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Es war einmal.. .. eine Zelle und sie wurde nimmermehr gesehen?

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<strong>Es</strong>say<br />

therapeutischen Antikörper sind Prot<strong>eine</strong><br />

mit hoher oder sogar vollständiger Homologie<br />

zu menschlichen Immunglobulinen<br />

– also im Gegensatz zum typischen,<br />

chemisch syntheti<strong>sie</strong>rten Wirkstoff etwas,<br />

das unserem Körper nicht fremd ist. Nebenwirkungen<br />

werden deshalb meist nur<br />

durch die spezifischen<br />

Bindungseigenschaften<br />

des<br />

jeweilig verwendeten<br />

Antikörpers<br />

ausgelöst. Toxizität<br />

aufgr<strong>und</strong> der<br />

Gr<strong>und</strong>struktur, wie<br />

<strong>sie</strong> bei jedem neuen<br />

chemisch syntheti<strong>sie</strong>rten Wirkstoffkandidaten<br />

unvorhersagbar auftreten kann, ist<br />

deshalb weniger zu er<strong>war</strong>ten.<br />

Letztendlich entscheidend für ihren Erfolg<br />

ist aber vor allem der gr<strong>und</strong>legende<br />

molekulare Aufbau von Immunglobulinen.<br />

Therapeutische Antikörper wirken<br />

typischerweise entweder durch „Umprogrammieren“<br />

der Immunantwort gegen<br />

Krebs, oder durch hochspezifische Neutrali<strong>sie</strong>rung<br />

<strong>eine</strong>s einzelnen Proteins (wie<br />

zum Beispiel bei den TNF-Antagonisten).<br />

Beide Effekte werden erst möglich durch<br />

die spezielle Fähigkeit der Antikörper, mit<br />

fantastischer Spezifität ein bestimmtes<br />

körperfremdes Molekül inmitten hoher<br />

Konzentrationen zehntausender anderer<br />

körpereigener Prot<strong>eine</strong> zu erkennen <strong>und</strong><br />

hochaffin zu binden. Genau dafür <strong>wurde</strong><br />

die Struktur der Antikörper in Jahrmillionen<br />

natürlicher Evolution optimiert. Zur<br />

Herstellung von Milliarden unterschiedlicher<br />

Antikörper reicht unserem Immunsystem<br />

dabei <strong>eine</strong> clevere Kombinatorik<br />

von r<strong>und</strong> 150 verschiedenen Gen-Stücken<br />

plus ein wenig Gen-Neusynthese. Den Rest<br />

übernimmt <strong>eine</strong> Mini-Evolution in unserem<br />

Körper: Selektion <strong>und</strong> Mutation führen<br />

letztlich zu Überleben <strong>und</strong> Wachstum der<br />

B-<strong>Zelle</strong>n, welche die benötigten Antikörper<br />

sekretieren. Ein unglaublich eleganter <strong>und</strong><br />

effektiver Vorgang!<br />

Aber erst h<strong>und</strong>ert Jahre nach von<br />

Behrings Entdeckung gelang spezifischen<br />

Antikörperpräparaten endlich der breite<br />

Durchbruch (Dübel & Reichert, 2014).<br />

Wachsendes Verständnis für die natürlichen<br />

Mechanismen der Antikörpererzeugung<br />

zusammen mit enormen Fortschritten in<br />

der Gentechnologie erlaubten es erstmals,<br />

menschliche Antikörper gezielt zu gewinnen.<br />

Der Schlüssel zum Erfolg dabei <strong>war</strong>,<br />

dass es gelang, maßgebliche Mechanismen<br />

der Antikörper-Immunantwort außerhalb<br />

des menschlichen Körpers zu imitieren.<br />

Die ersten klinisch erfolgreichen monoklonalen<br />

therapeutischen Antikörper nutzen<br />

„Eine einzige Klasse von Molekülen<br />

hat alles andere, von Aspirin<br />

bis Antibiotika, in Bezug auf<br />

den Umsatz auf die Plätze verwiesen.<br />

Wie <strong>war</strong> das möglich?“<br />

dazu zunächst noch die Hybridom-Technologie<br />

von Köhler <strong>und</strong> Milstein (1975)<br />

zur Erzeugung von Maus-Antikörpern gewünschter<br />

Spezifität. Die Antikörper-DNA<br />

dieser Hybridome <strong>wurde</strong> dann kloniert,<br />

wobei mit gentechnologischen Mitteln<br />

möglichst große Teile der Maus-Sequenzen<br />

durch menschliche<br />

Aminosäureabfolgen<br />

ersetzt <strong>wurde</strong>n.<br />

Solche „chimären“<br />

oder „humani<strong>sie</strong>rten“<br />

Antikörper enthalten<br />

immer noch<br />

Maus-Sequenzanteile,<br />

insbesondere<br />

im Bereich der direkten Kontaktstellen<br />

zum Antigen. Diese Mausanteile <strong>war</strong>en<br />

nun aber so gering, dass die Verträglichkeit<br />

entscheidend verbessert werden konnte<br />

<strong>und</strong> die erste große Welle erfolgreicher<br />

Medikamentzulassungen gelang (Dübel &<br />

Reichert, 2014).<br />

Die nächste bahnbrechende Erfindung<br />

<strong>war</strong> das Antikörper-Phagendisplay. Damit<br />

gelang erstmals die Erzeugung komplett<br />

menschlicher Antikörper außerhalb des<br />

Körpers – sogar ohne jede Immuni<strong>sie</strong>rung.<br />

Die Methode <strong>wurde</strong> 1990 parallel von Frank<br />

Breitling <strong>und</strong> mir in Heidelberg, Carlos Barbas<br />

in San Diego <strong>und</strong> John McCafferty <strong>und</strong><br />

David Chiswell in Cambridge auf Basis der<br />

Arbeiten von George P. Smith entwickelt.<br />

Dabei wird als erster Schritt das natürliche<br />

Gen-Repertoire menschlicher Antikörper<br />

in E. coli kloniert – also <strong>eine</strong> Gen bibliothek<br />

(„Library“) aller menschlicher Antikörpersequenzen<br />

hergestellt. Dieser erste Schritt<br />

ist technisch k<strong>eine</strong>sfalls trivial: Die besten<br />

„universellen“, also für die Erzeugung<br />

von Antikörpern gegen beliebige Antigene<br />

geeigneten Libraries enthalten heute<br />

mehr als zehn Milliarden verschiedener<br />

Einzelklone (Kügler<br />

et al, 2015). Die notwendige<br />

Diversität<br />

liegt also viele Größenordnungen<br />

über<br />

der üblichen Größe<br />

von cDNA-Genbibliotheken.<br />

Antikörper-Libraries<br />

sind damit mit weitem Abstand<br />

die komplexesten Genbibliotheken.<br />

Im zweiten Schritt muss aus dieser<br />

riesigen Vielfalt an Strukturen der <strong>eine</strong>,<br />

richtige Antikörper selektiert werden. Dies<br />

ermöglicht das Phagendisplay. Dazu wird<br />

jeder Antikörper der Library an die Oberfläche<br />

<strong>eine</strong>s Bakteriophagen gekoppelt,<br />

welcher in s<strong>eine</strong>m Inneren genau die DNA<br />

enthält, die diesen speziellen Antikörper<br />

kodiert. Wird nun ein solcher Antikörperphage<br />

durch Bindung an sein Antigen aus<br />

„Die Vision, Antikörper gegen<br />

das gesamte menschliche Proteom<br />

herzustellen, wäre technisch<br />

bereits heute umsatzbar.“<br />

den Milliarden anderer Antikörper der<br />

Library angereichert, erhält man so auch<br />

gleich die entsprechende DNA, da der<br />

Antikörper ja in Form des Phagen s<strong>eine</strong>n<br />

eigenen genetischen Bauplan huckepack<br />

trägt (Breitling et al, 1991).<br />

Der erste mit Hilfe von Antikörper-Phagendisplay<br />

erzeugte therapeutische Antikörper<br />

<strong>wurde</strong> 2002 zugelassen <strong>und</strong> ist<br />

seit 2012 das umsatzstärkste Medikament<br />

weltweit: das bereits erwähnte Arthritis-Präparat<br />

Humira (Ecker et al., 2015).<br />

Wenige Jahre nach der Erfindung des Phagendisplays<br />

<strong>wurde</strong> noch ein zweiter Weg<br />

zur Erzeugung menschlicher Antikörper<br />

gef<strong>und</strong>en: transgene Mäuse, deren eigene<br />

Antikörpergene durch das menschliche<br />

IgG-Genrepertoire ersetzt worden <strong>war</strong>en.<br />

Nach Immuni<strong>sie</strong>rung konnten <strong>sie</strong> deshalb<br />

Antikörper mit menschlicher Ursprungsequenz<br />

bilden. 2007 <strong>wurde</strong> der erste Antikörper<br />

aus s olch <strong>eine</strong>r Maus als Medikament<br />

zugelassen (Panitumumab, Handelsname<br />

Vectibix). Transgene Tiere mit<br />

menschlichen IgG-Genen sind heute neben<br />

dem Phagendisplay die zweite maßgebliche<br />

Quelle für neue humane therapeutische<br />

Antikörper (Lonberg, 2005).<br />

Leider <strong>war</strong> die Nutzung von Antikörper-Phagendisplay<br />

<strong>und</strong> der Human-IgG-Mäuse<br />

für Diagnostik <strong>und</strong> Forschung<br />

aufgr<strong>und</strong> <strong>eine</strong>s Dschungels aus<br />

Patenten lange behindert. Deshalb werden<br />

rekombinante Antikörper erst jetzt nach<br />

<strong>und</strong> nach auch für „nicht-hochpreisige“ Anwendungen<br />

verfügbar. Erste Antikörper aus<br />

unseren <strong>und</strong> anderen Phagendisplay-Libraries<br />

sind mittlerweile als Forschungsreagenzien<br />

per Katalog bestellbar. Dazu haben<br />

auch zahlreiche Forschungsprojekte beigetragen,<br />

welche sich mit der Optimierung<br />

der In-vitro-Selektion rekombinanter Antikörper<br />

für den Hochdurchsatz beschäftigten,<br />

zum Beispiel<br />

durch Miniaturi<strong>sie</strong>rung<br />

<strong>und</strong> Automati<strong>sie</strong>rung.<br />

Die Vision<br />

von internationalen<br />

Forschungsverbünden<br />

wie etwa Affinomics,<br />

Antikörper<br />

gegen das gesamte menschliche Proteom<br />

herzustellen, wäre deshalb technisch<br />

bereits heute umsetzbar <strong>und</strong> somit nur<br />

noch <strong>eine</strong> Frage der Finanzierung. Nicht<br />

zu vergessen sei dabei auch, dass der enorme<br />

Hunger der Forscher auf die hochspezifischen<br />

Nachweisreagenzien mithilfe<br />

des Antikörper-Phagendisplays erstmals<br />

komplett versuchstierfrei befriedigt werden<br />

kann. Auch die besonderen Vorteile<br />

der In-vitro-Selektion, welche <strong>eine</strong> gezielte<br />

Steuerung biochemischer Eigenschaften<br />

Laborjournal<br />

7-8/2016<br />

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