Es war einmal.. .. eine Zelle und sie wurde nimmermehr gesehen?
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<strong>Es</strong>say<br />
Mehr Effizienz<br />
durch Wettbewerbe?<br />
Von Matthias Binswanger, oLTen (CH)<br />
Illustration: Fotolia / freshideas<br />
Zu m<strong>eine</strong>n, künstlich inszenierte<br />
Wettbewerbe steigerten<br />
die Effizienz der Forschung, ist<br />
Unsinn. In der Wirtschaft weiß<br />
man das schon länger.<br />
In vielen Bereichen der Wirtschaft gibt es<br />
k<strong>eine</strong> oder nur unvollständig funktionierende<br />
Märkte. Im Zuge <strong>eine</strong>r zunehmenden<br />
Markt- <strong>und</strong> Wettbewerbsgläubigkeit ist<br />
man daher über die letzten Jahrzehnte<br />
auf die fatale Idee gekommen, künstliche<br />
Wettbewerbe zu inszenieren, um so die<br />
angeblich überlegene Effizienz der Marktwirtschaft<br />
bis in den hintersten Winkel jeder<br />
öffentlichen <strong>und</strong> privaten Institution<br />
voranzutreiben. Mit missionarischem Eifer<br />
werden überall Leistungsanreize gesetzt,<br />
doch was dabei als Leistung herauskommt,<br />
ist in Wirklichkeit meist Unsinn. Ein neues<br />
Gespenst geht also um in Europa. <strong>Es</strong> ist<br />
das Gespenst des künstlichen Wettbewerbs,<br />
welches sich zu <strong>eine</strong>r neuen Ideologie entwickelt<br />
hat, in die sich ein großer Teil von<br />
Politik <strong>und</strong> Wirtschaft verrannt hat (<strong>sie</strong>he<br />
Binswanger, 2010).<br />
Betrachten wir die Politik der letzten 25<br />
Jahre, dann sind es überraschenderweise<br />
gerade sozialistische Regierungen, welche<br />
die Idee des künstlichen Wettbewerbs am<br />
stärksten vorangetrieben haben. Diese <strong>war</strong>en<br />
nämlich schon seit längerer Zeit daran,<br />
ihre alte, an Marx orientierte Ideologie<br />
über Bord zu werfen – <strong>und</strong> da kam ihnen<br />
der mit den Regierungen Thatcher <strong>und</strong><br />
18<br />
Reagan verbreitete neue Wettbewerbsenthusiasmus<br />
gerade recht. Z<strong>war</strong> predigten <strong>sie</strong><br />
k<strong>eine</strong>n Staatshass im Sinne Milton Friedmans,<br />
aber staatliche Institutionen sollten<br />
durch künstlich inszenierte Wettbewerbe<br />
auf Pseudomärkten entbürokrati<strong>sie</strong>rt <strong>und</strong><br />
auf Effizienz getrimmt werden.<br />
Allen voran ging dabei der „sozialistische“<br />
Nachfolger Margaret Thatchers,<br />
Tony Blair, indem er mit entsprechenden<br />
Reformen den bisherigen bürokratischen<br />
Staat (beziehungsweise das, was von diesem<br />
nach der Ära Thatcher noch übrig<br />
<strong>war</strong>) umzukrempeln versuchte. Wegen<br />
der Ähnlichkeit s<strong>eine</strong>r Politik zu derjenigen<br />
s<strong>eine</strong>r Vorgängerin<br />
„Das Gespenst des künstlichen<br />
Wettbewerbs hat sich zu <strong>eine</strong>r<br />
neuen Ideologie entwickelt.“<br />
bezeichnete ihn der<br />
Britische Historiker<br />
Hobsbawm daher<br />
als <strong>eine</strong> „Maggie<br />
Thatcher in Hosen“.<br />
Im Schlepptau dieser „Maggie Thatcher<br />
in Hosen“ fühlte sich dann auch Gerhard<br />
Schröder in Deutschland dazu berufen,<br />
überall im Staat Wettbewerb zu propagieren<br />
– womit die Inszenierung künstlicher<br />
Wettbewerbe endgültig zum Standardprogramm<br />
„fortschrittlicher Sozialisten“<br />
<strong>wurde</strong>.<br />
Doch nicht nur die Politik, sondern<br />
auch Beratungsfirmen wie McKinsey sprangen<br />
auf den Zug auf. Diese hatten jetzt die<br />
monetär sehr attraktive, vom Steuerzahler<br />
finanzierte Gelegenheit, auch staatliche Institutionen<br />
wie Universitäten oder Spitäler<br />
zu „beraten“– <strong>und</strong> ihnen zu zeigen, wie<br />
man diese „marktwirtschaftlich“ auf Vordermann<br />
bringt <strong>und</strong> überall Wettbewerb<br />
walten lässt. So wird also heute politisch<br />
von rechts bis links Wettbewerb auch außerhalb<br />
des Marktes gepredigt, ohne dass<br />
man sich der negativen Folgen dieser neuen<br />
Ideologie bewusst ist.<br />
In diesem Zusammenhang werden oft<br />
die Begriffe „Markt“ <strong>und</strong> „Wettbewerb“ in<br />
<strong>eine</strong>n Topf geworfen, nach dem Motto: Wo<br />
Markt ist, da ist auch Wettbewerb – <strong>und</strong> umgekehrt.<br />
Doch das ist ein gewaltiger Irrtum.<br />
Markt <strong>und</strong> Wettbewerb sind k<strong>eine</strong> siamesischen<br />
Zwillinge. Auf der <strong>eine</strong>n Seite haben<br />
wir Märkte mit sehr wenig Wettbewerb,<br />
wie etwa bei <strong>eine</strong>m Monopol oder <strong>eine</strong>m<br />
Kartell; <strong>und</strong> umgekehrt<br />
gibt es unzählige<br />
Wettbewerbe,<br />
die mit <strong>eine</strong>m Markt<br />
überhaupt nichts zu<br />
tun haben, wie etwa<br />
im Sport. Bei diesen Wettbewerben gibt es<br />
dann k<strong>eine</strong>n Preismechanismus, der <strong>eine</strong><br />
Anpassung des Angebots an die Nachfrage<br />
erzwingt, wie das bei <strong>eine</strong>m funktionierenden<br />
Marktwettbewerb der Fall ist. So<br />
liefern sich die Läufer bei <strong>eine</strong>r Olympiade<br />
<strong>eine</strong>n Wettkampf um Medaillen, Ritter bestritten<br />
Turniere, um als Trophäe <strong>eine</strong> Braut<br />
entgegenzunehmen, <strong>und</strong> Wissenschaftler<br />
wetteifern miteinander um den Zuschlag<br />
<strong>eine</strong>s Forschungsprojekts. All das sind Beispiele<br />
für Wettbewerbe ohne Markt.<br />
Allgemein herrscht unter den Wettbewerbsenthusiasten<br />
die Ansicht, dass Wettbewerbe<br />
auch ohne Märkte für optimale<br />
Resultate sorgen. So lesen wir etwa in <strong>eine</strong>r<br />
7-8/2016 Laborjournal