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Amazonien: Stadt, Land, Fluss - FDCL

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64<br />

von einer halben Million Bewohner des Nordens,<br />

die, vom „Trugbild des Kautschuks“ angelockt,<br />

auf diese Weise bis zur Jahrhundertwende in das<br />

Amazonasgebiet zogen.<br />

Die Tage andauernden Reisen der <strong>Land</strong>arbeiter<br />

auf den Amazonasdampfern in die seringais kamen<br />

Viehtransporten gleich. Viele wurden zudem<br />

von Hunger und Krankheiten dahingerafft. Diejenigen<br />

jedoch, die die Strapazen überstanden, fanden<br />

sich auf der Plantage angekommen bereits in<br />

ihrer ersten Abhängigkeit wieder. Durch den Vorschuss<br />

für Transport und Essen sowie die Kosten<br />

für die „Erstausstattung“ an Arbeitsgeräten der<br />

seringueiros entstand eine erste Verschuldung,<br />

die den Beginn eines dauerhaften Schuldknechtschaftsverhältnisses<br />

zwischen seringueiro und patrão<br />

(Chef) markierte. Aufgrund eines etablierten<br />

Systems gelang es den Zapfern nur schwer, sich<br />

Vozes da Amazônia<br />

von ihren Schulden zu befreien und damit ihre<br />

Freizügigkeit wiederzuerlangen.<br />

Es entwickelte sich im Lauf der Zeit nun ein System<br />

von Zwischenhandelsfirmen, die ihrerseits<br />

wieder finanziell von den Gummibaronen in den<br />

Amazonasstädten Belém und Manaus abhängig<br />

waren. Die seringueiros waren dabei das letzte Glied<br />

in dieser langen Kette von Abhängigkeit und Verschuldung.<br />

Für den seringueiro hatte der zumeist<br />

monatlich stattfindende „(Zwangs-)Verkauf“ seiner<br />

mühsam produzierten Kautschukballen an den<br />

seringalista eher den Charakter eines Kuhhandels:<br />

Der Kautschuk wurde von diesem weit unter dem<br />

aktuellen Marktpreis angekauft, die Lebensmittel<br />

und Konsumgüter, deren Abnahme verpflichtend<br />

war, wurden dagegen zu Wucherpreisen an die<br />

Zapfer ausgegeben. Die aus dieser oft manipulierten<br />

Gegenrechnung entstandenen Schulden<br />

und selten vorkommenden Salden wurden auf<br />

einem Konto registriert, das für jeden Zapfer geführt<br />

wurde. Aufgrund der Monopolstellung des<br />

Besitzers und des verbreiteten Analphabetentums<br />

unter den seringueiros waren diese jedoch zumeist<br />

nicht in der Lage, die betrügerischen Aktivitäten<br />

des patrão zu kontrollieren beziehungsweise diese<br />

zu umgehen. Auf diese Weise wurden bewusst<br />

Abhängigkeitsverhältnisse geschaffen, die dessen<br />

Allmacht im seringal verfestigten.<br />

Als ein Ort ohne Recht und Gesetz waren die seringueiros<br />

den Willkürhandlungen des herrschenden<br />

patrão ausgesetzt. Seine Position markierte<br />

dieser unter anderem dadurch, dass das Leben<br />

der Zapfer durch Regeln, Verbote und Kontrolle<br />

bestimmt wurde. Dabei gab es unterschiedliche<br />

Variationen dieses Modells, das den Zapfern ein<br />

Mehr oder Weniger an Autonomie zugestand. So<br />

war es ihnen in der Regel untersagt, ihre Frauen<br />

„Auf der <strong>Land</strong>karte enthüllt uns <strong>Amazonien</strong> seine<br />

schier unendliche Größe. Und dennoch: Die <strong>Land</strong>karte<br />

wird der tatsächlichen Größe und der Biodiversität<br />

<strong>Amazonien</strong>s nicht gerecht.“<br />

Mayron Regis<br />

Fórum Carajás (Maranhão)<br />

Stimmen aus <strong>Amazonien</strong><br />

beziehungsweise Familien mit in den seringal zu<br />

bringen, da dadurch keine volle Konzentration auf<br />

die Arbeit möglich war. Anfänglich war es ihnen<br />

ebenso verboten, ihre Kenntnisse als <strong>Land</strong>arbeiter<br />

im Anbau von Nutzpflanzen in Form von Hausgärten<br />

umzusetzen oder auf Jagd oder Fischfang<br />

zu gehen. Allerdings waren diese Tätigkeiten neben<br />

der zeitaufwendigen Arbeit des Zapfens und<br />

Räucherns ehedem so gut wie unmöglich.<br />

Der körperliche Zustand der Zapfer war überdies<br />

zumeist schlecht. Die einseitige, vitaminarme<br />

Ernährung (Trockenfisch, Maniokmehl, Kaffee)<br />

führte zu Mangelerscheinungen, das Fehlen von<br />

Medikamenten und medizinischen Behandlungsmöglichkeiten<br />

zu schweren Erkrankungen und<br />

häufigen Todesfällen. Die Einsamkeit während<br />

der arbeitsreichen Wochentage im Wald und das<br />

nahezu gänzliche Fehlen sozialer Kontakte (die<br />

colocaçoes lagen mitunter Stundenmärsche von-

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