Es war einmal.. .. eine Zelle und sie wurde nimmermehr gesehen?
LJ_16_07
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<strong>Es</strong>say<br />
therapeutischen Antikörper sind Prot<strong>eine</strong><br />
mit hoher oder sogar vollständiger Homologie<br />
zu menschlichen Immunglobulinen<br />
– also im Gegensatz zum typischen,<br />
chemisch syntheti<strong>sie</strong>rten Wirkstoff etwas,<br />
das unserem Körper nicht fremd ist. Nebenwirkungen<br />
werden deshalb meist nur<br />
durch die spezifischen<br />
Bindungseigenschaften<br />
des<br />
jeweilig verwendeten<br />
Antikörpers<br />
ausgelöst. Toxizität<br />
aufgr<strong>und</strong> der<br />
Gr<strong>und</strong>struktur, wie<br />
<strong>sie</strong> bei jedem neuen<br />
chemisch syntheti<strong>sie</strong>rten Wirkstoffkandidaten<br />
unvorhersagbar auftreten kann, ist<br />
deshalb weniger zu er<strong>war</strong>ten.<br />
Letztendlich entscheidend für ihren Erfolg<br />
ist aber vor allem der gr<strong>und</strong>legende<br />
molekulare Aufbau von Immunglobulinen.<br />
Therapeutische Antikörper wirken<br />
typischerweise entweder durch „Umprogrammieren“<br />
der Immunantwort gegen<br />
Krebs, oder durch hochspezifische Neutrali<strong>sie</strong>rung<br />
<strong>eine</strong>s einzelnen Proteins (wie<br />
zum Beispiel bei den TNF-Antagonisten).<br />
Beide Effekte werden erst möglich durch<br />
die spezielle Fähigkeit der Antikörper, mit<br />
fantastischer Spezifität ein bestimmtes<br />
körperfremdes Molekül inmitten hoher<br />
Konzentrationen zehntausender anderer<br />
körpereigener Prot<strong>eine</strong> zu erkennen <strong>und</strong><br />
hochaffin zu binden. Genau dafür <strong>wurde</strong><br />
die Struktur der Antikörper in Jahrmillionen<br />
natürlicher Evolution optimiert. Zur<br />
Herstellung von Milliarden unterschiedlicher<br />
Antikörper reicht unserem Immunsystem<br />
dabei <strong>eine</strong> clevere Kombinatorik<br />
von r<strong>und</strong> 150 verschiedenen Gen-Stücken<br />
plus ein wenig Gen-Neusynthese. Den Rest<br />
übernimmt <strong>eine</strong> Mini-Evolution in unserem<br />
Körper: Selektion <strong>und</strong> Mutation führen<br />
letztlich zu Überleben <strong>und</strong> Wachstum der<br />
B-<strong>Zelle</strong>n, welche die benötigten Antikörper<br />
sekretieren. Ein unglaublich eleganter <strong>und</strong><br />
effektiver Vorgang!<br />
Aber erst h<strong>und</strong>ert Jahre nach von<br />
Behrings Entdeckung gelang spezifischen<br />
Antikörperpräparaten endlich der breite<br />
Durchbruch (Dübel & Reichert, 2014).<br />
Wachsendes Verständnis für die natürlichen<br />
Mechanismen der Antikörpererzeugung<br />
zusammen mit enormen Fortschritten in<br />
der Gentechnologie erlaubten es erstmals,<br />
menschliche Antikörper gezielt zu gewinnen.<br />
Der Schlüssel zum Erfolg dabei <strong>war</strong>,<br />
dass es gelang, maßgebliche Mechanismen<br />
der Antikörper-Immunantwort außerhalb<br />
des menschlichen Körpers zu imitieren.<br />
Die ersten klinisch erfolgreichen monoklonalen<br />
therapeutischen Antikörper nutzen<br />
„Eine einzige Klasse von Molekülen<br />
hat alles andere, von Aspirin<br />
bis Antibiotika, in Bezug auf<br />
den Umsatz auf die Plätze verwiesen.<br />
Wie <strong>war</strong> das möglich?“<br />
dazu zunächst noch die Hybridom-Technologie<br />
von Köhler <strong>und</strong> Milstein (1975)<br />
zur Erzeugung von Maus-Antikörpern gewünschter<br />
Spezifität. Die Antikörper-DNA<br />
dieser Hybridome <strong>wurde</strong> dann kloniert,<br />
wobei mit gentechnologischen Mitteln<br />
möglichst große Teile der Maus-Sequenzen<br />
durch menschliche<br />
Aminosäureabfolgen<br />
ersetzt <strong>wurde</strong>n.<br />
Solche „chimären“<br />
oder „humani<strong>sie</strong>rten“<br />
Antikörper enthalten<br />
immer noch<br />
Maus-Sequenzanteile,<br />
insbesondere<br />
im Bereich der direkten Kontaktstellen<br />
zum Antigen. Diese Mausanteile <strong>war</strong>en<br />
nun aber so gering, dass die Verträglichkeit<br />
entscheidend verbessert werden konnte<br />
<strong>und</strong> die erste große Welle erfolgreicher<br />
Medikamentzulassungen gelang (Dübel &<br />
Reichert, 2014).<br />
Die nächste bahnbrechende Erfindung<br />
<strong>war</strong> das Antikörper-Phagendisplay. Damit<br />
gelang erstmals die Erzeugung komplett<br />
menschlicher Antikörper außerhalb des<br />
Körpers – sogar ohne jede Immuni<strong>sie</strong>rung.<br />
Die Methode <strong>wurde</strong> 1990 parallel von Frank<br />
Breitling <strong>und</strong> mir in Heidelberg, Carlos Barbas<br />
in San Diego <strong>und</strong> John McCafferty <strong>und</strong><br />
David Chiswell in Cambridge auf Basis der<br />
Arbeiten von George P. Smith entwickelt.<br />
Dabei wird als erster Schritt das natürliche<br />
Gen-Repertoire menschlicher Antikörper<br />
in E. coli kloniert – also <strong>eine</strong> Gen bibliothek<br />
(„Library“) aller menschlicher Antikörpersequenzen<br />
hergestellt. Dieser erste Schritt<br />
ist technisch k<strong>eine</strong>sfalls trivial: Die besten<br />
„universellen“, also für die Erzeugung<br />
von Antikörpern gegen beliebige Antigene<br />
geeigneten Libraries enthalten heute<br />
mehr als zehn Milliarden verschiedener<br />
Einzelklone (Kügler<br />
et al, 2015). Die notwendige<br />
Diversität<br />
liegt also viele Größenordnungen<br />
über<br />
der üblichen Größe<br />
von cDNA-Genbibliotheken.<br />
Antikörper-Libraries<br />
sind damit mit weitem Abstand<br />
die komplexesten Genbibliotheken.<br />
Im zweiten Schritt muss aus dieser<br />
riesigen Vielfalt an Strukturen der <strong>eine</strong>,<br />
richtige Antikörper selektiert werden. Dies<br />
ermöglicht das Phagendisplay. Dazu wird<br />
jeder Antikörper der Library an die Oberfläche<br />
<strong>eine</strong>s Bakteriophagen gekoppelt,<br />
welcher in s<strong>eine</strong>m Inneren genau die DNA<br />
enthält, die diesen speziellen Antikörper<br />
kodiert. Wird nun ein solcher Antikörperphage<br />
durch Bindung an sein Antigen aus<br />
„Die Vision, Antikörper gegen<br />
das gesamte menschliche Proteom<br />
herzustellen, wäre technisch<br />
bereits heute umsatzbar.“<br />
den Milliarden anderer Antikörper der<br />
Library angereichert, erhält man so auch<br />
gleich die entsprechende DNA, da der<br />
Antikörper ja in Form des Phagen s<strong>eine</strong>n<br />
eigenen genetischen Bauplan huckepack<br />
trägt (Breitling et al, 1991).<br />
Der erste mit Hilfe von Antikörper-Phagendisplay<br />
erzeugte therapeutische Antikörper<br />
<strong>wurde</strong> 2002 zugelassen <strong>und</strong> ist<br />
seit 2012 das umsatzstärkste Medikament<br />
weltweit: das bereits erwähnte Arthritis-Präparat<br />
Humira (Ecker et al., 2015).<br />
Wenige Jahre nach der Erfindung des Phagendisplays<br />
<strong>wurde</strong> noch ein zweiter Weg<br />
zur Erzeugung menschlicher Antikörper<br />
gef<strong>und</strong>en: transgene Mäuse, deren eigene<br />
Antikörpergene durch das menschliche<br />
IgG-Genrepertoire ersetzt worden <strong>war</strong>en.<br />
Nach Immuni<strong>sie</strong>rung konnten <strong>sie</strong> deshalb<br />
Antikörper mit menschlicher Ursprungsequenz<br />
bilden. 2007 <strong>wurde</strong> der erste Antikörper<br />
aus s olch <strong>eine</strong>r Maus als Medikament<br />
zugelassen (Panitumumab, Handelsname<br />
Vectibix). Transgene Tiere mit<br />
menschlichen IgG-Genen sind heute neben<br />
dem Phagendisplay die zweite maßgebliche<br />
Quelle für neue humane therapeutische<br />
Antikörper (Lonberg, 2005).<br />
Leider <strong>war</strong> die Nutzung von Antikörper-Phagendisplay<br />
<strong>und</strong> der Human-IgG-Mäuse<br />
für Diagnostik <strong>und</strong> Forschung<br />
aufgr<strong>und</strong> <strong>eine</strong>s Dschungels aus<br />
Patenten lange behindert. Deshalb werden<br />
rekombinante Antikörper erst jetzt nach<br />
<strong>und</strong> nach auch für „nicht-hochpreisige“ Anwendungen<br />
verfügbar. Erste Antikörper aus<br />
unseren <strong>und</strong> anderen Phagendisplay-Libraries<br />
sind mittlerweile als Forschungsreagenzien<br />
per Katalog bestellbar. Dazu haben<br />
auch zahlreiche Forschungsprojekte beigetragen,<br />
welche sich mit der Optimierung<br />
der In-vitro-Selektion rekombinanter Antikörper<br />
für den Hochdurchsatz beschäftigten,<br />
zum Beispiel<br />
durch Miniaturi<strong>sie</strong>rung<br />
<strong>und</strong> Automati<strong>sie</strong>rung.<br />
Die Vision<br />
von internationalen<br />
Forschungsverbünden<br />
wie etwa Affinomics,<br />
Antikörper<br />
gegen das gesamte menschliche Proteom<br />
herzustellen, wäre deshalb technisch<br />
bereits heute umsetzbar <strong>und</strong> somit nur<br />
noch <strong>eine</strong> Frage der Finanzierung. Nicht<br />
zu vergessen sei dabei auch, dass der enorme<br />
Hunger der Forscher auf die hochspezifischen<br />
Nachweisreagenzien mithilfe<br />
des Antikörper-Phagendisplays erstmals<br />
komplett versuchstierfrei befriedigt werden<br />
kann. Auch die besonderen Vorteile<br />
der In-vitro-Selektion, welche <strong>eine</strong> gezielte<br />
Steuerung biochemischer Eigenschaften<br />
Laborjournal<br />
7-8/2016<br />
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