Klinoskop 4/2010 - Klinikum Chemnitz
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12<br />
Behandlungsentscheidung am Lebensende<br />
nach Indikation und Patientenwille<br />
Eine mehrschichtige Betrachtung<br />
Der Arzt hat ein Behandlungsrecht, wenn<br />
es der Patient zulässt. Der Körper des Patienten<br />
ist sozusagen „fremdes Hoheitsgebiet“.<br />
Den Eingriff legitimieren nur Indikation<br />
und Patientenwille. Nach Indikation und<br />
Patientenwillen erfolgt die Therapiezielbestimmung.<br />
Die Rangfolge 1. Indikationsstellung,<br />
2. Feststellung des Patientenwillens<br />
und 3. Therapiezielbestimmung ist zu<br />
beachten.<br />
Seit dem 1. September 2009 ist der elementarste<br />
Grundsatz des Medizinrechts „in<br />
Paragraphen gekleidet worden“. § 1901 b<br />
BGB verlangt zuerst vom Arzt die Indikationsstellung.<br />
Was nicht indiziert ist, verbietet<br />
sich bei Therapieentscheidungen am<br />
Lebensende in der Regel von selbst. Was indiziert<br />
ist, wird dem Patienten oder dessen<br />
Vertreter angeboten. Sodann entscheidet<br />
der Patientenwille über die Annahme des<br />
Behandlungsangebots.<br />
Indikation und<br />
Patientenwille<br />
Die Definitionen von Indikation sind zahlreich<br />
und enthalten immer allgemeine<br />
Wertvorstellungen. Wichtig ist die Abwägung<br />
zwischen Nutzen und Schaden. Nur<br />
was Sinn macht, ist zu tun. Wichtig ist das<br />
neue Patientenverfügungsgesetz 9/2009, §<br />
1901 a BGB:<br />
Die Ermittlung des Patientenwillens geschieht<br />
schrittweise nach folgendem<br />
Subsidiaritätsprinzip:<br />
a) Kann der Patient seinen Willen aktuell<br />
frei bilden und äußern, dann ist Aufklärung<br />
anzubieten und unter Umständen<br />
aufzuklären. Es empfiehlt sich einen<br />
größeren Kreis mit Angehörigen, gegebenenfalls<br />
Pflegekräften und Seelsorgern<br />
einzubeziehen, gegebenenfalls<br />
auch einen „runden Tisch“ einzuberufen.<br />
Die Entscheidung des Patienten ist<br />
verbindlich.<br />
b) Kann der Patient seinen Willen aktuell<br />
nicht sicher feststellbar frei bilden<br />
und äußern, ist die selbe Vorgehensweise<br />
wie bei a) zu beachten, wobei<br />
die Reaktion des Patienten zu evaluieren<br />
ist und je nach Verwertbarkeit in<br />
die Entscheidung einfließen soll. Die<br />
Entscheidung in einer „Mischform“ aus<br />
Geäußertem und Vertreterentscheidung<br />
ist verbindlich.<br />
c) Kann der Patient seinen Willen nicht<br />
mehr frei bilden und/oder äußern, ist<br />
nunmehr die Vertreterentscheidung<br />
– Bevollmächtigter oder rechtlicher<br />
Betreuer – nach der<br />
n Vorausverfügung des Patienten in<br />
Schriftform: „Patientenverfügung“<br />
(§ 1901a Abs.1, Satz 1 BGB)<br />
verbindlich oder nach der<br />
n Vorausverfügung des Patienten in<br />
mündlicher Form: „Behandlungswün -<br />
sche des Betreuten“ (§1901a Abs. 2,<br />
Satz 3 BGB) verbindlich oder nach dem<br />
n mutmaßlichen Wille des Patienten<br />
(§1901a Abs. 2 BGB) verbindlich.<br />
Therapiezielbestimmung<br />
Die Therapie muss immer ein Ziel vor Augen<br />
haben. Eine Therapie ohne ein Ziel ist<br />
nicht zulässig. Lässt sich ein Therapieziel<br />
nicht bestimmen, so ist nur noch Palliation<br />
legitimiert.<br />
Das Zulassen des Sterbens ist keine „Beendigung<br />
der Therapie“ sondern eine „Therapiezieländerung“<br />
mit dem fließenden<br />
Übergang vom kurativen zum palliativen<br />
Ansatz (vgl. Grundsätze der BÄK zur ärztlichen<br />
Sterbebegleitung 2004). Der Arzt<br />
hat den Willen des Patienten – geäußert,<br />
vorgeäußert oder mutmaßlich – zu ermitteln<br />
und bei seiner Therapieentscheidung<br />
als verbindlich zu beachten, § 1901a BGB.<br />
Die Pflege ist verpflichtet, ärztliche Anordnungen<br />
im Rahmen der Behandlungspflege<br />
umzusetzen. Ärztliche Anordnungen stehen<br />
nicht zur Disposition der Pflege (BGH NJW<br />
2005, 2385).<br />
Betreuungsgerichtliche<br />
Mitwirkung<br />
Genehmigungsvorbehalt für Vertreterhandeln<br />
nach § 1904 BGB: Es besteht eine Genehmigungspflicht<br />
durch das Betreuungsgericht<br />
für Zustimmungen des Betreuers<br />
oder des Bevollmächtigten für das Zulassen<br />
des Sterbens durch Nichtbeginn oder Beendigung<br />
lebenserhaltender Therapie, § 1904<br />
Abs. 2, BGB.<br />
Jedoch besteht keine Genehmigungspflicht<br />
durch das Betreuungsgericht bei Konsensfällen:<br />
Nach §1904 Abs. 4 BGB ist keine betreuungsrichterliche<br />
Genehmigung für das<br />
Zulassen des Sterbens erforderlich, wenn<br />
zwischen Betreuer (bzw. Bevollmächtigten)<br />
und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber<br />
besteht, dass man nach dem Willen<br />
des Patienten handelt. Das Betreuungsgericht<br />
überprüft nicht das ärztliche Handeln,<br />
sondern überprüft, ob das Vertreterhandeln<br />
dem Patientenwillen entspricht.<br />
Ärzte verweigern aus moralischen Gründen<br />
das Unterlassen oder den Abbruch lebenserhaltender<br />
Maßnahmen. Die betreuungsrichterliche<br />
Entscheidung zum Vertreterhandeln<br />
verpflichtet jedoch den Arzt nicht zur Mitwirkung.<br />
Das heißt: der Patient oder sein<br />
Vertreter müssen sich einen Arzt suchen,<br />
der nach dem Patientenwillen handelt.<br />
Substitution<br />
Substitution bedeutet, dass man jene physiologischen<br />
Vorgänge, die der Körper des<br />
Patienten nicht mehr selbst leisten kann,<br />
ersetzt. Dies ist bei einer heilbaren Krankheit<br />
vorübergehend durchaus angebracht,<br />
so bei einer Verletzung im Halsbereich nach<br />
Unfallfolge die Ernährung über eine PEG<br />
Sonde vorzunehmen.<br />
Auch in der Intensivmedizin geht man<br />
davon aus, dass in aller Regel bei den<br />
meisten Patienten, die eine maximale<br />
Therapie erhalten, zunächst einmal entsprechend<br />
einer medizinischen Indikation<br />
und entsprechend ihrem geäußerten oder<br />
mutmaßlichen aktuellen Willen eine Behandlung<br />
begonnen wurde. Erst wenn hier<br />
oder vielleicht in der nachfolgenden Reha-<br />
Behandlung alle Möglichkeiten erschöpft<br />
sind und der Patient zwar überlebt hat,<br />
aber schwerst und irreversibel geschädigt<br />
ist, beginnt das eigentliche Problem: die<br />
Substitution.<br />
Auch Substitution ist nur zulässig, wenn sie<br />
dem Patientenwillen entspricht und bedarf<br />
der Rechtfertigung, denn „substituieren“<br />
bedeutet nicht „heilen“.<br />
Für einen Patienten, egal ob bewusst oder<br />
bewusstlos, kann es nur zwei Kriterien für<br />
eine Substitution geben:<br />
n er will gesund werden<br />
n er will so leben<br />
Somit muss für Lebensverlängerung bei einem<br />
willensunfähigen Patient