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Es war einmal.. .. eine Zelle und sie wurde nimmermehr gesehen?

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<strong>Es</strong>say<br />

die Nachnutzung von Forschungsdaten<br />

stammen fast immer aus der Großgeräteforschung<br />

(beispielsweise vom CERN oder<br />

dem Sloan Digital Sky Survey (SDSS)),<br />

institutionellen Services (wie beim Sozioökonomischen<br />

Panel des deutschen Instituts<br />

für Wirtschaftsforschung (DIW))<br />

oder massiven Verb<strong>und</strong>anstrengungen<br />

(etwa dem Human Genome Project). In der<br />

“Small Science”, also unter Einzelforschern<br />

<strong>und</strong> kl<strong>eine</strong>n Forscherteams, werden Daten<br />

dagegen nur sehr verhalten geteilt. Wenn<br />

überhaupt stellen Forscher ihre Daten<br />

denjenigen Kollegen zur Verfügung, die<br />

<strong>sie</strong> kennen. In <strong>eine</strong>r Befragung von 1.560<br />

Wissenschaftlern aller Disziplinen, die Kollegen<br />

<strong>und</strong> ich im letzten Jahr durchgeführt<br />

hatten, stimmten 76 Prozent der Befragten<br />

zu, dass Forscher ihre Daten veröffentlichen<br />

sollten. 88 Prozent der Forscher<br />

nutzten regelmäßig Daten, die <strong>sie</strong> nicht<br />

selbst erhoben haben. Aber: Nur 13 Prozent<br />

der Befragten haben jemals ihre Daten offengelegt<br />

(Fecher et al., 2015).<br />

Darin offenbart sich ein soziales Dilemma.<br />

Jeder Forscher weiß um das Potential<br />

von Daten für den wissenschaftlichen<br />

Fortschritt, aber nur wenige stellen <strong>sie</strong> zur<br />

Nachnutzung bereit. Mit Forschungsdaten<br />

verhält es sich in etwa wie mit dem elektronischen<br />

Auto, von dem jeder weiß, dass<br />

es gut für die Umwelt<br />

ist – man <strong>sie</strong>ht aber lieber<br />

den Nachbarn mit<br />

<strong>eine</strong>m fahren.<br />

<strong>Es</strong> ist allerdings<br />

nicht unbedingt den<br />

Forschern anzukreiden,<br />

dass <strong>sie</strong> ihre Daten<br />

nicht offen, also online<br />

frei zugänglich bereitstellen. <strong>Es</strong> gibt vielmehr<br />

viele Gründe. Teils sprechen Datensicherheits-<br />

<strong>und</strong> Datenqualitätserwägungen<br />

dagegen. Hinzu kommen mangelnde<br />

Kenntnisse im Datenmanagement (selbst<br />

archivierte Daten sind ohne entsprechende<br />

Dokumentation unbrauchbar).<br />

Das Hauptproblem aber liegt im<br />

System: Im Gegensatz zu Artikel-Publikationen,<br />

die bei Beförderungen, Berufungen<br />

<strong>und</strong> Drittmittelentscheidungen entscheidend<br />

ins Gewicht fallen, haben Daten per<br />

se quasi k<strong>eine</strong>n Wert. Entsprechend identifizierten<br />

in unserer Befragung Forscher<br />

die Gefahr, dass andere Forscher mit deren<br />

Daten Artikel publizieren, als den Hauptgr<strong>und</strong>,<br />

ihre Daten nicht zu teilen. Als in<br />

<strong>eine</strong>m vieldiskutierten Kommentar im New<br />

England Journal of Medicine die Autoren<br />

kürzlich die Nachnutzung von Daten sogar<br />

als ein „parasitäres Verhalten“ bezeichneten,<br />

kam dieses Sentiment, dem viele<br />

Forscher offenbar schweigend zustimmen<br />

„Als Hauptgr<strong>und</strong>, ihre Daten<br />

nicht zu teilen , nennen<br />

Forscher die Gefahr, dass<br />

andere Forscher mit ihren<br />

Daten Artikel publizieren.“<br />

würden, zum Ausdruck. Für die Nachnutzung<br />

von Daten solle, so die Autoren, zumindest<br />

<strong>eine</strong> Koautorenschaft für den oder<br />

die Produzenten der entsprechenden Daten<br />

herausspringen (Longo<br />

and Drazen, 2016).<br />

Ab<strong>gesehen</strong> davon,<br />

dass <strong>eine</strong> Koautorenschaft<br />

das Potenzial<br />

von Data Sharing<br />

beschneiden würde<br />

<strong>und</strong> im Falle von Meta-Analysen<br />

<strong>und</strong> Replikationsstudien<br />

schlichtweg unsinnig<br />

wären, haben die Autoren in <strong>eine</strong>r entscheidenden<br />

Sache Recht – wenn auch auf indirekte<br />

Weise: Für (gute) Forschungsdaten<br />

fehlt <strong>eine</strong> angemessene Anerkennung.<br />

<strong>Es</strong> ist ja kein Geheimnis, dass es vor<br />

allem Reputation ist, die Wissenschaftler<br />

antreibt. Schon Niklas Luhman bezeichnete<br />

Reputation als die einzige wissenschaftseigene<br />

Währung (Luhmann, 2009). Der<br />

französische Soziologe Pierre Bourdieu<br />

betrachtet den Homo Academicus als <strong>eine</strong>n<br />

Menschen, der permanent nach sozialer<br />

Anerkennung strebt (Bourdieu and<br />

Schwibs, 2010). In der Economics of Science<br />

sind es Artikel-Publikationen <strong>und</strong> -Zitationen,<br />

die das Verhalten von Forschern erklären.<br />

Die Wissenschaft ist folglich <strong>eine</strong><br />

Reputationsökonomie<br />

– ein System, in dem<br />

Wissen <strong>und</strong> Information<br />

nur gegen (zählbare)<br />

Anerkennung<br />

geteilt werden.<br />

Die Ergebnisse<br />

unserer Befragung belegen<br />

das gewissermaßen:<br />

Die Hauptmotivation für die Forscher,<br />

ihre Daten offenzulegen, ist die Daten-Zitation,<br />

also <strong>eine</strong> etablierte Form der Anerkennung.<br />

Monetäre Anreize werden dagegen<br />

strikt abgelehnt. Die Befürchtung, dass<br />

andere Forscher mit den „eigenen“ Daten<br />

publizieren, lässt sich ebenso mit <strong>eine</strong>r Reputationskultur<br />

erklären, die Daten quasi<br />

k<strong>eine</strong>n eigenen Wert beimisst. Sie sind ein<br />

Vorprodukt, das erst durch die narrative<br />

Veredelung <strong>eine</strong>n Wert erfährt.<br />

Der verhaltene Umgang mit Forschungsdaten<br />

hat auch – ja sogar insbesondere<br />

– mit <strong>eine</strong>m tradierten Reputationsdenken<br />

zu tun, in dem Forschungsartikel,<br />

die zum größten Teil ohnehin nicht<br />

gelesen werden, <strong>eine</strong> unverhältnismäßig<br />

große Rolle spielen. Damit den Forderungen<br />

nach mehr Offenheit im Umgang<br />

mit Forschungsdaten auch in der Praxis Folge<br />

geleistet wird, muss Forschern ersichtlich<br />

werden, dass ihre Daten wertvoll sind<br />

– <strong>und</strong> dass dieser Wert auch geschätzt wird.<br />

„Daten haben per se k<strong>eine</strong>n<br />

eigenen Wert. Sie sind ein<br />

Vorprodukt, das erst durch<br />

die narrative Veredelung<br />

<strong>eine</strong>n Wert erfährt.“<br />

<strong>Es</strong> müssen ein Markt <strong>und</strong> <strong>eine</strong> Kultur des<br />

Forschungsdatenaustausches entstehen,<br />

beispielsweise durch die Förderung von Sek<strong>und</strong>ärdatenforschung<br />

(wie etwa großangelegte<br />

Replikationsstudien)<br />

<strong>und</strong> Datenproduktion,<br />

durch die<br />

Berücksichtigung von<br />

Daten-Publikationen<br />

bei Einstellungen <strong>und</strong><br />

Beförderungen, durch<br />

Datenmanagementpläne<br />

bei Drittmittelanträgen,<br />

durch die Verbesserung der<br />

Auffindbarkeit von Daten oder auch durch<br />

„Best-Data-A<strong>war</strong>ds“.<br />

In anderen Worten: Daten-Offenheit<br />

muss incentiviert werden – <strong>sie</strong> muss sich<br />

für die Reputation der Forscher lohnen.<br />

Benedikt Fecher arbeitet als Doktorand<br />

in der Abteilung „Forschungsinfrastruktur“<br />

des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung<br />

(DIW) sowie im Projekt „Open<br />

Science“ am Alexander von Humboldt Institut<br />

für Internet <strong>und</strong> Gesellschaft.<br />

Referenzen<br />

- Bourdieu, P., and Schwibs, B. (2010). Homo<br />

academicus (Frankfurt am Main: Suhrkamp).<br />

- Buck, S. (2015). Solving reproducibility.<br />

Science 348, 1403–1403.<br />

- Enserink, M. (2016). In dramatic statement,<br />

European leaders call for “immediate” open<br />

access to all scientific papers by 2020. ScienceNews,<br />

May 27 th 2016.<br />

- Fecher, B., Friesike, S., Hebing, M., Linek,<br />

S., and Sauermann, A. (2015). A Reputation<br />

Economy: Results from an Empirical Survey<br />

on Academic Data Sharing. DIW Berlin<br />

Discussion Paper 1454.<br />

- Franzoni, C., and Sauermann, H. (2014).<br />

Crowd science: The organization of scientific<br />

research in open collaborative projects.<br />

Research Policy 43, 1–20.<br />

- Ioannidis, J.P.A. (2005). Why Most<br />

Published Research Findings Are False. PLoS<br />

Medicine 2, e124.<br />

- Jones, B. (2015). To<strong>war</strong>ds the European<br />

Open Science Cloud. https://zenodo.org/<br />

record/16001<br />

- Kroes, N. (2012). Opening Science Through<br />

e‐Infrastructures. SPEECH/12/258<br />

- Longo, D.L., and Drazen, J.M. (2016). Data<br />

Sharing. New England Journal of Medicine<br />

374, 276–277.<br />

- Luhmann, N. (2009). Die Wissenschaft der<br />

Gesellschaft (Frankfurt am Main: Suhrkamp).<br />

OECD (2015). Making Open Science a Reality.<br />

Laborjournal<br />

7-8/2016<br />

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