Wenn ein Drogenabhängiger sich in die Hilfe derAWO begibt, ist das die erste Anlaufstelle, dort werdenalso die Gespräche geführt und auch Sozialberichteerstellt. Bis fünfzehn Uhr hatte ich dort u. a.die Möglichkeit einige Sozialberichte von Klientenzu lesen, die mich teilweise sehr erschrocken haben.Zwei Drittel der Abhängigen kommen aus zerrüttetenFamilienverhältnissen, in denen teilweise Brutalität,Drogenkonsum und Alkoholmissbrauch zumAlltag gehörten. Diese Sozialberichte haben michsehr beschäftigt, womit dann auch der Mittwochbeendet war.Am Donnerstag trafen wir uns, wie jeden Tag, umneun Uhr und arbeiteten meine Fragen des Vortagesauf. Um zehn Uhr ging ich dann zur drogenmedizinischenAmbulanz des Gesundheitsamtes, die Dr.Rösinger betreut und verantwortlich leitet. DasMethadonprogramm muss man sich folgendermaßenvorstellen: Methadon ist eine Ersatzdroge fürHeroin oder LSD, also für harte Drogen. Der Klient istdurch die Einnahme von Methadon wieder in derLage, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen.Nach den Aussagen von Dr. Rösinger ist Methadon,selbst wenn man es bis an sein Lebensende n<strong>im</strong>mt,körperlich nicht schädlich. Jeden Morgen kommendie Abhängigen und nehmen ihre Dosis in Tropfenmit Flüssigkeit zu sich. Ein Milligramm würde unsals Gesunde schon ins Koma versetzen. Dort lagendie Dosen aber zwischen siebzig und hundert Milligramm.Nach allem was ich dort gesehen habe,halte ich das Methadonprogramm für sehr wichtig.Es ist zwar eine Ersatzdroge, aber zieht keine anderenkörperlichen Nebenwirkungen nach sich. Hinzukommt, dass eine parallel konsumierte Drogen,Heroin zum Beispiel, keine Wirkung hat, d. h. alsodas Heroin seine Wirkung verliert, wenn jemand <strong>im</strong>Methadonprogramm ist. Erschreckend ist nur dabei,dass viele also nebenher trotzdem noch andere Drogenkonsumieren, aber nicht wegen der berauschendenWirkung, sondern es setzt irgendwann beiDrogenabhängigen ein Prozess ein, in dem sie ihrenKörper wieder spüren wollen. Das fängt damit an,dass die Spritzen absichtlich neben die Vene gesetztwerden oder dass Drogen gemixt werden, obwohlsie wissen, dass diese unverträglich sind. Ich habemit Frau Neumann ein langes Gespräch darübergeführt, was passiert, wenn Drogenabhängigedurch Beschaffungskr<strong>im</strong>inalität inhaftiert werden.Im Vollzug wird sogar gespritzt mit Kugelschreiberminen.Ich habe es mir auf Bildern angesehen. Essieht schaudernd aus. Das war der Donnerstag.Freitag wurden offenen gebliebene Fragen erörtert.Mittags fand die Pressekonferenz mit Antenne Ruhrstatt.hatte ich die Möglichkeit Lebensläufe aus dem eigenenMund zu hören und es war schon erschreckend,was dort passiert ist.Fazit dieser eindrucksvollen Woche ist, dass die Drogenhilfein Mülhe<strong>im</strong> an der Ruhr außerordentlichwichtig ist. Für mich persönlich habe ich aus dieserWoche mitgenommen, dass ich, wo ich nur kann, obhier, woanders, <strong>im</strong> privaten Bereich, <strong>im</strong> Sportverein,<strong>im</strong> Betrieb, dafür sorgen werde, dass dieses Projektweiter Zukunft findet und dass ich das ehrenamtlicheund soziale Engagement, was ich dort erlebthabe, unterstützen werde. Es ist sehr wichtig, dasssolche Projekte, wie das Projekt <strong>„Lernallianz</strong> <strong>im</strong><strong>Ruhrgebiet</strong>“, auch in Zukunft fortgesetzt werden.Am Samstag bin ich freiwillig noch einmal <strong>im</strong> CafeLight gewesen und habe den Jungs Kuchen undbelegte Brötchen mitgebracht. Samstag war es so,dass ich mich eigentlich gar nicht loseisen konnteaus dem Cafe, weil jetzt plötzlich eine Vertrauensbasisda war, auf der man sprechen konnte. Vorherhabe ich die Sozialberichte gelesen – am Samstag56
Bürgervereine als Motoren bürgerschaftlichen Engagements?Hille RichersIm Rahmen des Projektes <strong>„Lernallianz</strong> <strong>im</strong> <strong>Ruhrgebiet</strong>“habe ich als Referentin des Workshops „Bürgervereineund Ehrenamtliche“ mit einem weitenSpektrum von Vereinen gearbeitet: Sehr alte Bürgervereinemit einer über hundertjährigen Traditionund neuere, die sich in den siebziger und achtzigerJahren gegründet hatten. Der größte Verein hatteüber tausendeinhundert Mitglieder, der kleinstesechzig. Was jedoch ähnlich war, waren die satzungsmäßigenZielsetzungen der Bürgervereine, wiez. B. der Einsatz für öffentliche Interessen des Stadtteils,die parteipolitische und religiöse Neutralität,der Schutz des Brauchtums oder Denkmalschutzesund die Zusammenarbeit mit anderen Organisationenund Vereinen.Gemeinsam mit den Vereinen sollte zunächst herausgefundenwerden, zu welchen Themen und Fragenein Interesse an Fortbildungs- oder Qualifizierungsmaßnahmenvon Seiten der Bürgervereinenbesteht?Durch die persönlichen Kontakte von Herr Hübner,Vorstandsmitglied des <strong>CBE</strong> und selber langjährigerVorsitzender des Bürgervereines in Mülhe<strong>im</strong>-Dümpten,war es möglich, zunächst einen so genanntenSchnupperworkshop, also ein Zusammentreffen mitanderen Mülhe<strong>im</strong>er Vereinen, zu veranstalten. DerSchnupperworkshop bot nicht nur Raum, um dieerste Skepsis zu überwinden, sondern eröffneteebenfalls die Möglichkeit sich gegenseitig besserkennen zu lernen und gemeinsam die relevantenFragestellungen zu definieren. Als Ergebnis desSchnupperworkshops ergab sich die Leitfrage: „Wiegewinnen wir neue und aktive Mitglieder“? Geradezu diesem Zeitpunkt war durch die Mülhe<strong>im</strong>erPresse gegangen, dass ein Bürgerverein sich aufgelösthatte, weil es nicht möglich war, die Vorstandspostenzu besetzen. Daneben existieren sehr vieleVereine, die sehr stark durch die ältere Generationgeprägt sind. Neben der Festlegung der Fragestelllungwurde <strong>im</strong> Schnupperworkshop vereinbart, dassdas Qualifizierungsseminar für jeden Verein einzelnangeboten werden soll.Die Konzeption des Fortbildungsworkshops sah fürdie Suche nach neuen Wegen und Schritten dieBerücksichtigung der besonderen Situation desjeweiligen Vereins vor. Trotz individueller Vorgehensweisebasierte der Workshop auf einem rotenFaden, der sich durch die gesamte Workshop-Reihezog. Unter der Leitfrage, wie gewinnen wir neue undaktive Mitglieder, wurden zum Einstieg Fragen auseiner fremden Perspektive erörtert (z. B.: Wie wirdeigentlich bisher gearbeitet? Wie arbeiten Sie?).Über diese Fragen gerieten die Anwesenden ineinen Dialog über ihre Ziele, über ihre Arbeitsverteilungund auch über ihre Außenwirkung. Als zweitesbrachte ich meist Beispiele von Erfahrungen inanderen Organisationen mit in das Gespräch ein. Ineinem dritten Schritt ging es darum, was die Bürgervereinekonkret umsetzen wollen. Manche Vereinehatten sich einen ganzen Tag, also sechs Stundenfür die Veranstaltung Zeit genommen. Andere Vereinebegnügten sich mit einem dreistündigen Workshop.Abseits der normalen Tagesordnung wurdeaber auch die Frage, wozu arbeiten wir eigentlichzusammen und was ist daran richtig, thematisiert.In diesem Zusammenhang wurden die Vereinsideenund die Ziele noch einmal neu hinterfragt.Im Verlauf der Workshops konnte man feststellen,dass sich die anfängliche Skepsis gegenüber einemsolchen Workshop eher in Neugierde und Offenheitverwandelte. Darüber hinaus schuf der Workshopdurch die Moderation eines unparteiischen DrittenEntlastung in Vereinen, die durch vereinsinterneSpannungen gekennzeichnet waren. Ein weitererwichtiger Punkt war ferner, die Klärung des Selbstbildes,die mit den folgenden Fragen verbundenwar: „Wie offen sind wir wirklich? Wie attraktiv istes in unserem Bürgerverein mitzuarbeiten und sindunsere Ziele überhaupt erkennbar für die Außenwelt?Wie transparent gestalten wir unsere Arbeit?Haben wir vielleicht Postenfesthalter, die die Integrationvon neuen, motivierten Mitgliedern behindernund ähnliches?“ Letztlich haben die Workshopsteilweise auch dazu gedient, die vorhandene diffuseUnzufriedenheit in konkrete Ziele und Schritte zuverwandeln.Bürgervereine können Motoren sein. Es sind sehrgroße Ressourcen, selbstbewusste und mündigeBürgerinnen und Bürger mit genauer Ortskenntnis,mit großem historischen Wissen über Besonderheitenvon Stadtteilen, mit einem breiten Erfahrungssspektrum,wie man beispielsweise Feste organisiert,vorhanden. Es existiert eine Vielzahl von Bürgerinnnenund Bürger, die sich Zeit nehmen für ihr Engagementund die in ihre ehrenamtliche Tätigkeit ihreganze Fachkompetenz einbringen. Menschen dieandere zu ehrenamtlichen Engagement vor Ortbegeistern und anstiften können.Zum zweiten sind Bürgervereine Organisationen, dieein Stück He<strong>im</strong>at und Zugehörigkeit bieten.Sie ermöglichen einen Weg aus der Anonymität hinzu einem gemeinsamen Miteinander, das keine religiösenoder parteipolitischen Grenzen kennt. Bürgervereineeröffnen Felder für sinnstiftende Tätigkeiten,für die ein großer Bedarf besteht.Letztlich sind Bürgervereine in Zeiten der fortschreitendenGlobalisierung handlungsfähige, lokaleAkteure, die die Lebensbedingungen vor Ort für Kinder,Jugendliche, Erwachsene, Familien und alteMenschen, für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinn-57