Die „Marie Antoinette“ - Roland Verlag GmbH
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UTOPIE DER<br />
MENSCHLICHKEIT<br />
Eine selten aufgeführte musikalische<br />
Rarität ist Kurt Weills Bühnenstück<br />
„Der Silbersee“, ein poetisches Musikdrama,<br />
eine Art modernes Märchen,<br />
das Weill selbst als „Musikalisches Theater“<br />
bezeichnete. Kurz nach der Machtergreifung<br />
Hitlers 1933 zeitgleich in Leipzig,<br />
Magdeburg und Erfurt uraufgeführt,<br />
wurde dieses Genre übergreifende Stück<br />
von den Nationalsozialisten als „musiktheatralischer<br />
Bastard“ verfemt und noch<br />
im selben Jahr verboten. Es war die letzte<br />
Arbeit Weills vor seiner Flucht zunächst<br />
nach Paris, später nach Amerika.<br />
Jetzt ist die gelungene Synthese aus Oper<br />
und Schauspiel mit dem Text des expressionistischen<br />
Dramatikers Georg Kaiser,<br />
die geprägt ist durch Kurt Weills charakteristischen<br />
Kompositionsstil, in Bremerhaven<br />
zu sehen. Obwohl das Stück soziale<br />
und politische Themen wie Arbeitslosigkeit<br />
und Wirtschaftskrise anspricht, hebt<br />
die Regisseurin Sarah Kohrs in ihrer Inszenierung<br />
die mystischen und märchenhaften<br />
Elemente hervor. Denn das Stück<br />
verfolgt eine Utopie, den Wunsch, dass jeder<br />
Mensch Sensibilität für den anderen<br />
entwickeln kann.<br />
Arm und Hunger leidend haust der arbeitslose<br />
Landarbeiter Severin in einer Moor-<br />
„Der Silbersee“ von Kurt Weill beschließt die<br />
Spielzeit in Bremerhaven<br />
Text: Karin Hiller<br />
hütte am Silbersee. In seiner Not überfällt<br />
er zusammen mit anderen Leidensgefährten<br />
ein Lebensmittelgeschäft. Doch<br />
er stiehlt kein Brot, sondern nur eine Ananas.<br />
„Ein Genussmittel“, registriert der Polizist<br />
Olim, der den flüchtenden Severin<br />
durch einen Schuss schwer verletzt. Durch<br />
einen Lotteriegewinn zu Reichtum gelangt,<br />
nimmt der von schlechtem Gewissen<br />
geplagte Olim den <strong>Die</strong>b bei sich auf und<br />
pflegt ihn. Doch Severin sinnt auf Rache<br />
und Olim beginnt<br />
sich vor ihm<br />
zu fürchten. Aber<br />
Zorn und Angst<br />
sind die beiden<br />
Zorn und Angst sind die beiden<br />
Leidenschaften, die das Elend<br />
begründen<br />
Leidenschaften, die das Elend begründen.<br />
Aus eigener Kraft lernt Olim seine Angst zu<br />
besiegen und Severin überwindet seine Rachegefühle.<br />
Aus Feinden werden Freunde.<br />
Georg Kaiser sah die Aufgabe des Theaters<br />
in der Darstellung menschlichen Verhaltens.<br />
Während Brecht in seinen Stücken<br />
immer wieder die Frage nach dem besten<br />
politischen System stellte, fragte sich Kaiser,<br />
wozu der Mensch selbst in der Lage ist,<br />
was er ändern und bewirken und wo er Verantwortung<br />
übernehmen kann. So lässt er<br />
Olim sagen: „Ich bin niemals stark genug,<br />
eine bessere Weltordnung durchzudrücken,<br />
so widme ich mich dem Einzelnen.“<br />
THEATER BREMERHAVEN Der Silbersee 15<br />
Weills rhythmische und ausdrucksstarke<br />
Musik verstärkt die Aussagen des Stücks<br />
und charakterisiert die Personen. Den Lotterieagenten<br />
führt er mit einem eingängigen<br />
Tango ein. Marcel Zaba lässt in seiner<br />
eher kargen Ausstattung Raum für<br />
die Fantasie des Zuschauers: „Alles soll<br />
schwebend bleiben, zur Gedankenarbeit<br />
anregen, Assoziationen wach rufen.“<br />
Durch widrige Umstände verarmt und auf<br />
ihre nackte Existenz<br />
zurückgeworfen, suchen<br />
Olim und Severin<br />
den Freitod im Silbersee.<br />
Doch wie durch<br />
ein Wunder friert der See mitten im Sommer<br />
zu und weist ihnen den Weg in die<br />
Zukunft. „Olim und Severin haben ein<br />
Schicksal zu schultern, das sie nicht gewählt<br />
haben“, erklärt Sarah Kohrs. „Eigentlich<br />
wollten sie den Freitod. Sie haben die<br />
Pflicht, etwas zu tun, eine schwere Aufgabe<br />
zu bewältigen. Sie sollen verkünden,<br />
was Menschsein bedeutet. <strong>Die</strong>se Aufgabe<br />
kommt nicht von Gott, sondern aus dem<br />
Kern des Menschen heraus.“ Der vereiste<br />
See bedeutet Hoffnung, es gibt eine positive<br />
Perspektive. So heißt es am Schluss:<br />
„Wer weiter muss, den trägt der Silbersee.“<br />
Premiere am 22. Mai im Großen Haus.<br />
Musikalische Leitung: Richard Fletcher