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Es war einmal.. .. eine Zelle und sie wurde nimmermehr gesehen?

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<strong>Es</strong>say<br />

riker beschäftigen sich in ihrer Forschung<br />

mit der Entwicklung neuer Indikatoren,<br />

den Vor- <strong>und</strong> Nachteilen von bestimmten<br />

Datenbanken (wie beispielsweise Web of<br />

Science, WoS, von Thomson Reuters, Scopus<br />

von Elsevier oder Google Scholar) für<br />

die bibliometrische Analyse, der Erstellung<br />

von Länderstudien, der Visuali<strong>sie</strong>rung von<br />

bibliometrischen Daten <strong>und</strong> vielem mehr.<br />

Viele Wissenschaftler, die bei ihrer Arbeit<br />

mit der Bibliometrie in Kontakt kommen<br />

(zumeist in den Naturwissenschaften),<br />

wissen jedoch häufig nicht, dass es hier<br />

ausgewiesene Experten gibt. Bibliometriker<br />

werden vielmehr häufig nicht als Spezialisten<br />

an<strong>gesehen</strong>, die <strong>eine</strong> bestimmte<br />

Methode besonders gut beherrschen, sondern<br />

als Befürworter <strong>eine</strong>r Methode, die<br />

<strong>sie</strong> unkritisch anwenden.<br />

Hätten wir im Ges<strong>und</strong>heitswesen <strong>eine</strong><br />

ähnliche Situation wie bei der Forschungsevaluation,<br />

würden Patienten nicht auf die<br />

Dienste von Fachärzten zurückgreifen, weil<br />

<strong>sie</strong> ihnen vorwerfen, dass <strong>sie</strong> ihre Methoden<br />

unkritisch <strong>und</strong> nicht zum Wohle des<br />

Patienten anwenden würden. In Zeiten von<br />

leeren Sozialkassen mag dieser Vorwurf<br />

mehr <strong>und</strong> mehr gerechtfertigt zu sein; der<br />

ursprüngliche Sinn <strong>eine</strong>s Arztbesuchs bestand<br />

aber darin, <strong>eine</strong> fachlich abgesicherte<br />

Einschätzung des eigenen Ges<strong>und</strong>heitszustands<br />

<strong>und</strong> <strong>eine</strong>n kompetenten Einsatz von<br />

geeigneten Methoden für die Genesung zu<br />

bekommen. In ähnlicher Weise sollte auch<br />

im Bereich der Forschungsevaluation ein<br />

Experte aufgesucht werden, der in <strong>eine</strong>m<br />

gegebenen Kontext <strong>eine</strong> fachlich abgesicherte<br />

Einschätzung über den Einsatz von<br />

bibliometrischen Methoden geben kann.<br />

Nur ein Experte kann gr<strong>und</strong>sätzlich beurteilen,<br />

ob im gegebenen Kontext <strong>eine</strong> bibliometrische<br />

Studie überhaupt durchgeführt<br />

werden kann <strong>und</strong> – falls es möglich sein<br />

sollte – welche Datenbanken,<br />

Indikatoren<br />

<strong>und</strong> statistischen Auswertungsverfahren<br />

eingesetzt<br />

werden können.<br />

In Europa gibt es einige<br />

Institute, die entsprechende<br />

bibliometrische<br />

Dienstleistungen anbieten (wie etwa das<br />

Centre for Science and Technology Studies,<br />

CWTS, in Leiden).<br />

Da die Bibliometrie mittlerweile zu<br />

<strong>eine</strong>m zentralen Bestandteil in der Forschungsevaluation<br />

geworden ist, werden<br />

auch Soft<strong>war</strong>eprodukte angeboten, die den<br />

Bedarf an bibliometrischen Indikatoren decken,<br />

den es vor allem für die Bewertung<br />

von Forschungseinrichtungen <strong>und</strong> Ländern<br />

gibt. Die wichtigsten Produkte in diesem<br />

Bereich sind InCites (Thomson Reuters)<br />

„Zwei gute Beispiele für<br />

unsachgemäßen Gebrauch<br />

bieten der Journal Impact<br />

Faktor <strong>und</strong> der h-Index.“<br />

<strong>und</strong> SciVal (Elsevier). Beide Produkte<br />

bieten <strong>eine</strong> Fülle von Indikatoren an, die<br />

über die Produktivität <strong>und</strong> die Wirkung<br />

von Publikationen <strong>eine</strong>r Einrichtung oder<br />

<strong>eine</strong>s Landes Auskunft geben. Allerdings<br />

können auch diese Produkte dem Nutzer<br />

nicht die Auswahl unter den angebotenen<br />

Indikatoren abnehmen <strong>und</strong> Erklärungen<br />

für die produzierten Ergebnisse liefern:<br />

Der Nutzer muss entscheiden, welche Indikatoren<br />

im gegebenen Kontext eingesetzt<br />

<strong>und</strong> wie die Ergebnisse interpretiert werden<br />

sollen. Deshalb können<br />

diese Produkte auch<br />

nicht den professionellen<br />

Bibliometriker als Experten<br />

für solche Fragen ersetzen,<br />

sondern machen<br />

ihn nur noch wichtiger. Durch die leichte<br />

Verfügbarkeit der Indikatoren (die zuvor<br />

von Bibliometrikern für <strong>eine</strong> bestimmte<br />

Evaluation zusammenstellt <strong>wurde</strong>n) steigt<br />

das Risiko des unsachgemäßen Einsatzes.<br />

Zwei gute Beispiele für den unsachgemäßen<br />

Gebrauch von bibliometrischen<br />

Indikatoren sind der Journal Impact Factor<br />

(JIF) <strong>und</strong> der h-Index. Während sich beide<br />

Indikatoren unter „Bibliometrie-Amateuren“<br />

<strong>eine</strong>r großen Beliebtheit erfreuen,<br />

spielen <strong>sie</strong> in der professionell betriebenen<br />

Bibliometrie kaum <strong>eine</strong> Rolle. Die bibliometrische<br />

Forschung hat sich z<strong>war</strong> mit<br />

beiden sehr intensiv auseinandergesetzt,<br />

bei der konkreten Anwendung der Bibliometrie<br />

in der Forschungsevaluation werden<br />

jedoch andere Indikatoren vorgezogen.<br />

Amateure setzen beide Indikatoren gerne<br />

ein, um die Forschungsleistungen <strong>eine</strong>r<br />

Person zu messen. Vor allem beim JIF erstaunt<br />

diese Verwendung, da er die durchschnittliche<br />

Wirkung aller Publikationen<br />

angibt, die in <strong>eine</strong>r Zeitschrift erschienen<br />

sind – er ist daher ein Indikator, der etwas<br />

über <strong>eine</strong> Zeitschrift<br />

aussagen kann. Warum<br />

sollten in <strong>eine</strong> Studie,<br />

die sich mit den Forschungsleistungen<br />

<strong>eine</strong>r<br />

Person beschäftigt,<br />

alle Publikationen mit<br />

einbezogen werden,<br />

die von anderen Personen in der gleichen<br />

Zeitschrift publiziert <strong>wurde</strong>n? Das macht<br />

zunächst <strong>einmal</strong> wenig Sinn. Im Gegensatz<br />

zum JIF ist der h-Index allerdings tatsächlich<br />

ein Indikator, der für den Einsatz bei<br />

einzelnen Wissenschaftlern vorgeschlagen<br />

<strong>wurde</strong>.<br />

Der JIF wird häufig als Indikator eingesetzt,<br />

der etwas über die Qualität von einzelnen<br />

Publikationen aussagen kann. Dabei<br />

werden aber zwei Fehler gemacht: (1)<br />

Zum <strong>eine</strong>n können Zitierungen nicht mit<br />

Qualität gleichgesetzt werden. Zitierungen<br />

messen <strong>eine</strong>n Teilaspekt von Qualität, <strong>und</strong><br />

z<strong>war</strong> Wirkung; andere wichtige Teilaspekte<br />

von Qualität sind Wichtigkeit <strong>und</strong> Richtigkeit,<br />

die jedoch mit Zitierungen kaum<br />

gemessen werden können. Dieser Fehler<br />

wird nicht nur im Zusammenhang mit dem<br />

JIF, sondern mit allen Zitations-ba<strong>sie</strong>rten<br />

Indikatoren gemacht. (2) Zitierungen<br />

verteilen sich schief über die Beiträge in<br />

<strong>eine</strong>r Zeitschrift: Wenige hochzitierte Publikationen<br />

stehen vielen kaum zitierten<br />

Publikationen gegenüber.<br />

„Zitierungen können Die durchschnittliche Anzahl<br />

der Zitierungen, die<br />

nicht mit Qualität<br />

der JIF für <strong>eine</strong> Zeitschrift<br />

gleichgesetzt werden.“ angibt, kann demnach<br />

kaum die Wirkung der<br />

meisten Publikationen in der Zeitschrift<br />

widerspiegeln (sondern überschätzt oder<br />

unterschätzt <strong>sie</strong>).<br />

Ein wichtiger Punkt, der häufig am<br />

h-Index in der Bibliometrie kriti<strong>sie</strong>rt<br />

worden ist, betrifft die Verknüpfung von<br />

Produktivität (Anzahl Publikationen) <strong>und</strong><br />

Wirkung (Anzahl Zitate) in <strong>eine</strong>m Indikator.<br />

Einerseits wird gr<strong>und</strong>sätzlich in Frage<br />

gestellt, dass beide Zahlen miteinander verknüpft<br />

werden – man könnte auch zwei<br />

Zahlen statt <strong>eine</strong>r in der Forschungsevaluation<br />

verwenden. Andererseits wird die Art<br />

der Verknüpfung beim h-Index kriti<strong>sie</strong>rt.<br />

<strong>Es</strong> existiert kein vernünftiger Gr<strong>und</strong> dafür,<br />

dass der h-Index nur diejenigen Publikationen<br />

<strong>eine</strong>r Person zählt, die zumindest h<br />

Zitierungen haben. <strong>Es</strong> könnten auch h/2<br />

oder h*h Zitierungen sein. Das Kriterium,<br />

ab wann <strong>eine</strong> Publikation als zählbar für<br />

den Index gilt, ist demnach willkürlich gewählt<br />

<strong>und</strong> könnte auch ganz anders lauten.<br />

Thomson Reuters verwendet beispielsweise<br />

für die Auswahl der Wissenschaftler<br />

in <strong>eine</strong>m Fach, die die meisten hochzitierten<br />

Publikationen veröffentlicht haben,<br />

die Quadratwurzel der Population: In der<br />

Datenbank, die unter www.highlycited.com<br />

erreichbar ist, werden diejenigen Wissenschaftler<br />

aufgelistet, deren Rang gleich<br />

oder größer der Quadratwurzel der Population<br />

(also aller Wissenschaftler in <strong>eine</strong>m<br />

Fach mit mindestens <strong>eine</strong>r hochzitierten<br />

Publikation) ist. Der h-Index könnte also<br />

genauso gut auf der Quadratwurzel beruhen.<br />

Sowohl der JIF als auch der h-Index<br />

sind von <strong>eine</strong>m Problem betroffen, das die<br />

amateurhaft betriebene Bibliometrie von<br />

der professionell betriebenen Bibliometrie<br />

unterscheidet. In der professionell betriebenen<br />

Bibliometrie werden in der Regel<br />

Indikatoren eingesetzt, die im Hinblick auf<br />

den Zeitpunkt <strong>eine</strong>r Publikation <strong>und</strong> auf deren<br />

fachlichen Kontext normiert sind. Beim<br />

Laborjournal<br />

7-8/2016<br />

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