Dossier Dienstagnachmittag, 15 Uhr 15. Fernando, 12 Jahre alt, kommt nach Hause und setzt sich gleich an den Schreibtisch in seinem Zimmer. Er hat Hausaufgaben. Mathe, eines seiner Lieblingsfächer. Fernando soll Bruchteile in Quadraten benennen. Das fällt ihm leicht. Nach 20 Minuten ist er fertig. «Hausaufgaben stressen mich selten», sagt Fernando. «Ich mache sie immer sofort nach der Schule.» Seine Mutter würde liebend gerne einmal einen Blick auf seine Arbeiten werfen, doch Fernando will das nicht. «Ich lerne ja für mich selbst, nicht für meine Mutter», sagt er. Hach. Es gibt sie also, jene Kinder, für die Hausaufgaben eine Fingerübung sind, nicht mehr als ein Zeitvertreib. Für alle anderen sind Hausaufgaben alles andere: ein lästiges Übel, ein Quell des Unverständnisses, eine pädagogische Gängelei, ein Reizthema. Seit einigen Monaten ist die Debatte um Sinn und Unsinn von Hausaufgaben neu entfacht. Die Vizepräsidentin des Schweizer Schulleiterverbands, Lisa Lehner, plädierte in diesem Magazin für eine Schule ohne Hausaufgaben. Auch ihr Kollege, der Verbandspräsident Bernard Gertsch, sprach sich für Änderungen aus. Hausaufgaben, so fordert er, sollten im Sinne der Chancengleichheit zu Schulaufgaben werden. Schüler, die sich zu Hause an niemanden wenden könnten, seien nämlich durch klassische Hausaufgaben benachteiligt. Auch in anderen Ländern wird heftig über den Wert von Hausaufgaben gestritten. In Spanien werden sie bestreikt und in Israel will man sie ganz abschaffen. Das Video einer Lehrerin aus Texas, USA, in dem sie erklärt, warum sie Hausaufgaben ablehnt, wurde zum Youtube-Hit. Und in Deutschland erreicht das Thema politische Dimensionen: Die Grünen wollen zusammen mit der Landesschülervertretung Hausaufgaben gleich flächendeckend ab - schaffen. Ist es tatsächlich sinnvoll, auf Hausaufgaben zu verzichten? Was bringen Kindern Hausaufgaben und was nicht? Was wäre eine Alternative? Und was meinen Lehrpersonen dazu, was wünschen sich Kinder und deren Eltern? Diesen Fragen geht dieses Dossier nach. Die Schule ohne Hausaufgaben ist kein Hirngespinst. Es gab sie schon mal – nämlich im Kanton Schwyz. 1993 entschloss sich das Bildungsdepartement, alle Hausaufgaben abzuschaffen. Die Lerninhalte seien fortan in die Unterrichtszeit zu integrieren, die Wochenstundenzahl wurde um eine Stunde erhöht. Das machte die Kinder glücklich, nicht aber deren Eltern. Nach nur vier Jahren wurde der Versuch beerdigt – auf Druck der Eltern. Die Regierung hob die Regelung 1997 wieder auf. Hausaufgaben als Kontrollmittel Eltern sind tatsächlich weniger hausaufgabenkritisch als erwartet. Viele der für dieses Dossier be - fragten Eltern gaben an, Hausaufgaben im Sinne eines Kontrollinstrumentes zu befürworten. «So 1993 schaffte der Kanton Schwyz die Hausaufgaben ab; 1997 führte er sie wieder ein – auf Druck der Eltern. >>> 12
Dossier Aus Ufzgi sollen Schulaufgaben werden, fordern Experten. 13