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Die Bhagavad Gita

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Eine göttliche Inkarnation oder bis zu einem gewissen Ausmaß auch ein gotterfüllter<br />

Heiliger, Weiser oder Prophet ist ein Mensch, der weiß, wer er ist und deshalb andere<br />

Menschen an das erinnern kann, was sie in Vergessenheit geraten ließen, nämlich,<br />

dass sie, wenn sie sich entschließen, das zu werden, was sie potentiell bereits<br />

sind, sich auf ewig mit dem Göttlichen Urgrund vereinen können.<br />

<strong>Die</strong> Anbetung der Inkarnation und die Kontemplation ihrer Attribute sind für die meisten<br />

Menschen die beste Vorbereitung auf die einende Gotteserkenntnis. Ob jedoch<br />

diese Erkenntnis selbst dadurch erlang werden kann, ist eine andere Frage. Viele<br />

katholische Mystiker haben behauptet, dass es auf einer gewissen Stufe des kontemplativen<br />

Betens, woraus nach den meisten maßgebenden Theologen, das Leben<br />

der christlichen Vervollkommnung letzten Endes besteht, notwendig sei, alle Gedanken<br />

an die Inkarnation beiseite zu lassen, da sie von der höheren Erkenntnis dessen,<br />

was inkarniert wurde, ablenken. Aus dieser Tatsache haben sich reichlich viele Missverständnisse<br />

und eine große Zahl intellektueller Schwierigkeiten ergeben. So<br />

schreibt zum Beispiel Abt John Chapman in seinen bewundernswerten Geistigen<br />

Briefen folgendes: Das Problem der Vereinbarkeit (nicht nur der Vereinigung) von<br />

Mystizismus und Christentum ist noch schwieriger.<br />

Der Abt Marmion sagt, der heilige Johannes vom Kreuz sei ein wie mit Christentum<br />

voll gesogener Schwamm. Man könne ihn völlig auspressen und nichts anderes bleibe<br />

übrig als die reine mystische Lehre. <strong>Die</strong>s war für mich Grund genug, den heiligen<br />

Johannes vom Kreuz etwa fünfzehn Jahre lang zu hassen und ihn einen Buddhisten<br />

zu nennen. <strong>Die</strong> heilige Teresa hingegen liebte ich und las in ihren Schriften immer<br />

und immer wieder; denn sie ist zu allererst Christin und erst in zweiter Linie Mystikerin.<br />

Dann aber erkannte ich, dass ich, soweit es sich um Beten handelte, fünfzehn<br />

Jahre vertan hatte. Denn, so schließt er, trotz des ‚buddhistischen’ Charakters gingen<br />

aus der Übung der Mystik (mit anderen Worten: aus dem Erlebnis der Ewigen Weisheit)<br />

gute Christen hervor. Er hätte hinzufügen können, dass auch gut Hindus, gute<br />

Buddhisten, gute Taoisten und gute Juden daraus hervorgehen.<br />

<strong>Die</strong> Lösung von Abt Chapmans Problem muss nicht im Bereich der Philosophie, sondern<br />

in dem der Psychologie gesucht werden. <strong>Die</strong> Menschen kommen nicht in gleicher<br />

Weise ausgestattet zur Welt. Es gibt verschiedene Temperamente und Anlagen.<br />

Und in jeder psycho-physischen Klasse finden sich Menschen von sehr verschiedenen<br />

Stufen der geistigen Entwicklung.<br />

Andachtsübungen und geistige Zucht, die für den einen Menschen von höchstem<br />

Wert sind, können für einen anderen sinnlos oder sogar schädigend sein, wenn dieser<br />

nicht der gleichen Klasse angehört oder innerhalb der gleichen Klasse auf höherer<br />

oder niedrigerer Entwicklungsstufe steht. <strong>Die</strong>s alles wird in der <strong>Gita</strong> deutlich dargestellt,<br />

da hier die psychologischen Tatsachen durch das Postulat der Gunas mit<br />

einer allgemeinen Kosmologie in Verbindung gebracht werden. Krischna, das<br />

Sprachrohr des Hinduismus in seinen sämtlichen Kundgebungen, findet es vollkommen<br />

natürlich, dass die verschiedenen Menschen verschiedene Methoden und sogar<br />

scheinbar verschiedene Objekte der Anbetung haben.<br />

Alle Wege führen nach Rom, vorausgesetzt allerdings, dass es wirklich Rom und<br />

keine andere Stadt ist, die der Wanderer zu erreichen wünscht. <strong>Die</strong> gleiche Haltung<br />

liebevollen Einbegreifens, doppelt erstaunlich bei einem Muselmanen, findet herrlichen<br />

Ausdruck in der Parabel von Moses und dem Hirten, die Jalaluddin Rumi im<br />

zweiten Buch des Masnavi erzählt. Und in der exklusiveren christlichen Tradition<br />

wurden diese Probleme des Temperamentes und der Entwicklungsstufe im allgemeinen<br />

im Hinblick auf die Art Marthas und jene Marias erforscht und erörtert, und im<br />

besonderen in Bezug auf Neigung und persönliche Hingabe des Einzelnen.<br />

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