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Es war einmal.. .. eine Zelle und sie wurde nimmermehr gesehen?

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<strong>Es</strong>say<br />

Auch unredlich ist der Plagiat Typ III, bei dem Autoren<br />

Aussagen untergeschoben werden. Ein nettes Beispiel hierfür<br />

ist die Frage Violas in Shakespeare‘s „Twelfth Night; or, What<br />

You Will”, 3. Aufzug, 2. Szene: „Doch wozu ist des Weisen Torheit<br />

nütz?“ (Schlegel’sche Übersetzung). Das Original lautet indes:<br />

„But wise men, folly-fall‘n, quite taint their wit” – <strong>und</strong> enthält<br />

nichts über <strong>eine</strong>n potentiellen Nutzen der Torheit. Wie viele<br />

Zitate in wissenschaftlichen Arbeiten folgen diesem Schema?<br />

Die Übernahme <strong>eine</strong>s Artikels in das Literaturverzeichnis,<br />

ohne ihn je gelesen zu haben (beispielsweise aus <strong>eine</strong>r andern<br />

Arbeit), findet sich wahrscheinlich bei mehr als <strong>eine</strong>m Drittel<br />

der zitierten Arbeiten <strong>eine</strong>r Publikation. Wiederum 30 Prozent<br />

der Zitate stützen nicht die Aussage, für die <strong>sie</strong> zitiert werden.<br />

Wissenschaftler rühmen sich ihrer Objektivität <strong>und</strong> Unbeeinflussbarkeit.<br />

Bis vor einigen Jahren <strong>wurde</strong>n die Aussagen „Wes<br />

Brot ich ess, des Lied ich sing“ oder „Geld verdirbt den Charakter“<br />

als irrelevant für die Wissenschaftlergemeinde angenommen.<br />

So <strong>war</strong> es Usus, Auftrag- <strong>und</strong> Geldgeber <strong>eine</strong>r Studie nicht zu<br />

nennen. Ein paar Skandale <strong>und</strong> leidvolle Erfahrungen später<br />

(leidvoll ist hier in Bezug auf so manche klinische ‚Gefälligkeitsstudie’<br />

durchaus wörtlich zu nehmen) ist heute das Nennen<br />

der Auftrag- <strong>und</strong> Geldgeber bei den meisten Zeitschriften<br />

(aber leider nicht bei allen) Pflicht – Stichwort pCOI (potential<br />

Conflict Of Interest, potentieller Interessenskonflikt). Aber<br />

kontrolliert das jemand? Werden pCOIs heute in <strong>eine</strong>r öffentlich<br />

zugänglichen Datenbank hinterlegt?<br />

Zur Häufigkeit ‚akademischer Delikte‘ findet man unterschiedliche<br />

Angaben. Pro Jahr werden zur Zeit etwa 2.000<br />

Publikationen zurückgezogen. Bei <strong>eine</strong>r Zahl von etwa zwei<br />

Millionen Veröffentlichungen pro Jahr ist das mit 0,5-1 Promille<br />

ein sehr seltenes Ereignis. Befragungen von Wissenschaftlerinnen<br />

<strong>und</strong> Wissenschaftlern vermitteln jedoch ein anderes<br />

Bild. Die Häufigkeit der drei schweren Vergehen (FFP) für ein<br />

Wissenschaftlerleben <strong>wurde</strong> mit etwa 10 Prozent ermittelt – also<br />

<strong>eine</strong>r von Zehn Wissenschaftlern tut es wenigstens ein Mal. Die<br />

leichteren Vergehen kommen laut Selbstauskunft je nach Untersuchungstyp<br />

auf 15 bis zu 90 Prozent. Das heißt im schlimmsten<br />

Fall: Nur <strong>eine</strong>r von Zehn tut es nie! Vergleichbar häufig: 70 bis<br />

90 Prozent der Studierenden schreiben mindestens <strong>einmal</strong> ohne<br />

Zitierung ab.<br />

Fehlverhalten gibt es, seit es Menschen gibt – <strong>und</strong> verschwand<br />

<strong>und</strong> verschwindet offenbar auch nicht mit der Entwicklung<br />

der Wissenschaften seit der Aufklärung. Im Betrugslexikon<br />

des Georg Paul Hönn aus dem Jahre 1724 findet sich<br />

betrügerisches Fehlverhalten der Professoren (21 Arten) <strong>und</strong><br />

Studenten (36 Arten) in reichlichem Maße – <strong>und</strong> da es bis<br />

heute beobachtet wird, kann akademisches Fehlverhalten mit<br />

Durkheim als normal an<strong>gesehen</strong> werden. Für die normalen<br />

kriminellen Taten des Alltages werden mit gut strukturierten,<br />

gesetzlich definierten Prozeduren Antworten zu Schuld, Verantwortung<br />

<strong>und</strong> Haftung, Strafe, Sühne <strong>und</strong> Wiedergutmachung<br />

gesucht. Warum nicht in der Wissenschaft?<br />

Bei allen akademischen Untaten begegnet uns ein Spektrum<br />

von ‚eindeutig kriminell‘ bis hin zu nicht-strafwürdigem,<br />

‚ungezogenem Benehmen‘, von Dummheit über Ignoranz bis<br />

‚Hinterher wissen wir es besser‘. Nachweise von Fehlverhalten<br />

bedürfen Sachkenntnis <strong>und</strong> sind schwierig. Vieles kann man nur<br />

eruieren, wenn der Zugang zu den Originaldaten gegeben ist<br />

<strong>und</strong> die Beteiligten befragt werden können. Wie bei der ‚Alltagskriminalität‘<br />

ist ohne Berücksichtigung der Tatumstände <strong>eine</strong><br />

faire Beurteilung unmöglich.<br />

Entsprechende Vergehen rufen auch nach <strong>eine</strong>r (rechtstaatlichen)<br />

angemessenen Ahndung. Ein Zeichen für korrektes<br />

Laborjournal<br />

7-8/2016<br />

Tab. 1:<br />

Formen akademischen Fehlverhaltens<br />

Schwere Formen (‚FFP’)<br />

➤ Daten fabrizieren<br />

➤ Daten fälschen, verfälschen, trimmen<br />

➤ Plagiat, Autoplagiat<br />

Fragwürdige Praktiken QRP (questionable research practice)<br />

➤ Doppelpublikation<br />

➤ Salamipublikation<br />

➤ Ghostwriting<br />

➤ Daten-/Ideendiebstahl<br />

➤ Publikationsbias<br />

➤ In der Publikation werden nicht alle relevanten Daten, Maße usw.<br />

mitgeteilt<br />

➤ In Publikationen werden nicht alle (Rand)Bedingungen mitgeteilt<br />

➤ Anwendung falscher statistischer Methoden<br />

➤ Rechenfehler in der Statistik<br />

➤ <strong>Es</strong> werden mehr Daten gesammelt als geplant – bis Signifikanz<br />

auftritt<br />

➤ Die Datensammlung wird früher beendet als geplant,<br />

weil das er<strong>war</strong>tete Resultat statistisch bestätigt scheint<br />

➤ In Publikationen <strong>eine</strong>n p-Wert ‚r<strong>und</strong>en’ (zum Beispiel p = 0,05<br />

statt p = 0,054)<br />

➤ Ausschluss von Daten, nachdem deren Einfluss auf das Ergebnis<br />

deutlich <strong>wurde</strong><br />

➤ Datensätze so auswählen, bis die Ergebnisse positiv ersch<strong>eine</strong>n<br />

➤ In Publikationen so berichten, dass (uner<strong>war</strong>tete) Bef<strong>und</strong>e von<br />

Anfang an antizipiert <strong>wurde</strong>n – beziehungsweise nur Thesen dargestellt<br />

werden, die erst nach Durchführung der Untersuchung abgeleitet<br />

<strong>wurde</strong>n (HARK = Hypothesis After the Results are Known)<br />

➤ Verschweigen des Einflusses demographischer Variablen<br />

(etwa Gender, Alter )<br />

➤ Unberechtigtes beziehungsweise unkritisches Verwenden<br />

von Daten<br />

➤ Nichthinterlegen von Daten, Verschwinden von ‚Laborbüchern‘<br />

Schlamperei<br />

➤ Fehlerhafte Zitate (Angaben inkorrekt, Inhalte in der angegebenen<br />

Publikation nicht belegt)<br />

➤ Schmeichelhafte Zitierungen<br />

➤ Fehlerhaftes Peer-Review<br />

➤ Bruch der Vertraulichkeit<br />

➤ Verleumderisches Whistleblowing<br />

➤ Ehrenautorschaften, Unterdrückung von Autorschaften<br />

➤ Unethisches Verhalten<br />

➤ Unethische Versuche <strong>und</strong> Studien<br />

➤ Verletzung des Ethikvotums, Untersuchungen ohne Ethikvotum<br />

➤ Verletzung des Tierschutzvotums<br />

➤ Fehlverhalten in der Zusammenarbeit<br />

➤ Mobbing, Missgunst, Diskriminierung<br />

➤ Schlechte oder fehlende Betreuung<br />

➤ Ausbeutung anderer<br />

➤ Versteckter oder offener Sexismus<br />

➤ Nepotismus<br />

➤ Sabotage<br />

➤ Verleumdung<br />

➤ Beleidigung<br />

➤ Fehlerhaftes Peer Review<br />

15<br />

Illustration: Fotolia / freshideas

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