Klinoskop 4/2010 - Klinikum Chemnitz
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Die 33 Fragen mit Reinhold Messner<br />
Über seine Zeit als Politiker, den Yeti-Witz, Neid und<br />
Erfolg, sein Parfüm und das Altern<br />
Die Legende sieht noch etwas müde aus,<br />
als wir uns im Frühstücksbuffet im nicht unschicken<br />
Hotel an der Oper in <strong>Chemnitz</strong> begegnen.<br />
Reinhold Messner (Jahrgang 1944,<br />
Brixen) ist nicht ganz so groß wie man vermutet,<br />
aber er sieht sich sehr ähnlich. Dass er in<br />
die Geschichte einging, ist letztlich nicht nur<br />
eine Folge der überlebensgroßen Reihung von<br />
8000er Besteigungen und Wüstenquerungen,<br />
sondern im gleichen Maße auch seiner begnadeten<br />
Ausstrahlung.<br />
Am Vorabend hat er in der Stadthalle einen<br />
Abriss seiner Projekte präsentiert, die bis auf<br />
wenige Ausnahmen Triumphe waren. Anders als<br />
im Fernsehen, in dessen Senderegime auch der<br />
Souverän in seinen Aussagen unversehens verkürzt<br />
und verstümmelt wird, verstand man nach<br />
fünf Minuten, dass Messner auch ein großer<br />
Erzähler ist. Hinter diesen Geschichten stecken<br />
ungefähr fünf Leben, jedes für sich genommen<br />
größer als ein normales Dasein in der Gegenwart.<br />
Seine Passion der Gegenwart sind freilich<br />
die Selbstversorgerhöfe und das Messner Mountain<br />
Museum in Südtirol. Mit Konzept und Optik<br />
dieser Museen versetzt er wieder einmal die<br />
Maßstäbe, aber dazu kommen wir noch.<br />
Freundlich weisen wir darauf hin, dass er Fragen<br />
bekommt, die er wahrscheinlich noch nie<br />
beantworten musste. Messner antwortet mit<br />
einem freundlich-skeptischen Blick, so richtig<br />
kann er sich das nicht vorstellen. Das Thema<br />
Berge wollen wir so lange wie möglich ausklammern,<br />
einen Messner langweilt man nicht.<br />
Er sich selbst auch nicht: Schon ein paar Tage<br />
später wird er wieder in Nepal sein.<br />
Seine recht übersichtliche Frühstückswahl<br />
hat er schon auf dem Tisch bereit gestellt,<br />
wir zögern daher noch mit der ersten Frage.<br />
Und dann kommt der unnachahmliche<br />
Stimmfall, den man schon seit 30 Jahren<br />
kennt, damals noch aus dem Westfernsehen.<br />
Sie können auch anfangen.<br />
Enger Terminplan heute?<br />
Keine Enge.<br />
Ihre machtloseste Phase war sicher die Zeit<br />
als Europa-Abgeordneter?<br />
Das würde ich nicht sagen. Nein. Die machtloseste<br />
Phase war, als ich mit einem faschistoiden<br />
Expeditionsleiter auf Expedition ging. Der<br />
hat uns einen Vertrag untergejubelt, mit dem<br />
man heute nicht mehr durchkommen würde.<br />
Kein Mitglied der Expedition durfte irgendetwas<br />
veröffentlichen. Damit hatte er ein Monopol<br />
und konnte im Grunde die gesamte Veröffentlichung<br />
fälschen, was er auch getan hat.<br />
Damit könnte möglicherweise Karl Herligkoffer<br />
gemeint sein. Wir fragen nicht weiter.<br />
Wenigstens etwas enttäuscht von der Politik?<br />
Nein, das würde ich nicht sagen. Ich habe kein<br />
gebrochenes Verhältnis zur Politik, aber ein<br />
differenzierteres, seit ich das gemacht habe.<br />
Ich habe vor einigen Politikern mehr Respekt<br />
als früher. Die Politik kann viel weniger tun als<br />
wir alle glauben. Ich bin heute der Meinung,<br />
dass in Mitteleuropa die Medien schon mehr<br />
Macht haben als die Politik.<br />
Der aktuelle Literaturnobelpreisträger Vargas<br />
Llosa umschreibt die Politiker Südamerikas<br />
der Gegenwart als „schaurige Clowns<br />
und aufgeblasene, eitle Schwindler“. Nur ein<br />
Problem dieser Region?<br />
Zum Teil gilt das für Südamerika. Ich weiß<br />
nicht, ob es auch für Brasilien gilt. Dort gibt es<br />
eine gute Entwicklung.<br />
Mit Alberto Moravia nur über Literatur<br />
gesprochen?<br />
Über Politik und Literatur. Aber mehr Politik.<br />
Aber das ist lang her.<br />
Was hält Christoph Ransmayr von Ihrem<br />
Schreibstil?<br />
Christoph Ransmayr ist ein Literat, und ich<br />
bin ein Sachbuchautor. Ich bin der Sache<br />
verpflichtet…<br />
Über Stilistik unterhält man sich folglich<br />
nicht unter Freunden.<br />
Nein.<br />
Favorisierte bildende Künstler?<br />
Recht gern mag ich den Herbert Brandl. Gerhard<br />
Richter mag ich sehr. Ich hätte gern ein<br />
Bergbild von Richter. Diese Bergbilder sind<br />
wunderbar. Richter ist ein großartiger Künstler.<br />
Und Anselm Kiefer – auch wenn das im Geist<br />
der Kunst faktisch das Gegenteil von Richter<br />
ist.<br />
Sie haben dann noch keinen Gerhard<br />
Richter?<br />
Nein. In unseren Museen arbeiten wir mit Originalen,<br />
ein Richter ist zu teuer für mich.<br />
Ihre Autoren?<br />
Mein favorisierter Autor ist Christoph Ransmayr,<br />
was immer er schreibt. Und Cormac<br />
McCarthy. In „Die Straße“ zaubert er so starke<br />
Bilder, das ist ja sehr schwierig. Der Film<br />
kommt da nicht heran.<br />
Der Sinn des Lebens besteht in der Arbeit,<br />
meinte Kant.<br />
Reinhold Messner ist ein fabelhafter Vortragender seiner<br />
Abenteuer – ein Abend mit ihm ist auch im großen<br />
Auditorium ein Erlebnis.<br />
Da bin ich ganz anderer Meinung. Es gibt keinen<br />
Sinn des Lebens. So etwas wird über die<br />
Religion postuliert. Das Göttliche ist nicht Gott,<br />
sagte Hölderlin. Und ich sehe es im Hölderlinschen<br />
Sinne: Wir haben die göttliche Möglichkeit,<br />
Sinn zu stiften. Ich kann mir die Möglichkeit<br />
machen, etwas wichtiger zu machen als<br />
anderes und dadurch entsteht Sinn. – Das ist<br />
eine Kantsche Aussage, die für eine bestimmte<br />
Zeit galt, und so haben das die Leute auch damals<br />
empfunden.<br />
Sie mögen Hölderlin?<br />
Ja, den mag ich.<br />
Kann man sich auf die Intuition verlassen<br />
oder ist das Unsinn?<br />
Man muss sich zum Teil auf die Intuition verlassen.<br />
Intuition ist nichts anderes als die<br />
Summe aller Erfahrungen, die der Mensch aus<br />
dem Tierreich heraus mitgenommen hat. Im<br />
Grunde sind wir ja Intuitionsentscheider für<br />
schwierige und gefährliche Situationen: Da<br />
kann ich nicht rational entscheiden, weil die<br />
Ratio viel zu langsam ist.<br />
Liebe und tu, was du willst, schrieb Augustinus.<br />
Könnten Sie dem beipflichten?<br />
Ja - das würde ich sagen. Warum soll ich nicht<br />
meine Sache machen? Wundert mich, dass<br />
das Augustinus sagt… Es wird ja gern als<br />
Egoismus kritisiert, wenn jemand seine Sache<br />
machen will. Aber warum sollte ich auch<br />
den Spießbürgern nach dem Munde reden und<br />
nachgeben und deren Sache machen?<br />
Weil die zeitgenössische Gesellschaft so<br />
etwas voraussetzt und gelegentlich auch<br />
einfordert…<br />
Weil die zeitgenössische Gesellschaft den Moralkodex<br />
geschaffen hat. Der Moralkodex ist ja<br />
nicht in der Kirche entstanden, sondern in Mil-<br />
P e r s o n e n & Fa k t e n<br />
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