlingslied<br />

von Hinko von der Luderbach.<br />

0 Ihr milden Frühlingslüfte! Die Natur<br />

wird wieder wach. Aber schauderbare<br />

Düfte steigen aus der Luderbach.<br />

Von ganz Isenburg die Jauche<br />

schwemmt in <strong>Frankfurt</strong>s Wald die<br />

Bach, und vor ihrem Pestgehauche<br />

wird dem Wandrer angst und<br />

schwach.<br />

Luderbach! Ich kann nicht dichten,<br />

wenn ich hab die Näse voll. Ich erfüll<br />

des Dichters Pflichten anderswo<br />

fortan – Leb wohl!<br />

Nach einem weiteren anrüchigen Sommer<br />

berichtete im September 1910 ein<br />

<strong>Frankfurt</strong>er Schutzmann:<br />

„Die Ufer […] sind teilweise ganz<br />

flach und tritt das Wasser in den<br />

Wald, wo es langsam verdunstet.<br />

Da der Bach […] nur wenig Wasser<br />

führt, […] trocknet er bei regenlosem<br />

Wetter aus und verbreitet der dann<br />

zurückbleibende Schlamm die üblen<br />

gesundheitsschädlichen Gerüche.<br />

In dem Schlamm hat auch das<br />

Ungeziefer gute Brutplätze und ist es<br />

an warmen Tagen fast unmöglich,<br />

vor Mücken und Schnaken in die Nähe<br />

des Baches zu gehen.“<br />

Das <strong>Frankfurt</strong>er Forstamt drohte nun<br />

mit rechtlichen Schritten. Gleichzeitig<br />

kündigte die großherzoglich-hessische<br />

Forstbehörde an, an der Main-Neckar-<br />

Bahn einen Wall zu errichten. Dieser<br />

hätte die Neu-Isenburger Schmutzwässer<br />

von der Sickergrube im großherzoglichen<br />

Wald abgeschnitten, sodass sie in die<br />

Stadt zurückgelaufen wären.<br />

Nun endlich kam Bewegung in die<br />

stinkende Angelegenheit. Nach langwierigen<br />

Verhandlungen schlossen Neu-<br />

Isenburg, <strong>Frankfurt</strong> und das Groß-

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