Es war einmal.. .. eine Zelle und sie wurde nimmermehr gesehen?
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<strong>Es</strong>say<br />
Illustration: Fotolia / freshideas<br />
Strukturbiologie<br />
im 21. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
von Oliver Einsle, Freiburg<br />
Strukturbiologen sollten<br />
Röntgenstrukturanalyse,<br />
Cryo-Elektronenmikroskopie<br />
<strong>und</strong> NMR nicht länger als<br />
konkurrierende Methoden<br />
betrachten. Strukturbiologische<br />
Fragen lassen sich nur mit allen<br />
drei gemeinsam lösen.<br />
54<br />
Die Strukturbiologie bedient unseren<br />
gr<strong>und</strong>legenden Wunsch, Objekte, für die<br />
wir uns interes<strong>sie</strong>ren auch sehen zu können<br />
– das macht ihren ganz besonderen<br />
Reiz aus. Als echte Augentiere bauen wir<br />
Teleskope <strong>und</strong> Mikroskope oder kaufen<br />
uns zumindest <strong>eine</strong>n Fernseher. In der Welt<br />
der Atome <strong>und</strong> Moleküle, der Chemie <strong>und</strong><br />
Biochemie, stoßen Lichtmikroskope (auch<br />
höchstauflösende) aber an ihre Grenzen.<br />
Die Beugung des Lichts, auf der die vergrößernde<br />
Bildgebung ba<strong>sie</strong>rt, funktioniert<br />
nur, solange sich die Wellenlänge des benutzten<br />
Lichts auch in der Größenordnung<br />
der untersuchten Objekte bewegt. Für die<br />
Darstellung atomarer Details benötigen wir<br />
daher Wellenlängen von etwa 0,1 bis 0,2<br />
Nanometer. Das entspricht etwa der Länge<br />
<strong>eine</strong>r C–C-Einfachbindung (0,15 nm).<br />
Die atomare Mikroskopie hatte deshalb<br />
nur zwei Optionen aus denen letztlich<br />
zwei gr<strong>und</strong>legende Methoden der<br />
Strukturaufklärung hervorgingen: Zum<br />
<strong>eine</strong>n die Röntgenstrukturanalyse, die<br />
die Beugung kurzwelliger, energiereicher<br />
Röntgenstrahlen des Lichtspektrums an bestrahlten<br />
Objekten ausnützt; zum anderen<br />
die Elektronenmikroskopie, die Elektronen<br />
(also Elementarteilchen) mit ähnlich hoher<br />
Energie <strong>und</strong> kurzer Wellenlänge einsetzt.<br />
Dank ihrer negativen Ladung lassen<br />
sich Elektronen über elektromagnetische<br />
Linsen fokus<strong>sie</strong>ren, was den Bau <strong>eine</strong>r bildgebenden<br />
Optik <strong>und</strong> damit <strong>eine</strong>s echten<br />
Elektronenmikroskops ermöglicht. Gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
kann ein Elektronenmikroskop problemlos<br />
einzelne Atome sichtbar machen<br />
– die Schwierigkeiten beginnen jedoch<br />
beim Arbeiten mit weichen (biologischen)<br />
Proben: Elektronen haben durch ihren<br />
Teilchencharakter <strong>eine</strong> ungleich größere<br />
Masse als Photonen <strong>und</strong> damit auch <strong>eine</strong>n<br />
Impuls, der sich auf die Probe überträgt<br />
<strong>und</strong> diese in kürzester Zeit schädigt <strong>und</strong><br />
zerstört. Gleichzeitig liefern die leichten<br />
Atome biologischer Makromoleküle nur<br />
schwach kontrastierte Bilder, was durch<br />
möglichst lange Belichtungszeiten ausgeglichen<br />
werden muss.<br />
„Diese entgegengesetzten<br />
Anforderungen limitierten<br />
die atomare Elektronenmikroskopie<br />
über Jahrzehnte.“<br />
Diese entgegengesetzten<br />
Anforderungen<br />
limitierten die atomare<br />
Elektronenmikroskopie<br />
über Jahrzehnte.<br />
Dennoch hat <strong>sie</strong> insbesondere<br />
bei der Strukturbestimmung<br />
großer Partikel wie dem<br />
Ribosom oder den Capsiden verschiedener<br />
Viren Großartiges geleistet.<br />
Demgegenüber steht die Proteinkristallographie:<br />
Obwohl die weitgehend<br />
masselosen Röntgenphotonen <strong>eine</strong> biologische<br />
Probe weitaus weniger schädigen,<br />
finden wir in den Preislisten einschlägiger<br />
Gerätehersteller k<strong>eine</strong> Röntgenmikroskope.<br />
Der Gr<strong>und</strong> ist einfach: für Röntgenstrahlen<br />
existieren k<strong>eine</strong> bildgebenden Optiken oder<br />
Röntgenlinsen. Wir können die Strahlen<br />
an <strong>eine</strong>m Makromolekül beugen, die gebeugten<br />
Wellen lassen sich aber nicht wieder<br />
einsammeln <strong>und</strong> zu <strong>eine</strong>m vergrößerten<br />
Abbild vereinigen.<br />
Der Weg zur Lösung dieses vor mehr<br />
als <strong>eine</strong>m Jahrh<strong>und</strong>ert erkannten Problems<br />
<strong>war</strong> steinig. Er <strong>wurde</strong> jedoch, unter<br />
anderem gepflastert durch zahlreiche Nobelpreise,<br />
soweit gangbar gemacht, dass<br />
die Röntgenstrukturanalyse die bis heute<br />
konkurrenzlos erfolgreichste Methode der<br />
‚atomaren Mikroskopie’ ist.<br />
Für ihren Erfolg mussten die Pioniere<br />
der Röntgenstrukturanalyse etliche Hindernisse<br />
aus dem Weg räumen. Eines der<br />
größten <strong>war</strong> das Problem, ohne bildgebende<br />
Optiken oder Röntgenlinsen ein Bild<br />
aus den gebeugten Wellen herauszulesen.<br />
Dies gelang schließlich durch die Kristallisation<br />
von Prot<strong>eine</strong>n. Die unzähligen, in<br />
Reih’ <strong>und</strong> Glied stehenden Kopien des in die<br />
Kristallstruktur eingeb<strong>und</strong>enen Moleküls,<br />
verstärken die gebeugten Röntgenstrahlen<br />
durch konstruktive Interferenz um etliche<br />
Größenordnungen.<br />
Die Kristallbildung ist gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
entropiegetrieben (durch den teilweisen<br />
Verlust der geordneten Hydrathülle der<br />
Makromoleküle) <strong>und</strong> damit exergon. Sie<br />
funktioniert also immer<br />
– worüber sich<br />
zugegebenermaßen<br />
nicht alle Prot<strong>eine</strong> im<br />
Klaren sind. Die Herstellung<br />
qualitativ<br />
hochwertiger Einkristalle<br />
wird daher häufig<br />
als Flaschenhals bei der kristallographischen<br />
Strukturaufklärung an<strong>gesehen</strong>. Die<br />
Probleme liegen aber eher in der Bereitstellung<br />
homogenen Proteinmaterials, also auf<br />
der Seite der präparativen Biochemie.<br />
Auch wenn es meist anders wahrgenommen<br />
wird, ist die Situation auf Seiten<br />
der Elektronenmikroskopie k<strong>eine</strong> gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
andere: Trotz direkter Bildgebung<br />
erzwingt die schwache Kontrastierung der<br />
erhaltenen Bilder <strong>eine</strong> Verstärkung durch<br />
systematische Mittelung: Die beobachteten<br />
Projektionen verschiedener Anordnungen<br />
(‚Klassen’) des untersuchten Moleküls in<br />
der gefrorenen Probe werden vielfach gemittelt.<br />
Die erhaltenen, kontrastreicheren<br />
Bilder vereint man dann zu <strong>eine</strong>r dreidimensionalen<br />
Rekonstruktion.<br />
Bei der Röntgenbeugung führen die Forscher<br />
die Kristallisation in der realen Welt<br />
durch <strong>und</strong> verlagern die Bildgebung in den<br />
Computer. Bei der Elektronenmikroskopie<br />
ist es genau umgekehrt: Auf die reale Bildgebung<br />
folgt die Verstärkung durch Mittelung<br />
im Computer. Das Ergebnis der beiden<br />
Beugungsmethoden ist so verschieden<br />
nicht: der Forscher erhält jeweils <strong>eine</strong> Karte<br />
mit der Verteilung (‚Dichte’) von Elektronen<br />
7-8/2016 Laborjournal