Es war einmal.. .. eine Zelle und sie wurde nimmermehr gesehen?
LJ_16_07
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<strong>Es</strong>say<br />
Doch genug der Schwärmerei. <strong>Es</strong> ließen<br />
sich noch etliche Seiten füllen mit Beschreibungen<br />
über die Vorzüge moderner<br />
DNA-Analytik, doch ich fürchte, das wird<br />
irgendwann langweilig. Was die geschätzte<br />
Leserschaft in diesem Beitrag jedoch<br />
vergeblich suchen wird, sind spektakuläre<br />
Fallbeispiele (da verweise ich auf die Tagespresse)<br />
oder <strong>eine</strong> erneute Abhandlung<br />
des berühmten „Wattestäbchen-Desasters“<br />
um diagnostische Artefakte bei der Spurensicherung.<br />
Die unwissentlich beim Hersteller verunreinigten<br />
Wattestäbchen hatten übrigens<br />
aus DNA-Sachverständigen-Sicht positive<br />
Effekte (unter anderem die ISO-Norm<br />
18385:2016 für die Herstellung <strong>und</strong> Kennzeichnung<br />
von DNA-freien Verbrauchsmitteln)<br />
– <strong>und</strong> das Ganze geschah zu <strong>eine</strong>r<br />
Zeit, in der gerade ein begrüßenswertes<br />
Umdenken stattfand.<br />
Wie lässt sich dieses Umdenken beschreiben?<br />
Das „alte“ Denken hatte s<strong>eine</strong>n<br />
Ursprung in der brachialen Änderung des<br />
Beweiswerts, die STR-Bef<strong>und</strong>e schon in der<br />
Anfangszeit der forensischen DNA-Analyse<br />
vor Gericht ausgelöst haben. Plötzlich<br />
<strong>wurde</strong>n aus relativen Häufigkeiten von<br />
beispielsweise 0,04 (Blutgruppe) solche<br />
von DNA-Mustern mit zum Beispiel<br />
0,00000001.<br />
In der Folge festigte sich die Auffassung,<br />
man bräuchte lediglich den kompletten Tatort<br />
abzureiben, alle losen Gegenstände einzusammeln<br />
<strong>und</strong> dem DNA-Labor die Identifizierung<br />
des Täters zu überlassen! Zugegeben<br />
– etwas spitz formuliert, aber es macht<br />
deutlich, dass die Ermittlungsarbeit Gefahr<br />
lief, sich einzig auf den DNA-Beweis zu konzentrieren<br />
<strong>und</strong> andere Errungenschaften<br />
der Kriminalistik <strong>und</strong> Kriminaltechnik auszublenden.<br />
Mein damaliger Chef <strong>und</strong> Mitbegründer<br />
der forensischen DNA-Analyse<br />
in Deutschland, Hermann Schmitter, <strong>wurde</strong><br />
nicht müde, in Ermittlerkreisen zu betonen,<br />
„DNA“ sei eben nicht die Abkürzung für: „Do<br />
Not Ask“. Doch nachdem Quincy mit s<strong>eine</strong>m<br />
Mikroskop von kernigen TV-Tatortermittlern<br />
mit Einweghandschuhen (aber ohne<br />
M<strong>und</strong>schutz) abgelöst <strong>wurde</strong>, verfestigte<br />
sich auch in der CSI-geprägten Öffentlichkeit<br />
die Auffassung, man bräuchte als Ermittler<br />
nur mit <strong>eine</strong>r funzeligen Taschenlampe<br />
lange genug auf <strong>eine</strong>n schummrigen<br />
Tatort einzuleuchten <strong>und</strong> den Rest erledige<br />
dann das DNA-Labor – <strong>und</strong> das in der Rekordzeit<br />
von knapp 40 Minuten!<br />
Was hat es nun mit dem Umdenken auf<br />
sich? <strong>Es</strong> lag nicht an den Wattestäbchen<br />
allein, dass vorher wenig beachtete Aspekte<br />
wie etwa Kontamination mit nicht-tatrelevantem<br />
Material auf <strong>einmal</strong> in den Fokus<br />
rückten – es <strong>war</strong> zum großen Teil auch der<br />
48<br />
rasante Anstieg der Sensitivität neuer Typi<strong>sie</strong>rungs-Kits.<br />
Wo vorher Sekretspuren wie<br />
Speichel, Blut oder Sperma nötig <strong>war</strong>en,<br />
um ein DNA-Muster zu<br />
erstellen, reichten jetzt<br />
minimale Antragungen,<br />
wie <strong>sie</strong> schon durch kurzeitigen<br />
Hautkontakt<br />
entstehen können, für<br />
ein aussagekräftiges Muster<br />
aus! Hieraus ergab<br />
sich <strong>eine</strong> neue Spurenart<br />
– kleinste Hautpartikel,<br />
die auf den Oberflächen<br />
von berührten Gegenständen<br />
oder Personen zurückbleiben, gehören<br />
mittlerweile zu den am häufigsten<br />
untersuchten Spuren.<br />
Die resultierenden Bef<strong>und</strong>e erfordern<br />
<strong>eine</strong> gründliche Betrachtung aller denkbaren<br />
Begleitumstände, die bei der Entstehung<br />
<strong>eine</strong>r solchen Spur <strong>eine</strong> Rolle ge spielt<br />
haben könnten. Oft handelt es sich um<br />
Mischspuren – es werden also Merkmale<br />
von mehreren Personen typi<strong>sie</strong>rt, ohne dass<br />
erkennbar ist, welches Allel von welcher Person<br />
stammt. Ebenso wenig ist erkennbar,<br />
wie lange sich das Spurenmaterial <strong>eine</strong>r<br />
der Personen schon auf dem Spurenträger<br />
bef<strong>und</strong>en hat: Eine Mischspur am Griff <strong>eine</strong>r<br />
Waffe kann uns nicht verraten, welche<br />
der Personen die Waffe während der Tatausübung<br />
in der Hand hielt. Aber auch ein<br />
Tatverdächtiger, dem ein einzelnes Muster<br />
von Anhaftungen an <strong>eine</strong>m Fenstergriff<br />
zugeordnet <strong>wurde</strong>, kann entgegenhalten,<br />
den Griff tags zuvor als Partygast betätigt zu<br />
haben <strong>und</strong> nicht etwa als Einbrecher.<br />
Ein weiterer Aspekt betrifft die Übertragung<br />
geringster Spurenmengen auf ein<br />
Tatmittel, ohne dass die Person, von der<br />
die Spur stammt, tatbeteiligt ist. Dies kann<br />
durch sogenannten Sek<strong>und</strong>är-, Tertiär- oder<br />
Darüber-hinaus-Transfer geschehen: Simples<br />
Händeschütteln kann dazu führen, dass<br />
Person B Spuren von Person A auf <strong>eine</strong>n<br />
Gegenstand (etwa die Waffe) überträgt –<br />
ungünstigenfalls ohne selbst nennenswerte<br />
Mengen von eigenem Material zu hinterlassen.<br />
Liegt das DNA-Muster von Person<br />
A vor oder ist es in der DNA-Analysedatei<br />
gespeichert, wird <strong>eine</strong> Übereinstimmung<br />
mit dem Spurenmaterial festgestellt. Die<br />
Frage, ob <strong>eine</strong> nachgewiesene Spur tatsächlich<br />
mit dem Tatgeschehen in Zusammenhang<br />
steht, ob also jemand (wie in diesem<br />
Fall Person A) an der Tatausübung beteiligt<br />
<strong>war</strong>, wird damit zunehmend wichtiger. Im<br />
forensischen Jargon spiegelt sich dies in den<br />
Begriffen „Sub-Source-Level“ (typi<strong>sie</strong>rte<br />
DNA aus Spurenmaterial), „Source-Level“<br />
(Spurenmaterial) <strong>und</strong> letztendlich „Activity-Level“<br />
(Spurenentstehung) wider.<br />
„<strong>Es</strong> festigte sich die Auffassung,<br />
man bräuchte<br />
nur den Tatort abzureiben,<br />
alle Gegenstände<br />
einzusammeln <strong>und</strong> dem<br />
Labor die Täter-Identifizierung<br />
zu überlassen.“<br />
Auch zu dieser Thematik ließen sich<br />
weitere Seiten füllen – aber belassen wir<br />
es bei diesen Beispielen <strong>und</strong> kehren zum<br />
Illustration: Fotolia / freshidea<br />
allerersten Satz dieses<br />
Beitrags zurück: „[…]<br />
Hat die Verteidigung<br />
noch Fragen?“<br />
Angesichts der hier<br />
kurz angerissenen Punkte<br />
sollte man ein spontanes<br />
„Und ob, Herr Richter!“<br />
er<strong>war</strong>ten können. Und<br />
tatsächlich hat auch im<br />
Gerichtssaal ein Umdenken<br />
stattgef<strong>und</strong>en: Gibt<br />
es denkbare Szenarien, die Spurenübertragungen,<br />
Verschleppungen oder Transferereignisse<br />
möglich ersch<strong>eine</strong>n lassen?<br />
Werden die DNA-Sachverständigen nun<br />
vermehrt in dieser Richtung befragt?<br />
Solche Fragen zu beantworten ist allerdings<br />
alles andere als einfach. Ein lapidares<br />
„Ich kann das nicht ausschließen“<br />
wird möglicherweise dem Beweiswert der<br />
betroffenen Spur nicht gerecht. Aus eigener<br />
Erfahrung ermutigt dies die Verteidigung<br />
zu dem triumphierenden Einwand, dann<br />
sei die DNA-Übereinstimmung ja wertlos<br />
– <strong>und</strong> damit verlässt die Verteidigung das<br />
rutschige Parkett der Wahrscheinlichkeitsbetrachtung.<br />
Der Sachverständige mit Stopper-Socken<br />
ergeht sich nun in <strong>eine</strong>n Exkurs<br />
über probabilistische Methoden zur Abschätzung<br />
des Beweiswertes <strong>und</strong> versucht,<br />
die fraglichen Szenarien als Hypothesen zu<br />
verstehen <strong>und</strong> s<strong>eine</strong> Laborergebnisse darauf<br />
zu beziehen. Staatsanwaltschaft <strong>und</strong><br />
Verteidigung haben naturgemäß unterschiedliche<br />
Theorien zum Tathergang <strong>und</strong><br />
der Mitwirkung des oder der Beschuldigten.<br />
7-8/2016 Laborjournal