Es war einmal.. .. eine Zelle und sie wurde nimmermehr gesehen?
LJ_16_07
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<strong>Es</strong>say<br />
Der Sachverständige erklärt die bedingte<br />
Wahrscheinlichkeit des Zustandekommens<br />
s<strong>eine</strong>s Bef<strong>und</strong>es (DNA-Profilübereinstimmung)<br />
unter Berücksichtigung der sich<br />
widersprechenden Theorien. Hierbei sollte<br />
er sich auf Daten stützen können, die s<strong>eine</strong><br />
Schlüsse rechtfertigen. Im Routinefall<br />
werden hierfür relative Häufigkeiten aus<br />
belastbaren Populationsdatenbanken herangezogen.<br />
Geht es jedoch um die oben angesprochenen<br />
Übertragungsvorgänge, <strong>und</strong><br />
denkt man an die überwältigende Anzahl<br />
von Faktoren, die solche Transfer-Ereignisse<br />
beeinflussen können, ist es gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
schwierig, adäquate experimentelle Daten<br />
zu generieren. Hierin liegt <strong>eine</strong>s der aktuell<br />
intensiv bearbeiteten Forschungsfelder.<br />
Bei unzureichender Datenbasis greift<br />
der Sachverständige auf das zurück, was ihn<br />
ausmacht: s<strong>eine</strong> Erfahrung. Und so schildert<br />
er, was er unter der Annahme dieser oder<br />
jener Rahmenbedingungen am ehesten er<strong>war</strong>ten<br />
würde, <strong>und</strong> was nicht. Welche Rahmenbedingungen,<br />
Theo rien oder Szenarien<br />
letztendlich für die Urteils findung <strong>eine</strong> Rolle<br />
spielen werden, entscheidet das Gericht.<br />
Will man den Blick auf die vielfältigen<br />
Forschungsfelder etwas vertiefen, braucht<br />
man lediglich an <strong>eine</strong>r der vielen Spurenkonferenzen<br />
teilzunehmen, die Ermittler,<br />
Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> kriminaltechnische<br />
Sachverständige nutzen, um die<br />
verschiedenen Untersuchungsziele zu koordinieren.<br />
Der Kanon der Fragen, die an<br />
die Analytik gestellt werden, trifft in den<br />
meisten Fällen noch auf enttäuschende<br />
Antworten. Wie alt ist die Spur? Wie alt<br />
ist der Spurenverursacher? Wie <strong>sie</strong>ht er<br />
aus? Körpergröße, Haarfarbe, Hautfarbe,<br />
Augenfarbe, geografische Herkunft, <strong>und</strong><br />
Laborjournal<br />
7-8/2016<br />
so weiter. Die Bestimmung phänotypischer<br />
Merkmale ist z<strong>war</strong> in Deutschland bisher<br />
nicht erlaubt, kann aber in vielen anderen<br />
Ländern zur Ermittlungsunterstützung genutzt<br />
werden. Entsprechend groß ist das Interesse<br />
an ihrer Weiterentwicklung – auch<br />
in Deutschland.<br />
Ebenso interessant sind neue Entwicklungen,<br />
die die Analytik selbst betreffen:<br />
Nachdem das Thema „Hochdurchsatz“ in<br />
der forensischen DNA-Analytik längst angekommen<br />
ist <strong>und</strong> zu <strong>eine</strong>r Vervielfachung der<br />
Analysekapazitäten geführt hat, geht es weiterhin<br />
darum, aus geringsten DNA-Mengen<br />
vollständige Profile zu erstellen. Der Schwellenwert<br />
liegt derzeit bei zirka 50 pg DNA<br />
– vorausgesetzt, die DNA ist nicht degradiert.<br />
Handelt es sich um degradierte DNA,<br />
zeigen sich Probleme bei der Amplifikation<br />
längerer Fragmente ( >250 bp ). Die untersuchten<br />
STRs sind z<strong>war</strong> recht kurz, jedoch<br />
sorgt die Amplifikation von flankierenden<br />
Regionen dafür, dass <strong>sie</strong> in den Farbkanälen<br />
der Kapillarelektrophorese in unterschiedlichen<br />
Fragmentlängen-Bereichen laufen<br />
<strong>und</strong> somit klar unterscheidbar bleiben. Um<br />
Degradations-Probleme zu umgehen, sind<br />
zusätzliche Farbkanäle hilfreich. Wohl noch<br />
in diesem Jahr wird sich auf dem Markt die<br />
Palette an geeigneten Kapillarelektrophorese-Geräten<br />
(derzeit 6 Farbkanäle) um ein<br />
Modell mit 8-Kanal-Technik erweitern.<br />
Eine weitere sich abzeichnende Erweiterung<br />
stellt das „Massively Parallel<br />
Sequencing“ (MPS) dar.<br />
In größeren Sequenziereinrichtungen<br />
schon<br />
etabliert, könnte es dazu<br />
beitragen, die forensische<br />
DNA-Analyse <strong>eine</strong>m Paradigmenwechsel<br />
zu unterziehen.<br />
Die bisherige<br />
Analyse von STR-Einheiten<br />
als „Amplified Fragment Lenght<br />
Polymorphisms“ (AFLP) könnte der r<strong>eine</strong>n<br />
Sequenzierung weichen. Die Anzahl der<br />
STR-Wiederholungen an den jeweils zu untersuchenden<br />
Loci wird dann anschließend<br />
anhand der Sequenzdaten bestimmt. Das<br />
klingt erst <strong>einmal</strong> nach „durch die Brust ins<br />
Auge“ – ist aber vielversprechend, da die bisher<br />
analy<strong>sie</strong>rten polymorphen Marker <strong>eine</strong><br />
Vielzahl weiterer, mit AFLP nicht nachweisbarer<br />
Variationen auf Sequenzebene tragen.<br />
Gerade bei der Interpretation von Mischspuren<br />
kann MPS helfen, angenommene<br />
Spurenmitverursacher auszuschließen<br />
oder die Anzahl anzunehmender Spurenmitverursacher<br />
besser zu bestimmten. Noch<br />
kommen die für die Forensik entsprechend<br />
angepassten Systeme nicht an die etablierte<br />
Technologie heran. Sie haben aber eindeutig<br />
das Potential, als sinnvolle Ergänzung<br />
das Spektrum der forensischen DNA-Analyse<br />
deutlich zu erweitern.<br />
<strong>Es</strong> steckt also viel Bewegung in der<br />
DNA-Analyse. Man darf gespannt sein.<br />
Apropos Bewegung: Unter dem Oberbegriff<br />
„Rapid-DNA“ ist ein weiterer Trend<br />
zu verzeichnen, zumindest Speichelproben<br />
direkt vor Ort analy<strong>sie</strong>ren zu können. Gemeint<br />
ist die neueste Generation mobiler<br />
Geräte, die in jeden PKW-Kombi passen, in<br />
jeder Polizeidienststelle stehen können <strong>und</strong><br />
aus <strong>eine</strong>m M<strong>und</strong>schleimhautabstrich in<br />
nur 90 Minuten ein komplettes datenbanktaugliches<br />
DNA-Profil erstellen. Für Spurenuntersuchungen<br />
ist ein solches Gerät<br />
hingegen bisher nur bedingt geeignet. Die<br />
Bedienung ist mit der <strong>eine</strong>r Kaffee-Pad-Maschine<br />
vergleichbar <strong>und</strong> erfordert k<strong>eine</strong><br />
spezielle Ausbildung. Ein Blick über den<br />
großen Teich lässt erkennen, dass solche<br />
Geräte dort in Zukunft in vielen Polizeidienststellen<br />
eingesetzt werden sollen. In<br />
Deutschland ist ihr Einsatz nur in DNA-Labors<br />
vorstellbar – <strong>und</strong> hier auch nur als<br />
Ad-hoc-Verfahren zur Ermittlungsunterstützung<br />
in extrem dringenden Fällen. Die<br />
Bef<strong>und</strong>e müssten, um gerichtsverwertbar<br />
zu sein, durch <strong>eine</strong> nachfolgende konventionelle<br />
Analyse bestätigt werden.<br />
Wie auch immer: Trotz hoher Anschaffungskosten,<br />
extrem teurer Verbrauchsmaterialien<br />
<strong>und</strong> geringen Probendurchsatzes<br />
wird möglicherweise <strong>eine</strong> Art nationales<br />
Geräte-Netzwerk entstehen, um in bestimmten<br />
Situationen<br />
wie zum Beispiel Täterermittlungen<br />
oder<br />
Identifizierungsmaßnahmen<br />
in Katastrophenlagen,<br />
örtlich<br />
flexibel <strong>und</strong> schnellstmöglich<br />
zu reagieren.<br />
Wie geht es weiter?<br />
Das Ende der Fahnenstange ist noch<br />
längst nicht erreicht. Die forensische<br />
DNA-Analyse steht auf <strong>eine</strong>m festen F<strong>und</strong>ament<br />
<strong>und</strong> hat sehr hohen Ansprüchen<br />
gerecht zu werden. Künftige Änderungen<br />
oder Erweiterungen müssen sorgfältig abgestimmt<br />
<strong>und</strong> mit Augenmaß vorgenommen<br />
werden. Ich wage die vorsichtige<br />
Prognose, dass über kurz oder lang auch<br />
die Strafprozessordnung angepasst wird,<br />
um neuen, einsatzfähigen Möglichkeiten<br />
der DNA-Analyse Rechnung zu tragen. Zeit<br />
darüber nachzudenken wäre es…<br />
„Bei unzureichender<br />
Datenbasis greift der<br />
Sachverständige auf das<br />
zurück, was ihn ausmacht:<br />
s<strong>eine</strong> Erfahrung.“<br />
Der Molekularbiologe Martin Eckert<br />
arbeitet seit 2003 als Sachverständiger im<br />
Kriminaltechnischen Institut des B<strong>und</strong>eskriminalamtes.<br />
Er ist Mitglied mehrerer<br />
polizeilicher <strong>und</strong> EU-Arbeitsgruppen <strong>und</strong><br />
Gastdozent der Deutschen Richterakademie.<br />
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