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04/2017

Fritz + Fränzi

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Kinder sollten lernen, über ihre<br />

eigenen Gedanken, Gefühle,<br />

Erlebnisse und Werte zu sprechen<br />

statt über die anderer Menschen.<br />

das Gespräch, das du mit deinen<br />

Freundinnen heute hattest? Es ging<br />

darum, wer zur Party eingeladen ist<br />

und wer nicht. Obwohl ich Ehrlichkeit<br />

für wichtig halte, war ich ein<br />

bisschen schockiert, als ich mitbekommen<br />

habe, wie ehrlich ihr zu ­<br />

ein ander wart. Ich frage mich, ob ihr<br />

euch gegenseitig verletzt habt. Ich<br />

weiss es nicht. Ich weiss nur, dass es<br />

mich verletzt hätte. Wie war es für<br />

dich?»<br />

Diese Fragen können zu einem<br />

spannenden Dialog zwischen Mutter<br />

und Tochter führen, in dem beide<br />

einander besser kennenlernen.<br />

Der Dialog wird auch sicher bewirken,<br />

dass Ihre Tochter über ihre<br />

Beziehung zu ihren Freundinnen zu<br />

philosophieren beginnt. Vielleicht<br />

hat die Aussage der Freundin auch<br />

Ihre Tochter verletzt – oder sie hat<br />

das Gefühl, dass die Freundinnen<br />

sich gegenseitig verletzt haben. Dieses<br />

Gespräch eröffnet Ihnen die<br />

Möglichkeit, Ihre Erfahrung und<br />

Werte mit Ihrer Tochter zu teilen.<br />

Kinder und Jugendliche brauchen<br />

stets die Inspiration der Erwachsenen,<br />

um über ihr eigenes Verhalten<br />

und die eigenen Meinungen nachdenken<br />

und reflektieren zu können.<br />

Sie brauchen ganz selten Richter.<br />

Kritik und Verbote lähmen, gleichwürdige<br />

Dialoge dagegen aktivieren<br />

und entwickeln das Gehirn.<br />

Eine verbale Botschaft kann erst<br />

wirklich verstanden werden, wenn<br />

wir auch den Tonfall und die Körpersprache<br />

dazu kennen. Die drei<br />

Mädchen bei Ihnen zu Hause scheinen<br />

miteinander so «cool» gewesen<br />

zu sein, dass sie sich ganz ohne Wut<br />

und Scham mit Tatsachen konfrontieren<br />

konnten. Bei dieser Gelegenheit<br />

möchte ich den Eltern dieser<br />

drei Mädchen mein Kompliment<br />

dafür aussprechen, dass es ihnen<br />

gelungen ist, ihren Kindern die Entwicklung<br />

der persönlichen Sprache<br />

zu ermöglichen.<br />

In weiterer Folge lernen wir<br />

immer mehr die soziale Sprache<br />

dazu. Diese kann vielleicht als oberflächlich<br />

bezeichnet werden, allerdings<br />

hilft sie uns dabei, unsere eigenen<br />

Grenzen und die von anderen<br />

zu schützen. Es ist sehr wertvoll,<br />

neben der persönlichen Sprache<br />

auch über die soziale Sprache zu verfügen.<br />

Kinder lernen sie am besten<br />

und am schnellsten, wenn sie Er ­<br />

wachsene untereinander beobachten.<br />

Erwachsene haben oft das Be ­<br />

dürfnis, den Kindern beizubringen,<br />

wie sie «nett» miteinander reden.<br />

Dies fördert den Lernprozess der<br />

Kinder selten. Die wichtigste Ur ­<br />

sache dafür ist wahrscheinlich, dass<br />

Belehrung und Kritik von den Er ­<br />

wachsenen eben nicht «nett» ist, und<br />

genau dieses Verhalten macht sie<br />

unglaubwürdig.<br />

Sich ausgeschlossen zu fühlen<br />

oder auch nur die Angst davor sitzt<br />

tief in vielen von uns. Deswegen<br />

wollen wir auch unsere Kinder<br />

davor schützen. Es ist ein schöner<br />

Gedanke, der sich aber nur auf einer<br />

oberflächlichen und sozialen Ebene<br />

abspielt – also in der Beziehung zu<br />

Menschen, die uns nicht speziell<br />

wichtig sind. In Freundschaften und<br />

Liebesbeziehungen funktioniert es<br />

nicht, immer «nett» zu sein. Hier<br />

müssen wir früher oder später lernen,<br />

uns zu zeigen und auch in kleinen<br />

Dingen Nein zu sagen, wenn<br />

wir nicht wollen, dass die Beziehung<br />

in die Brüche geht oder zur totalen<br />

Selbstverleugnung führt.<br />

Ehrlichkeit als meine authentische<br />

Aussage über mich selbst ist für<br />

meine persönlichen Beziehungen<br />

immer konstruktiv. Ehrlichkeit hingegen<br />

als meine Meinung über dich<br />

ist fast nie ehrlich. Wenn wir ab und<br />

zu in Bezug auf unsere Gefühle und<br />

Meinungen über andere Menschen<br />

ehrlich sein müssen, sollte die Ehr­<br />

lichkeit immer mit der Liebe Hand<br />

in Hand gehen.<br />

In diesem Punkt brauchen Kinder<br />

Inspiration und Begleitung von<br />

Erwachsenen. Kinder sollten lernen,<br />

über ihre eigenen Gedanken, Gefühle,<br />

Erlebnisse und Werte zu sprechen<br />

statt über die anderer Menschen.<br />

Dieses Lernen fängt zum Beispiel<br />

damit an, wenn die Tochter der<br />

Nachbarn läutet und Ihre Tochter<br />

fragt, ob sie mit ihr spielen mag.<br />

Wenn Sie merken, dass Ihre Tochter<br />

Ja sagt, aber Nein meint, braucht sie<br />

Ihre Hilfe, um herauszufinden, wie<br />

sie am besten ihre eigenen Bedürfnisse<br />

und Grenzen wahren kann,<br />

ohne den anderen zu kränken oder<br />

zu verletzen.<br />

Das ist eine Kunst, die nur wenige<br />

von uns Erwachsenen beherrschen.<br />

Deshalb entscheiden wir uns<br />

oft für die einfachste Lösung: Wir<br />

lehren Kinder, auf eine «nette» Art<br />

(also unantastbar) zu lügen. Das verletzt<br />

den anderen auch, aber wir<br />

haben dabei ein Alibi, und nach vielen<br />

Jahren Praxis verschwindet der<br />

bittere Beigeschmack – fast!<br />

Haben auch Sie eine Frage an Jesper Juul,<br />

die er persönlich beantworten soll?<br />

Dann schreiben Sie uns eine E-Mail an<br />

redaktion@fritzundfraenzi.ch oder<br />

einen Brief an: Schweizer ElternMagazin<br />

Fritz+Fränzi, Dufourstrasse 97,<br />

8008 Zürich<br />

Die Kolumnen von Jesper Juul entstehen<br />

in Zusammenarbeit mit<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

April <strong>2017</strong>51

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