Klinoskop 4/2010 - Klinikum Chemnitz
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Statt Todkranke um jeden Preis am Leben zu erhalten, müssen Mediziner lernen, in aussichtslosen Situationen ein<br />
friedliches Sterben zu ermöglichen, meint der Arzt Michael de Ridder. Foto: Bananastock<br />
n eine Aussicht auf Besserung bejaht<br />
werden, die der Patient auch mutmaßlich<br />
erleben will, oder<br />
n der mutmaßliche Wille des Patienten<br />
stellt fest, dass er seinen komatösen<br />
Zustand nach seinen Wertvorstellungen<br />
lebenswert findet.<br />
In keinem Fall sind die Wertvorstellungen<br />
des Arztes oder des Vertreters des Patienten<br />
oder die Möglichkeit der Lebensverlängerung<br />
als solche ein Rechtfertigungsgrund<br />
für eine Substitution.<br />
Zusammenfassendes<br />
Schema<br />
Höchstrichterliche Rechtssprechung und<br />
neues Patientenverfügungsgesetz (2009)<br />
zum Zulassen des Sterbens:<br />
Wenn<br />
n die Indikation und/oder<br />
n der Patientenwille sei es der aktuell<br />
geäußerte Wille des Patienten sowie<br />
der mündlich oder schriftlich vorausgeäußerte<br />
Wille des Patienten oder der<br />
mutmaßliche Wille des Patienten<br />
den Abbruch einer lebenserhaltende Maßnahme<br />
erfordern, dann ist dies<br />
n strafrechtlich zulässig und geboten,<br />
egal in welchem Krankheitsstadium,<br />
während Weiterbehandlung strafbare<br />
Körperverletzung ist,<br />
n betreuungsrechtlich nur im Konfliktfall<br />
zwischen Arzt und Betreuer/Bevollmächtigter<br />
vom Betreuungsgericht zu prüfen<br />
und zu genehmigen,<br />
n zivilrechtlich erzwingbar, da weder Pflegekräfte<br />
noch Ärzte ein Recht zur Zwangsbehandlung<br />
(Körperverletzung) haben.<br />
Ein Behandlungsabbruch ist nur strafbar,<br />
wenn er dem Willen des Patienten widerspricht.<br />
Wer den Willen des Patienten sorgfältig<br />
ermittelt und umsetzt, kann niemals<br />
bestraft werden.<br />
Abschließende Betrachtung<br />
Im Laufe der Zeit hat ein Wertewandel von<br />
der Fremdbestimmung zur Selbstbestimmung<br />
und Achtung der Patientenautonomie<br />
stattgefunden.<br />
Wolfgang Putz sagt: „Es gibt ein Recht auf<br />
Leben, aber keine Pflicht zu leben. Folglich<br />
findet die standesrechtliche Garanten-<br />
Pflicht des Arztes, Leben zu erhalten, ihre<br />
Grenze im entgegenstehenden Patientenwillen.<br />
Der höchste Wert unserer Verfassung<br />
ist nicht das biologische Leben, sondern die<br />
Selbstbestimmung des Menschen und das<br />
vom Patienten gewollte Leben. Niemand<br />
hat das Recht, einen Menschen aus eigener<br />
Ethik – die sogenannten „Gewissensgründe“<br />
– gegen sein aktuelles oder im Voraus<br />
geäußertes Verbot oder gegen seinen mutmaßlichen<br />
Willen zu behandeln …“<br />
Leitsätze der BGH – Grundsatzentscheidung<br />
vom 25.06.<strong>2010</strong> (2StR 454/09)<br />
StGB §§ 212, 216, 13 / BGB §§ 1901 a ff.<br />
1. Sterbehilfe durch Unterlassen, Begrenzen<br />
oder Beenden einer begonnenen<br />
medizinischen Behandlung (Behandlungsabbruch)<br />
ist gerechtfertigt, wenn<br />
dies dem tatsächlichen oder mutmaßlichen<br />
Patientenwillen entspricht<br />
(§1901a BGB) und dazu dient, einem<br />
ohne Behandlung zum Tode führenden<br />
Krankheitsprozess seinen Lauf zu<br />
lassen.<br />
2. Ein Behandlungsabbruch kann sowohl<br />
durch Unterlassen als auch durch<br />
aktives Tun vorgenommen werden.<br />
3. Gezielte Eingriffe in das Leben eines<br />
Menschen, die nicht in einem Zusammenhang<br />
mit dem Abbruch einer<br />
medizinischen Behandlung stehen, sind<br />
einer Rechtfertigung durch Einwilligung<br />
nicht zugänglich.<br />
In jedem Fall bleibt gezielte, direkte Tötung<br />
somit selbstverständlich Totschlag, Mord<br />
oder Tötung auf Verlangen strafbar.<br />
Es gibt ein Recht auf Leben, aber keine Pflicht zu leben.<br />
Folglich fände die standesrechtliche Garanten-<br />
Pflicht des Arztes, Leben zu erhalten, ihre Grenze im<br />
entgegenstehenden Patientenwillen, meint Autor<br />
Wolfgang Putz. Für den Arzt ergeben sich aus dieser<br />
Sichtweise möglicherweise dennoch innere Konflikte.<br />
Foto: Dynamic Graphics<br />
Alle wichtigen Aspekte zur Erstellung einer<br />
Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung<br />
können Sie im Buch von Wolfgang Putz und<br />
Beate Steldinger „Patientenrechte am Ende<br />
des Lebens“ nachlesen. In der Publikation<br />
berichten die Autoren über zahlreiche Fallbeispiele<br />
aus ihrer Praxis.<br />
Zudem möchte ich auf das Buch „Wie wollen<br />
wir sterben“ – ein ärztliches Plädoyer<br />
für eine neue Sterbekultur in Zeiten der<br />
Hochleistungsmedizin – von Michael de<br />
Ridder aufmerksam machen. Der Autor ist<br />
als Internist, Rettungs- und Intensivmediziner<br />
tätig. Er plädiert dafür, Sterben wieder<br />
als Teil des Lebens wahrzunehmen und anzuerkennen.<br />
Statt Todkranke um jeden Preis<br />
am Leben zu erhalten, müssen Mediziner<br />
lernen, in aussichtslosen Situationen ein<br />
friedliches Sterben zu ermöglichen und gerade<br />
hier, so de Ridder, sind Ärzte gefragt,<br />
als Begleiter, als Fürsorger.<br />
Dipl.-Sozialarb. (FH) Karin Schumann<br />
Leiterin der Abteilung Zentraler<br />
Sozialdienst<br />
Cc Klinik-Verwaltungsgesellschaft mbH<br />
<strong>Chemnitz</strong><br />
Die Autorin steht als Ansprechpartner zur<br />
Verfügung und ist bereit, in Ihrem Team zu<br />
grundlegenden wichtigen Inhalten, die eine<br />
Vorsorgevollmacht oder eine Patientenverfügung<br />
enthalten sollte, ins Gespräch zu<br />
kommen. Die Leitlinie „Betreuungsrecht“<br />
im Klinikportal beinhaltet zum Thema wichtige<br />
Aspekte für Ihre tägliche Arbeit. Die<br />
beiden letztgenannten Bücher stehen in der<br />
Fach- und Patientenbibliothek zur Ausleihe<br />
bereit.<br />
(Quelle: RA für Medizinrecht W. Putz)<br />
G e s u n d h e i t & M e d i z i n 13