Die Bhagavad Gita
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Vorwort von Aldous Huxley<br />
Heute ist es üblich, die bedeutendsten Bücher der Welt leicht verständlich zu machen<br />
und in eine alltägliche, allen zugängliche Sprache zu übersetzen. <strong>Die</strong> <strong>Gita</strong> jedoch<br />
eignet sich nicht dazu. <strong>Die</strong> Sprache, in der sie geschrieben ist, das Sanskrit, unterscheidet<br />
sich wesentlich von unserer modernen, da sie, geradezu telegrammartig<br />
zusammengedrängt, ein Überfülle von genauen philosophischen und religiösen Begriffen<br />
enthält. Der Rahmen, in den sie sich einfügt, stellt ein kosmologisches System<br />
dar, das den westlichen Denkern nicht vertraut ist. Es wäre denn auch äußerst<br />
schwierig, eine einheitliche Sprache, sei es eine alte oder eine moderne, zu finden, in<br />
die sich die <strong>Gita</strong> auf befriedigende Weise übertragen ließe. Denn sie ist – als ein<br />
Stück Literatur betrachtet – an sich keine Einheit. Sie hat verschiedene Aspekte, verschiedene<br />
deutlich von einander getrennte Stimmlagen. <strong>Die</strong>se wollen wir der Reihe<br />
nach betrachten.<br />
Vor allem muss man die <strong>Gita</strong> als Teil eines epischen Gedichtes ansehen. Sie ist<br />
durchweg in Versen geschrieben. Ihr erstes Kapitel trägt rein epischen Charakter und<br />
setzt die Tonart der Mahabharata selbst fort. Das Brüllen der Krieger, das Wiehern<br />
der Pferde und die fremdklingenden Namen der Häuptlinge dröhnen noch in unseren<br />
Ohren, wenn das Zwiegespräch von Krischna und Arjuna beginnt. Den epischen Prolog<br />
so zu übersetzen, als gehöre er ausschließlich zu dem folgenden philosophischen<br />
Gespräch hieße, die <strong>Gita</strong> aus ihrem historischen Rahmen schneiden und sie<br />
des ganzen lebendigen Lokalkolorits berauben.<br />
Außerdem ist die <strong>Gita</strong> auch eine Darlegung der Vedanta-Philosophie, die sich auf ein<br />
klarumrissenes Weltbild stützt. Es hat keinen Sinn, diese Tatsache zu übersehen aus<br />
Angst, den westlichen Leser zu befremden. Der Übersetzer, der annähernd gleichwertige,<br />
ortsübliche Bezeichnungen verwendet und die Bedeutung der Sanskritworte<br />
nacherzählt, glaubt eine Brücke zwischen zwei Gedankensystemen zu schlagen,<br />
während er in Wirklichkeit beiden jeglichen Sinn nimmt. Deshalb haben wir versucht,<br />
in einem Anhang die Kosmologie der <strong>Gita</strong> so kurz wie möglich zu erklären und aus<br />
dem gleichen Motiv einige grundlegende, viel gebrauchte Worte wie Brahman, Atman,<br />
Prakriti und die Gunas unübersetzt beibehalten. Genaue deutsche Bezeichnungen<br />
dafür gibt es nicht, und jedes philosophische oder wissenschaftliche Werk<br />
besitzt seine eigene bestimmte Terminologie… Niemand der ein Buch über Physik<br />
schreibt, würde das Wort Elektron vermeiden, nur weil es in der alltäglichen Sprache<br />
nicht vorkommt.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Gita</strong> ist aber auch ein Stück Prophetie. Wie die Geschichte Jesajas und die<br />
Psalmen Davids enthält sie ekstatische, mystische Äußerungen über die Natur und<br />
die Eigenschaften Gottes. <strong>Die</strong>s ist Poesie und verlangt nach poetischem Ausdruck.<br />
<strong>Die</strong> Diktion muss versuchen, mit der Inspiration übereinzustimmen. Gewöhnliche<br />
Prosa würde hier flach und langweilig wirken.<br />
Und schließlich ist die <strong>Gita</strong> ein Evangelium. <strong>Die</strong> ihr zugrunde liegende Botschaft ist<br />
zeitlos. In Worten, die keiner bestimmten Sprache, Rasse oder Epoche angehören,<br />
spricht der inkarnierte Gott zum Menschen, seinem Freund. Hier muss der Übersetzer<br />
alles vergessen, was er von Vedanta-Philosophie und Sanskrit-Begriffen, von<br />
Indien und dem Westen, von Krischna und Arjuna, von Vergangenheit und Zukunft<br />
weiß, und um äußerste Einfachheit bemüht sein.<br />
Da sind die Gründe, warum wir die <strong>Gita</strong> in verschiedenen Stilen übersetzt haben,<br />
zum Teil in Prosa, zum anderen Teil in Versen. Allerdings berechtigt uns nichts im<br />
Text selbst zu diesem Experiment. Bei den Übergängen von einem Stil zum andern<br />
ließen wir uns einzig von unserem Empfinden leiten, und sie sind nur dann gerecht-<br />
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