Es war einmal.. .. eine Zelle und sie wurde nimmermehr gesehen?
LJ_16_07
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<strong>Es</strong>say<br />
riker beschäftigen sich in ihrer Forschung<br />
mit der Entwicklung neuer Indikatoren,<br />
den Vor- <strong>und</strong> Nachteilen von bestimmten<br />
Datenbanken (wie beispielsweise Web of<br />
Science, WoS, von Thomson Reuters, Scopus<br />
von Elsevier oder Google Scholar) für<br />
die bibliometrische Analyse, der Erstellung<br />
von Länderstudien, der Visuali<strong>sie</strong>rung von<br />
bibliometrischen Daten <strong>und</strong> vielem mehr.<br />
Viele Wissenschaftler, die bei ihrer Arbeit<br />
mit der Bibliometrie in Kontakt kommen<br />
(zumeist in den Naturwissenschaften),<br />
wissen jedoch häufig nicht, dass es hier<br />
ausgewiesene Experten gibt. Bibliometriker<br />
werden vielmehr häufig nicht als Spezialisten<br />
an<strong>gesehen</strong>, die <strong>eine</strong> bestimmte<br />
Methode besonders gut beherrschen, sondern<br />
als Befürworter <strong>eine</strong>r Methode, die<br />
<strong>sie</strong> unkritisch anwenden.<br />
Hätten wir im Ges<strong>und</strong>heitswesen <strong>eine</strong><br />
ähnliche Situation wie bei der Forschungsevaluation,<br />
würden Patienten nicht auf die<br />
Dienste von Fachärzten zurückgreifen, weil<br />
<strong>sie</strong> ihnen vorwerfen, dass <strong>sie</strong> ihre Methoden<br />
unkritisch <strong>und</strong> nicht zum Wohle des<br />
Patienten anwenden würden. In Zeiten von<br />
leeren Sozialkassen mag dieser Vorwurf<br />
mehr <strong>und</strong> mehr gerechtfertigt zu sein; der<br />
ursprüngliche Sinn <strong>eine</strong>s Arztbesuchs bestand<br />
aber darin, <strong>eine</strong> fachlich abgesicherte<br />
Einschätzung des eigenen Ges<strong>und</strong>heitszustands<br />
<strong>und</strong> <strong>eine</strong>n kompetenten Einsatz von<br />
geeigneten Methoden für die Genesung zu<br />
bekommen. In ähnlicher Weise sollte auch<br />
im Bereich der Forschungsevaluation ein<br />
Experte aufgesucht werden, der in <strong>eine</strong>m<br />
gegebenen Kontext <strong>eine</strong> fachlich abgesicherte<br />
Einschätzung über den Einsatz von<br />
bibliometrischen Methoden geben kann.<br />
Nur ein Experte kann gr<strong>und</strong>sätzlich beurteilen,<br />
ob im gegebenen Kontext <strong>eine</strong> bibliometrische<br />
Studie überhaupt durchgeführt<br />
werden kann <strong>und</strong> – falls es möglich sein<br />
sollte – welche Datenbanken,<br />
Indikatoren<br />
<strong>und</strong> statistischen Auswertungsverfahren<br />
eingesetzt<br />
werden können.<br />
In Europa gibt es einige<br />
Institute, die entsprechende<br />
bibliometrische<br />
Dienstleistungen anbieten (wie etwa das<br />
Centre for Science and Technology Studies,<br />
CWTS, in Leiden).<br />
Da die Bibliometrie mittlerweile zu<br />
<strong>eine</strong>m zentralen Bestandteil in der Forschungsevaluation<br />
geworden ist, werden<br />
auch Soft<strong>war</strong>eprodukte angeboten, die den<br />
Bedarf an bibliometrischen Indikatoren decken,<br />
den es vor allem für die Bewertung<br />
von Forschungseinrichtungen <strong>und</strong> Ländern<br />
gibt. Die wichtigsten Produkte in diesem<br />
Bereich sind InCites (Thomson Reuters)<br />
„Zwei gute Beispiele für<br />
unsachgemäßen Gebrauch<br />
bieten der Journal Impact<br />
Faktor <strong>und</strong> der h-Index.“<br />
<strong>und</strong> SciVal (Elsevier). Beide Produkte<br />
bieten <strong>eine</strong> Fülle von Indikatoren an, die<br />
über die Produktivität <strong>und</strong> die Wirkung<br />
von Publikationen <strong>eine</strong>r Einrichtung oder<br />
<strong>eine</strong>s Landes Auskunft geben. Allerdings<br />
können auch diese Produkte dem Nutzer<br />
nicht die Auswahl unter den angebotenen<br />
Indikatoren abnehmen <strong>und</strong> Erklärungen<br />
für die produzierten Ergebnisse liefern:<br />
Der Nutzer muss entscheiden, welche Indikatoren<br />
im gegebenen Kontext eingesetzt<br />
<strong>und</strong> wie die Ergebnisse interpretiert werden<br />
sollen. Deshalb können<br />
diese Produkte auch<br />
nicht den professionellen<br />
Bibliometriker als Experten<br />
für solche Fragen ersetzen,<br />
sondern machen<br />
ihn nur noch wichtiger. Durch die leichte<br />
Verfügbarkeit der Indikatoren (die zuvor<br />
von Bibliometrikern für <strong>eine</strong> bestimmte<br />
Evaluation zusammenstellt <strong>wurde</strong>n) steigt<br />
das Risiko des unsachgemäßen Einsatzes.<br />
Zwei gute Beispiele für den unsachgemäßen<br />
Gebrauch von bibliometrischen<br />
Indikatoren sind der Journal Impact Factor<br />
(JIF) <strong>und</strong> der h-Index. Während sich beide<br />
Indikatoren unter „Bibliometrie-Amateuren“<br />
<strong>eine</strong>r großen Beliebtheit erfreuen,<br />
spielen <strong>sie</strong> in der professionell betriebenen<br />
Bibliometrie kaum <strong>eine</strong> Rolle. Die bibliometrische<br />
Forschung hat sich z<strong>war</strong> mit<br />
beiden sehr intensiv auseinandergesetzt,<br />
bei der konkreten Anwendung der Bibliometrie<br />
in der Forschungsevaluation werden<br />
jedoch andere Indikatoren vorgezogen.<br />
Amateure setzen beide Indikatoren gerne<br />
ein, um die Forschungsleistungen <strong>eine</strong>r<br />
Person zu messen. Vor allem beim JIF erstaunt<br />
diese Verwendung, da er die durchschnittliche<br />
Wirkung aller Publikationen<br />
angibt, die in <strong>eine</strong>r Zeitschrift erschienen<br />
sind – er ist daher ein Indikator, der etwas<br />
über <strong>eine</strong> Zeitschrift<br />
aussagen kann. Warum<br />
sollten in <strong>eine</strong> Studie,<br />
die sich mit den Forschungsleistungen<br />
<strong>eine</strong>r<br />
Person beschäftigt,<br />
alle Publikationen mit<br />
einbezogen werden,<br />
die von anderen Personen in der gleichen<br />
Zeitschrift publiziert <strong>wurde</strong>n? Das macht<br />
zunächst <strong>einmal</strong> wenig Sinn. Im Gegensatz<br />
zum JIF ist der h-Index allerdings tatsächlich<br />
ein Indikator, der für den Einsatz bei<br />
einzelnen Wissenschaftlern vorgeschlagen<br />
<strong>wurde</strong>.<br />
Der JIF wird häufig als Indikator eingesetzt,<br />
der etwas über die Qualität von einzelnen<br />
Publikationen aussagen kann. Dabei<br />
werden aber zwei Fehler gemacht: (1)<br />
Zum <strong>eine</strong>n können Zitierungen nicht mit<br />
Qualität gleichgesetzt werden. Zitierungen<br />
messen <strong>eine</strong>n Teilaspekt von Qualität, <strong>und</strong><br />
z<strong>war</strong> Wirkung; andere wichtige Teilaspekte<br />
von Qualität sind Wichtigkeit <strong>und</strong> Richtigkeit,<br />
die jedoch mit Zitierungen kaum<br />
gemessen werden können. Dieser Fehler<br />
wird nicht nur im Zusammenhang mit dem<br />
JIF, sondern mit allen Zitations-ba<strong>sie</strong>rten<br />
Indikatoren gemacht. (2) Zitierungen<br />
verteilen sich schief über die Beiträge in<br />
<strong>eine</strong>r Zeitschrift: Wenige hochzitierte Publikationen<br />
stehen vielen kaum zitierten<br />
Publikationen gegenüber.<br />
„Zitierungen können Die durchschnittliche Anzahl<br />
der Zitierungen, die<br />
nicht mit Qualität<br />
der JIF für <strong>eine</strong> Zeitschrift<br />
gleichgesetzt werden.“ angibt, kann demnach<br />
kaum die Wirkung der<br />
meisten Publikationen in der Zeitschrift<br />
widerspiegeln (sondern überschätzt oder<br />
unterschätzt <strong>sie</strong>).<br />
Ein wichtiger Punkt, der häufig am<br />
h-Index in der Bibliometrie kriti<strong>sie</strong>rt<br />
worden ist, betrifft die Verknüpfung von<br />
Produktivität (Anzahl Publikationen) <strong>und</strong><br />
Wirkung (Anzahl Zitate) in <strong>eine</strong>m Indikator.<br />
Einerseits wird gr<strong>und</strong>sätzlich in Frage<br />
gestellt, dass beide Zahlen miteinander verknüpft<br />
werden – man könnte auch zwei<br />
Zahlen statt <strong>eine</strong>r in der Forschungsevaluation<br />
verwenden. Andererseits wird die Art<br />
der Verknüpfung beim h-Index kriti<strong>sie</strong>rt.<br />
<strong>Es</strong> existiert kein vernünftiger Gr<strong>und</strong> dafür,<br />
dass der h-Index nur diejenigen Publikationen<br />
<strong>eine</strong>r Person zählt, die zumindest h<br />
Zitierungen haben. <strong>Es</strong> könnten auch h/2<br />
oder h*h Zitierungen sein. Das Kriterium,<br />
ab wann <strong>eine</strong> Publikation als zählbar für<br />
den Index gilt, ist demnach willkürlich gewählt<br />
<strong>und</strong> könnte auch ganz anders lauten.<br />
Thomson Reuters verwendet beispielsweise<br />
für die Auswahl der Wissenschaftler<br />
in <strong>eine</strong>m Fach, die die meisten hochzitierten<br />
Publikationen veröffentlicht haben,<br />
die Quadratwurzel der Population: In der<br />
Datenbank, die unter www.highlycited.com<br />
erreichbar ist, werden diejenigen Wissenschaftler<br />
aufgelistet, deren Rang gleich<br />
oder größer der Quadratwurzel der Population<br />
(also aller Wissenschaftler in <strong>eine</strong>m<br />
Fach mit mindestens <strong>eine</strong>r hochzitierten<br />
Publikation) ist. Der h-Index könnte also<br />
genauso gut auf der Quadratwurzel beruhen.<br />
Sowohl der JIF als auch der h-Index<br />
sind von <strong>eine</strong>m Problem betroffen, das die<br />
amateurhaft betriebene Bibliometrie von<br />
der professionell betriebenen Bibliometrie<br />
unterscheidet. In der professionell betriebenen<br />
Bibliometrie werden in der Regel<br />
Indikatoren eingesetzt, die im Hinblick auf<br />
den Zeitpunkt <strong>eine</strong>r Publikation <strong>und</strong> auf deren<br />
fachlichen Kontext normiert sind. Beim<br />
Laborjournal<br />
7-8/2016<br />
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