29 Missale aus dem CollegiumDucaleWien, ca. 1420-1430307 Blatt, 41,9 x 31 cmMs. Ludwig V 6; 83.MG.81Tafel: Die Kreuzigung, Fol. 147vDer Internationale Stil erhielt seinen Namen aufgrund der Kunst, die in so weitvoneinander entfernten europäischen Zentren wie Paris, Utrecht, Köln und Praggeschaffen wurde. Die große stilistische Einheitlichkeit auf den Gebieten Architektur,Bildhauerei, Malerei und Illumination von <strong>Handschriften</strong> resultierte teilweise aus dergrößeren Mobilität der Künstler, die sich zu den Höfen mit ihren guten, kontinentweitenBeziehungen hingezogen fühlten. In Osteuropa entwickelte sich das böhmische Pragals Hauptstadt des Heiligen Römischen Reiches unter Karl IV., der in Frankreichaufgewachsen und erzogen worden war, zum führenden politischen und kulturellenMittelpunkt.Ein weiteres, weniger bekanntes Zentrum der Kunstproduktion war Wien, wodieses Missale entstand. Seine Maler, darunter ein Illuminator, der nur unter demNamen Michael bekannt ist, wurden durch ihre Mitwirkung an anderen Auftragsarbeitenfür Wien, Böhmen und die Slowakei identifiziert. Diese Handschrift ist damit einBeleg für die wechselseitige Befruchtung der mitteleuropäischen Kunst der damaligenZeit. Die Tatsache, daß die Künstler wahrscheinlich in Böhmen ausgebildet wurden,dann aber in Wien zusammenarbeiteten, liefert einen Hinweis auf die zunehmendeBedeutung der Stadt. Daß Wiener Auftraggeber solche Künstler auswählten, zeigtauch, daß sie möglicherweise den Wunsch hatten, zum mächtigen böhmischenHof in Konkurrenz zu treten.In dieser Darstellung der Kreuzigung veranschaulichen der herabhängende KopfChristi, der ausgemergelte Torso und die dünnen Arme sein Leiden am Kreuz. Untenauf der Seite ist Jesus als Schmerzensmann abgebildet - der auferstandene Christus, derden Gläubigen seine Wunden zur Kontemplation darbietet. Die Nebeneinanderstellungder beiden Bilder soll bedeuten, daß die Auferstehung und Errettung bereits dem Aktder Kreuzigung innewohnen. Die Miniatur vermittelt gleichzeitig einen Eindruckder feinen Eleganz, die für den Internationalen Stil typisch war. Dies zeigt sich zumeinen an der verhaltenen Farbgebung, denn der mit zarten Ornamenten geschmückte,rosafarbene Hintergrund unterstreicht die vorherrschenden Blau- und Grüntöne.Die leicht geschwungene Haltung der Figuren und die fließenden Konturen ihrerGewänder sind charakteristisch für diese Phase der spätgotischen Malerei.Laut einem Inventarisierungsvermerk, der 1508 in das Manuskript eingetragenwurde, befand sich das Buch damals <strong>im</strong> Besitz des Collegium Ducale. Im Jahre 1384gegründet, gehörte diese theologische Fakultät zur Universität Wien, die <strong>im</strong> Jahre1365 von Herzog Rudolf IV. von Österreich gegründet worden war. Es läßt sichnicht mit Sicherheit sagen, ob das Missale ursprünglich für das herzogliche Kolleggeschaffen wurde.ASCILLUMINIERTE HANDSCHRIFTEN 73
30 Giovanni Boccaccio,Des cas des nobles hommeset femmesParis, ca. 1415318 Blatt, 42,5 x 29,3 cmMs. 63; 96.MR.17Tafel: Boucicaut-Meister undWerkstatt, Die Geschichte vonAdam und Eva, Fol. 3Der Florentiner Dichter und Literat Giovanni Boccaccio (1313-1375) ist einerder Väter des Humanismus der Renaissance. Innerhalb von einer Generation nachseinem Tod waren Boccaccios Schriften schon über die Grenzen Italiens hinausberühmt. Einige davon - darunter Das Dekameron, das heutzutage am meistengelesene seiner Bücher - wurden <strong>im</strong> Auftrag so erlauchter Auftraggeber wie Philippdem Kühnen, Herzog von Burgund (1342-1404), und Johannes, Herzog von Berry(1340-1416), in die französische Sprache übersetzt. Das <strong>im</strong> damaligen Frankreichbei weitem beliebteste Werk war Von den Schicksalen illustrer Männer und Frauen.Darin werden die Geschichten berühmter Persönlichkeiten aus der biblischen,klassischen und mittelalterlichen Geschichte erzählt. Laurent de Premierfait(gest. 1418), der Ubersetzer von Boccaccios Werken, schmückte das Originalmit vielen bunten Erzählungen anderer Autoren, darunter auch die Römer Livius(59 v.Chr. -17 n.Chr.) und Valerius Max<strong>im</strong>us (ca. 49 v.Chr. - ca. 30 n.Chr.), weiter aus.Boccaccio beginnt das Buch mit der Lebensgeschichte von Adam und Eva, da ihrSündenfall Ursache allen Unglücks war, das über die Menschheit kam. Der Boucicaut-Meister ordnete die Abfolge der Ereignisse fre<strong>im</strong>ütig um die hohe sechseckige Mauerdes Gartens Eden an und präsentiert uns die Versuchung von Adam und Eva in derMitte. Das erste Menschenpaar wird durch ein Portal zur Linken aus dem Gartenvertrieben, und jenseits der Gartenmauer fügen sie sich in ihr Schicksal, indem siedie Felder bestellen und spinnen. Im rechten Vordergrund sehen wir Adam und Eva,nun <strong>im</strong> vorgerückten Alter und in gebeugter Haltung, wie sie den Autor bitten, ihrSchicksal aufzuschreiben. Boccaccio ist in elegantes Rot gekleidet. Der Künstlerhat einen kunstvollen Rahmen geschaffen, der sowohl die Miniatur als auch dieAnfangszeilen des Textes einschließt. Darin enthalten sind eine Reihe gemalterVignetten, die die Schöpfung der Welt darstellen. Die Abfolge beginnt obenrechts und wird <strong>im</strong> Uhrzeigersinn fortgesetzt.Das erste Viertel des 15. Jahrhunderts war eine der originellsten und einflußreichstenEpochen der Pariser Buchmalerei, was in einem nicht unerheblichen Maß derGenialität und dem Schaffensdrang des Boucicaut-Meisters zu verdanken ist. Durchdie Mithilfe zahlreicher, bestens ausgebildeter Mitarbeiter wurde das innovative Werkdieses Künstlers in ganz Europa bekannt und beeinflußte nicht nur die Entwicklungder französischen Buchmalerei über mehr als eine Generation, sondern wies auch derflämischen Malerei die Richtung.TKILLUMINIERTE HANDSCHRIFTEN 74
- Seite 2:
Meisterwerkeim J. Paul Getty Museum
- Seite 10 und 11:
HINWEIS AN DEN LESERDie folgenden A
- Seite 14 und 15:
2 Zwei Blätter aus einemEvangeliar
- Seite 18:
4 BenediktionaleRegensburg, ca. 103
- Seite 26: 7 Neues TestamentKonstantinopel, 11
- Seite 33 und 34: 10 Kanontafeln aus dem Zeyt c un-Ev
- Seite 38: 12 Zwei Miniaturen aus einemPsalter
- Seite 42: 14 Wenzeslaus-PsalterParis, ca. 125
- Seite 46: folgt den Worten (ad verbum) des Ps
- Seite 50 und 51: 18 BestiariumFlandern, ca. 1270102
- Seite 54 und 55: 20 EvangeliarNicäa oder Nicomedia,
- Seite 58: 2 Vidal MayorNordost-Spanien,ca. 12
- Seite 61 und 62: 24 Guiart des Moulins,Bible histori
- Seite 63: 25 MissaleBologna, zwischen 1389und
- Seite 68: 27 Rudolf von Ems, WeltchronikRegen
- Seite 77: 31 StundenbuchParis, ca. 1415-14202
- Seite 82 und 83: 33 Stundenbuch des Simonde VarieTou
- Seite 86 und 87: 35 Les Visions du chevalier TondalG
- Seite 91 und 92: 37 StundenbuchVermutlich Gent,ca. 1
- Seite 95: 39 Fünfzehn Blätter aus DavidAube
- Seite 99: 41 Miniatur aus Valerius Maximus,Fa
- Seite 104: 43 Jean Froissart, Chroniques,3. Bu
- Seite 108: 45 Historisierte Initialeaus einem
- Seite 111 und 112: 47 Gualenghi-d'Este-StundenbuchFerr
- Seite 113: 48 GradualeRom, Ende 15. oderAnfang
- Seite 118: 50 Spinola-StundenbuchGent oder Mec
- Seite 123 und 124:
52 Miniatur aus einemStundenbuchVer
- Seite 127 und 128:
GLOSSARApokryphenDie Apokryphen des
- Seite 129:
VERZEICHNISDie Zahlenangaben verwei