Es war einmal.. .. eine Zelle und sie wurde nimmermehr gesehen?
LJ_16_07
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<strong>Es</strong>say<br />
Auch unredlich ist der Plagiat Typ III, bei dem Autoren<br />
Aussagen untergeschoben werden. Ein nettes Beispiel hierfür<br />
ist die Frage Violas in Shakespeare‘s „Twelfth Night; or, What<br />
You Will”, 3. Aufzug, 2. Szene: „Doch wozu ist des Weisen Torheit<br />
nütz?“ (Schlegel’sche Übersetzung). Das Original lautet indes:<br />
„But wise men, folly-fall‘n, quite taint their wit” – <strong>und</strong> enthält<br />
nichts über <strong>eine</strong>n potentiellen Nutzen der Torheit. Wie viele<br />
Zitate in wissenschaftlichen Arbeiten folgen diesem Schema?<br />
Die Übernahme <strong>eine</strong>s Artikels in das Literaturverzeichnis,<br />
ohne ihn je gelesen zu haben (beispielsweise aus <strong>eine</strong>r andern<br />
Arbeit), findet sich wahrscheinlich bei mehr als <strong>eine</strong>m Drittel<br />
der zitierten Arbeiten <strong>eine</strong>r Publikation. Wiederum 30 Prozent<br />
der Zitate stützen nicht die Aussage, für die <strong>sie</strong> zitiert werden.<br />
Wissenschaftler rühmen sich ihrer Objektivität <strong>und</strong> Unbeeinflussbarkeit.<br />
Bis vor einigen Jahren <strong>wurde</strong>n die Aussagen „Wes<br />
Brot ich ess, des Lied ich sing“ oder „Geld verdirbt den Charakter“<br />
als irrelevant für die Wissenschaftlergemeinde angenommen.<br />
So <strong>war</strong> es Usus, Auftrag- <strong>und</strong> Geldgeber <strong>eine</strong>r Studie nicht zu<br />
nennen. Ein paar Skandale <strong>und</strong> leidvolle Erfahrungen später<br />
(leidvoll ist hier in Bezug auf so manche klinische ‚Gefälligkeitsstudie’<br />
durchaus wörtlich zu nehmen) ist heute das Nennen<br />
der Auftrag- <strong>und</strong> Geldgeber bei den meisten Zeitschriften<br />
(aber leider nicht bei allen) Pflicht – Stichwort pCOI (potential<br />
Conflict Of Interest, potentieller Interessenskonflikt). Aber<br />
kontrolliert das jemand? Werden pCOIs heute in <strong>eine</strong>r öffentlich<br />
zugänglichen Datenbank hinterlegt?<br />
Zur Häufigkeit ‚akademischer Delikte‘ findet man unterschiedliche<br />
Angaben. Pro Jahr werden zur Zeit etwa 2.000<br />
Publikationen zurückgezogen. Bei <strong>eine</strong>r Zahl von etwa zwei<br />
Millionen Veröffentlichungen pro Jahr ist das mit 0,5-1 Promille<br />
ein sehr seltenes Ereignis. Befragungen von Wissenschaftlerinnen<br />
<strong>und</strong> Wissenschaftlern vermitteln jedoch ein anderes<br />
Bild. Die Häufigkeit der drei schweren Vergehen (FFP) für ein<br />
Wissenschaftlerleben <strong>wurde</strong> mit etwa 10 Prozent ermittelt – also<br />
<strong>eine</strong>r von Zehn Wissenschaftlern tut es wenigstens ein Mal. Die<br />
leichteren Vergehen kommen laut Selbstauskunft je nach Untersuchungstyp<br />
auf 15 bis zu 90 Prozent. Das heißt im schlimmsten<br />
Fall: Nur <strong>eine</strong>r von Zehn tut es nie! Vergleichbar häufig: 70 bis<br />
90 Prozent der Studierenden schreiben mindestens <strong>einmal</strong> ohne<br />
Zitierung ab.<br />
Fehlverhalten gibt es, seit es Menschen gibt – <strong>und</strong> verschwand<br />
<strong>und</strong> verschwindet offenbar auch nicht mit der Entwicklung<br />
der Wissenschaften seit der Aufklärung. Im Betrugslexikon<br />
des Georg Paul Hönn aus dem Jahre 1724 findet sich<br />
betrügerisches Fehlverhalten der Professoren (21 Arten) <strong>und</strong><br />
Studenten (36 Arten) in reichlichem Maße – <strong>und</strong> da es bis<br />
heute beobachtet wird, kann akademisches Fehlverhalten mit<br />
Durkheim als normal an<strong>gesehen</strong> werden. Für die normalen<br />
kriminellen Taten des Alltages werden mit gut strukturierten,<br />
gesetzlich definierten Prozeduren Antworten zu Schuld, Verantwortung<br />
<strong>und</strong> Haftung, Strafe, Sühne <strong>und</strong> Wiedergutmachung<br />
gesucht. Warum nicht in der Wissenschaft?<br />
Bei allen akademischen Untaten begegnet uns ein Spektrum<br />
von ‚eindeutig kriminell‘ bis hin zu nicht-strafwürdigem,<br />
‚ungezogenem Benehmen‘, von Dummheit über Ignoranz bis<br />
‚Hinterher wissen wir es besser‘. Nachweise von Fehlverhalten<br />
bedürfen Sachkenntnis <strong>und</strong> sind schwierig. Vieles kann man nur<br />
eruieren, wenn der Zugang zu den Originaldaten gegeben ist<br />
<strong>und</strong> die Beteiligten befragt werden können. Wie bei der ‚Alltagskriminalität‘<br />
ist ohne Berücksichtigung der Tatumstände <strong>eine</strong><br />
faire Beurteilung unmöglich.<br />
Entsprechende Vergehen rufen auch nach <strong>eine</strong>r (rechtstaatlichen)<br />
angemessenen Ahndung. Ein Zeichen für korrektes<br />
Laborjournal<br />
7-8/2016<br />
Tab. 1:<br />
Formen akademischen Fehlverhaltens<br />
Schwere Formen (‚FFP’)<br />
➤ Daten fabrizieren<br />
➤ Daten fälschen, verfälschen, trimmen<br />
➤ Plagiat, Autoplagiat<br />
Fragwürdige Praktiken QRP (questionable research practice)<br />
➤ Doppelpublikation<br />
➤ Salamipublikation<br />
➤ Ghostwriting<br />
➤ Daten-/Ideendiebstahl<br />
➤ Publikationsbias<br />
➤ In der Publikation werden nicht alle relevanten Daten, Maße usw.<br />
mitgeteilt<br />
➤ In Publikationen werden nicht alle (Rand)Bedingungen mitgeteilt<br />
➤ Anwendung falscher statistischer Methoden<br />
➤ Rechenfehler in der Statistik<br />
➤ <strong>Es</strong> werden mehr Daten gesammelt als geplant – bis Signifikanz<br />
auftritt<br />
➤ Die Datensammlung wird früher beendet als geplant,<br />
weil das er<strong>war</strong>tete Resultat statistisch bestätigt scheint<br />
➤ In Publikationen <strong>eine</strong>n p-Wert ‚r<strong>und</strong>en’ (zum Beispiel p = 0,05<br />
statt p = 0,054)<br />
➤ Ausschluss von Daten, nachdem deren Einfluss auf das Ergebnis<br />
deutlich <strong>wurde</strong><br />
➤ Datensätze so auswählen, bis die Ergebnisse positiv ersch<strong>eine</strong>n<br />
➤ In Publikationen so berichten, dass (uner<strong>war</strong>tete) Bef<strong>und</strong>e von<br />
Anfang an antizipiert <strong>wurde</strong>n – beziehungsweise nur Thesen dargestellt<br />
werden, die erst nach Durchführung der Untersuchung abgeleitet<br />
<strong>wurde</strong>n (HARK = Hypothesis After the Results are Known)<br />
➤ Verschweigen des Einflusses demographischer Variablen<br />
(etwa Gender, Alter )<br />
➤ Unberechtigtes beziehungsweise unkritisches Verwenden<br />
von Daten<br />
➤ Nichthinterlegen von Daten, Verschwinden von ‚Laborbüchern‘<br />
Schlamperei<br />
➤ Fehlerhafte Zitate (Angaben inkorrekt, Inhalte in der angegebenen<br />
Publikation nicht belegt)<br />
➤ Schmeichelhafte Zitierungen<br />
➤ Fehlerhaftes Peer-Review<br />
➤ Bruch der Vertraulichkeit<br />
➤ Verleumderisches Whistleblowing<br />
➤ Ehrenautorschaften, Unterdrückung von Autorschaften<br />
➤ Unethisches Verhalten<br />
➤ Unethische Versuche <strong>und</strong> Studien<br />
➤ Verletzung des Ethikvotums, Untersuchungen ohne Ethikvotum<br />
➤ Verletzung des Tierschutzvotums<br />
➤ Fehlverhalten in der Zusammenarbeit<br />
➤ Mobbing, Missgunst, Diskriminierung<br />
➤ Schlechte oder fehlende Betreuung<br />
➤ Ausbeutung anderer<br />
➤ Versteckter oder offener Sexismus<br />
➤ Nepotismus<br />
➤ Sabotage<br />
➤ Verleumdung<br />
➤ Beleidigung<br />
➤ Fehlerhaftes Peer Review<br />
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Illustration: Fotolia / freshideas