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Es war einmal.. .. eine Zelle und sie wurde nimmermehr gesehen?

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<strong>Es</strong>say<br />

Der Sachverständige erklärt die bedingte<br />

Wahrscheinlichkeit des Zustandekommens<br />

s<strong>eine</strong>s Bef<strong>und</strong>es (DNA-Profilübereinstimmung)<br />

unter Berücksichtigung der sich<br />

widersprechenden Theorien. Hierbei sollte<br />

er sich auf Daten stützen können, die s<strong>eine</strong><br />

Schlüsse rechtfertigen. Im Routinefall<br />

werden hierfür relative Häufigkeiten aus<br />

belastbaren Populationsdatenbanken herangezogen.<br />

Geht es jedoch um die oben angesprochenen<br />

Übertragungsvorgänge, <strong>und</strong><br />

denkt man an die überwältigende Anzahl<br />

von Faktoren, die solche Transfer-Ereignisse<br />

beeinflussen können, ist es gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

schwierig, adäquate experimentelle Daten<br />

zu generieren. Hierin liegt <strong>eine</strong>s der aktuell<br />

intensiv bearbeiteten Forschungsfelder.<br />

Bei unzureichender Datenbasis greift<br />

der Sachverständige auf das zurück, was ihn<br />

ausmacht: s<strong>eine</strong> Erfahrung. Und so schildert<br />

er, was er unter der Annahme dieser oder<br />

jener Rahmenbedingungen am ehesten er<strong>war</strong>ten<br />

würde, <strong>und</strong> was nicht. Welche Rahmenbedingungen,<br />

Theo rien oder Szenarien<br />

letztendlich für die Urteils findung <strong>eine</strong> Rolle<br />

spielen werden, entscheidet das Gericht.<br />

Will man den Blick auf die vielfältigen<br />

Forschungsfelder etwas vertiefen, braucht<br />

man lediglich an <strong>eine</strong>r der vielen Spurenkonferenzen<br />

teilzunehmen, die Ermittler,<br />

Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> kriminaltechnische<br />

Sachverständige nutzen, um die<br />

verschiedenen Untersuchungsziele zu koordinieren.<br />

Der Kanon der Fragen, die an<br />

die Analytik gestellt werden, trifft in den<br />

meisten Fällen noch auf enttäuschende<br />

Antworten. Wie alt ist die Spur? Wie alt<br />

ist der Spurenverursacher? Wie <strong>sie</strong>ht er<br />

aus? Körpergröße, Haarfarbe, Hautfarbe,<br />

Augenfarbe, geografische Herkunft, <strong>und</strong><br />

Laborjournal<br />

7-8/2016<br />

so weiter. Die Bestimmung phänotypischer<br />

Merkmale ist z<strong>war</strong> in Deutschland bisher<br />

nicht erlaubt, kann aber in vielen anderen<br />

Ländern zur Ermittlungsunterstützung genutzt<br />

werden. Entsprechend groß ist das Interesse<br />

an ihrer Weiterentwicklung – auch<br />

in Deutschland.<br />

Ebenso interessant sind neue Entwicklungen,<br />

die die Analytik selbst betreffen:<br />

Nachdem das Thema „Hochdurchsatz“ in<br />

der forensischen DNA-Analytik längst angekommen<br />

ist <strong>und</strong> zu <strong>eine</strong>r Vervielfachung der<br />

Analysekapazitäten geführt hat, geht es weiterhin<br />

darum, aus geringsten DNA-Mengen<br />

vollständige Profile zu erstellen. Der Schwellenwert<br />

liegt derzeit bei zirka 50 pg DNA<br />

– vorausgesetzt, die DNA ist nicht degradiert.<br />

Handelt es sich um degradierte DNA,<br />

zeigen sich Probleme bei der Amplifikation<br />

längerer Fragmente ( >250 bp ). Die untersuchten<br />

STRs sind z<strong>war</strong> recht kurz, jedoch<br />

sorgt die Amplifikation von flankierenden<br />

Regionen dafür, dass <strong>sie</strong> in den Farbkanälen<br />

der Kapillarelektrophorese in unterschiedlichen<br />

Fragmentlängen-Bereichen laufen<br />

<strong>und</strong> somit klar unterscheidbar bleiben. Um<br />

Degradations-Probleme zu umgehen, sind<br />

zusätzliche Farbkanäle hilfreich. Wohl noch<br />

in diesem Jahr wird sich auf dem Markt die<br />

Palette an geeigneten Kapillarelektrophorese-Geräten<br />

(derzeit 6 Farbkanäle) um ein<br />

Modell mit 8-Kanal-Technik erweitern.<br />

Eine weitere sich abzeichnende Erweiterung<br />

stellt das „Massively Parallel<br />

Sequencing“ (MPS) dar.<br />

In größeren Sequenziereinrichtungen<br />

schon<br />

etabliert, könnte es dazu<br />

beitragen, die forensische<br />

DNA-Analyse <strong>eine</strong>m Paradigmenwechsel<br />

zu unterziehen.<br />

Die bisherige<br />

Analyse von STR-Einheiten<br />

als „Amplified Fragment Lenght<br />

Polymorphisms“ (AFLP) könnte der r<strong>eine</strong>n<br />

Sequenzierung weichen. Die Anzahl der<br />

STR-Wiederholungen an den jeweils zu untersuchenden<br />

Loci wird dann anschließend<br />

anhand der Sequenzdaten bestimmt. Das<br />

klingt erst <strong>einmal</strong> nach „durch die Brust ins<br />

Auge“ – ist aber vielversprechend, da die bisher<br />

analy<strong>sie</strong>rten polymorphen Marker <strong>eine</strong><br />

Vielzahl weiterer, mit AFLP nicht nachweisbarer<br />

Variationen auf Sequenzebene tragen.<br />

Gerade bei der Interpretation von Mischspuren<br />

kann MPS helfen, angenommene<br />

Spurenmitverursacher auszuschließen<br />

oder die Anzahl anzunehmender Spurenmitverursacher<br />

besser zu bestimmten. Noch<br />

kommen die für die Forensik entsprechend<br />

angepassten Systeme nicht an die etablierte<br />

Technologie heran. Sie haben aber eindeutig<br />

das Potential, als sinnvolle Ergänzung<br />

das Spektrum der forensischen DNA-Analyse<br />

deutlich zu erweitern.<br />

<strong>Es</strong> steckt also viel Bewegung in der<br />

DNA-Analyse. Man darf gespannt sein.<br />

Apropos Bewegung: Unter dem Oberbegriff<br />

„Rapid-DNA“ ist ein weiterer Trend<br />

zu verzeichnen, zumindest Speichelproben<br />

direkt vor Ort analy<strong>sie</strong>ren zu können. Gemeint<br />

ist die neueste Generation mobiler<br />

Geräte, die in jeden PKW-Kombi passen, in<br />

jeder Polizeidienststelle stehen können <strong>und</strong><br />

aus <strong>eine</strong>m M<strong>und</strong>schleimhautabstrich in<br />

nur 90 Minuten ein komplettes datenbanktaugliches<br />

DNA-Profil erstellen. Für Spurenuntersuchungen<br />

ist ein solches Gerät<br />

hingegen bisher nur bedingt geeignet. Die<br />

Bedienung ist mit der <strong>eine</strong>r Kaffee-Pad-Maschine<br />

vergleichbar <strong>und</strong> erfordert k<strong>eine</strong><br />

spezielle Ausbildung. Ein Blick über den<br />

großen Teich lässt erkennen, dass solche<br />

Geräte dort in Zukunft in vielen Polizeidienststellen<br />

eingesetzt werden sollen. In<br />

Deutschland ist ihr Einsatz nur in DNA-Labors<br />

vorstellbar – <strong>und</strong> hier auch nur als<br />

Ad-hoc-Verfahren zur Ermittlungsunterstützung<br />

in extrem dringenden Fällen. Die<br />

Bef<strong>und</strong>e müssten, um gerichtsverwertbar<br />

zu sein, durch <strong>eine</strong> nachfolgende konventionelle<br />

Analyse bestätigt werden.<br />

Wie auch immer: Trotz hoher Anschaffungskosten,<br />

extrem teurer Verbrauchsmaterialien<br />

<strong>und</strong> geringen Probendurchsatzes<br />

wird möglicherweise <strong>eine</strong> Art nationales<br />

Geräte-Netzwerk entstehen, um in bestimmten<br />

Situationen<br />

wie zum Beispiel Täterermittlungen<br />

oder<br />

Identifizierungsmaßnahmen<br />

in Katastrophenlagen,<br />

örtlich<br />

flexibel <strong>und</strong> schnellstmöglich<br />

zu reagieren.<br />

Wie geht es weiter?<br />

Das Ende der Fahnenstange ist noch<br />

längst nicht erreicht. Die forensische<br />

DNA-Analyse steht auf <strong>eine</strong>m festen F<strong>und</strong>ament<br />

<strong>und</strong> hat sehr hohen Ansprüchen<br />

gerecht zu werden. Künftige Änderungen<br />

oder Erweiterungen müssen sorgfältig abgestimmt<br />

<strong>und</strong> mit Augenmaß vorgenommen<br />

werden. Ich wage die vorsichtige<br />

Prognose, dass über kurz oder lang auch<br />

die Strafprozessordnung angepasst wird,<br />

um neuen, einsatzfähigen Möglichkeiten<br />

der DNA-Analyse Rechnung zu tragen. Zeit<br />

darüber nachzudenken wäre es…<br />

„Bei unzureichender<br />

Datenbasis greift der<br />

Sachverständige auf das<br />

zurück, was ihn ausmacht:<br />

s<strong>eine</strong> Erfahrung.“<br />

Der Molekularbiologe Martin Eckert<br />

arbeitet seit 2003 als Sachverständiger im<br />

Kriminaltechnischen Institut des B<strong>und</strong>eskriminalamtes.<br />

Er ist Mitglied mehrerer<br />

polizeilicher <strong>und</strong> EU-Arbeitsgruppen <strong>und</strong><br />

Gastdozent der Deutschen Richterakademie.<br />

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