LIVING & LIFESTYLEText Josef Metzger und Rosemarie LiermannFotos Julia WeselyJULIAN RACHLINEIN STAR, DER AMBODEN BLIEBDas Treffen mit einem österreichischen Weltstar der klassischen Musikszene als Violinvirtuose ist reinstesVergnügen. Er spricht weniger über seine Lieblingskomponisten Brahms und Mozart, viel mehr und nochlieber über seine Fußballidole – die Barcelona-Stars von einst und jetzt, sprich Hans Krankl und LionelMessi. Und verrät voll Hobbykicker-Stolz, dass es dank Krankl und dem deutsch-spanischen Bertelsmann-BossFernando Carro gelungen war, ein Dinner zu viert mit dem FC Barcelona-Präsidenten SandroRossell zu arrangieren. Für Julian ein Erlebnis wie für Geigen-Fans ein Rachlin-Konzert.EIN WIENER WELTBÜRGER. Wenn vonWunderkind die Rede ist, winkt er ab. „Dashaben die Medien erfunden!“ Und in einemAtemzug dementiert Julian auch, dass er –wie Skistars mit Brettln – quasi mit derGeige auf die Welt gekommen wäre,„Stimmt so nicht“, korrigiert Rachlin, dersich als Wiener Weltbürger fühlt, aber inVilnius, Litauen, als Sohn von Musikern(„Mama Sophie Pianistin und Dirigentin,Papa Michael Cellist, unter anderem bei denNÖ-Tonkünstlern“) geboren wurde, ehe erals Dreijähriger mit den Eltern nach Wienübersiedelte. „Mein Lieblingsinstrument alsKleinkind war das Cello – zur Geige bin ichnur durch eine Lüge gekommen!“REGENSCHIRM ALS CELLO. Wie es dazukam, schildert Julian anschaulich: „Bei unsdaheim ist immer die Platte mit dem berühmtenCellokonzert von Dvorak aus 1976unter Karajan und mit Rostropowitsch alsSolisten gelaufen. Und weil mich das so faszinierthat, hab ich einen Regenschirm alsCello genommen und einen Stecken alsBogen, so hab ich wie ein Verrückter aufund ab gespielt. Stumm, eh klar, weil auseinem Regenschirm kriegst ja keinen Tonraus!“ Weil die Großeltern, übrigens keineMusiker, dem kleinen Musikus eine großeFreude machen wollten, schenkten sie ihmeines Tages und der Größe wegen eineGeige mit den Worten: „Da hast du jetztdein Cello!“ Natürlich nahm’s Julian dankendan, glaubte es auch, ohne nachzufragen.Später, als er es schon wusste, griff erauch zur Viola oder Bratsche, der etwas größerenGeigenvariante, „die dem Cello amnächsten kommt“. Auch das alternativeGeigeninstrument beherrscht Rachlin, wieman sich bei einem Konzert im Theater ander Wien überzeugen konnte, wie aus demEffeff. „Bei den Feinheiten sind die Unterschiedeaber groß“, erklärt Julian. „DieTechniken sind verschieden, die Klangfarbeist anders – wie Mezzosopran und Sopran!“EMPFANG BEI DER KÖNIGIN. Damit beschäftigtesich Jung-Rachlin trotz Geigenstundenaber kaum in den Teenager-82 FOKUS APRIL 2013
„Bei der ersten Probe mit einem Orchester entscheiden die ersten drei Minuten, ob man akzeptiert wird.“jahren. „Da war ich ein normaler Bub ausder Lacknergasse in Hernals, der Fußballgespielt hat am Post-Sportplatz bei denSchülern von Post SV mit der Nr. 10, technischgut, aber langsam – trotzdem hatsich der Sportklub für mich interessiert!“Nichts wurde aus Profifußball, dafürschlug dem Musikprofi in spe anno 1988die große Stunde. Erst gewann Julian dieinterne ORF-Ausscheidung im FunkhausArgentinierstraße, dann fiedelte Rachlinam 30. Mai beim Eurovision Classic Contestin Amsterdam, dem Klassikpendantzum Songcontest, die europäischen Finalgegnervirtuos ab, wurde zum „Young Musicianof the Year“ gewählt, mit 15.000D-Mark (7.500 Euro, „damals ein BatzenGeld für mich!“) prämiert und schließlich,buchstäblich die Krönung des Abends, inder Royal Box von Königin Beatrix vonHolland und Prinzgemahl Claus empfangen.Alles live gezeigt in den meisten großenEurovisionsländern von Deutschlandbis England, Spanien bis Italien, nichtaber im ORF, „der erst fünf Tage spätereine Aufzeichnung gesendet hat“. Wasnichts am unaufhaltsamen Aufstieg vonJulian änderte. „Amsterdam war der Kickoffzur Weltkarriere!“und der große Star („Im Mantel, icherinnere mich noch gut daran!“) mit demkleinen Noch-Nobody-Geiger ein Spielchenmachte. Wer weiß, vielleicht wirkteder kleine Triumph als Mutinjektion fürden ganz großen …?IN MEMORIAM BERNSTEIN. Als Eurovisionsklassiker1988 buhlten nicht nurAgenturen und Plattenfirmen um das„Weil ich 200 Tage aus dem Koffer lebe,ist mir mein eigener Wohnraum sehr wichtig.“DER KRANKL-FAN. Dem Künstler-Triumphwar ein Fan-Erfolgserlebnis vorangegangen,in dem (noch unwissentlich)eine starke Zukunftsbande stecken sollte.Fürs Präsentationsvideo zum Amsterdam-Contesthatte sich Julian als Kickerund Krankl-Fan gewünscht, dass ihn einORF-Kamerateam dabei filmt, wenn ermit seinem Rapid-Idol, damals allerdingsSportklub-Spieler-Trainer, gemeinsam amPlatz der Dornbacher spielt. Weil sich der„Hans-Fan“ immer wieder dort herumgetriebenhatte, wollte ihn der Platzwart amvereinbarten Tag X vertreiben, erst recht,als Julian erklärte, er warte auf Kranklund ein Fernsehteam. Er hielt das für einNotlüge, staunte aber nicht schlecht, alsnach Krankl auch der ORF auftauchte –Geiger-Starlet – auch Granden der Branchebekamen Augen und Ohren für Rachlin.Wie etwa Lorin Maazel, Opernchefund Stardirigent, unter dem Julian am5. September 1988 bei einem BerlinerKonzert aufgeigen durfte. „Ich war mitmeinen 13 der jüngste Solist damals – CellistHorschovsky mit 105 Jahren der mitAbstand älteste!“ Wieder so ein Meilensteineiner Blitzkarriere, dem der nächsteauf dem Fuß folgte: jüngster Solist bei denWiener Philharmonikern im Oktober1990 als 15-Jähriger im Musikvereinssaal.„Darauf war ich mächtig stolz“, gestehtJulian, der aber hinzufügt. „Es warin memoriam Leonard Bernstein, dem ichnoch vorspielen hab dürfen. Wir hatteneinen gemeinsamen Abend geplant, dannwurde meine Premiere mit den Philharmonikernzum Gedenkkonzert für meingroßes Idol …“DER JÜNGSTE PROFESSOR. Im Schattendes Todes „a star was born“. Viele rissensich um ihn, nur wenige bekamen ihn– wie Sony, Rudi Buchmann, ColumbiaArtist, IMG oder Askonas Holt, auf Klassikerspezialisiert. Je gefragter Rachlin wurde,desto mehr regierte Fernunterricht inSchule und Konservatorium, wo er wiederGeschichte schreiben sollte mit 25 – „alsjüngster Professor, den es je gab. Gesternnoch Student, morgen Professor!“ Die Diplomprüfungfand nicht etwa im Dermota-Saalder Privat-Uni statt wie gehabt,sondern auf Anregung des KonservatoriumchefsGerhard Track so unkonventionellwie noch nie. Wie, wo, wann? Julian:„Als ich ein Brahms-Konzert gab im Konzerthaus.Die Jury saß unter den 2.500Zuschauern im Publikum. Sie hatte aberalle Eintragungen über mich schon ineinem schön gebundenen roten BuchAPRIL 2013FOKUS 83