04/2017
Fritz + Fränzi
Fritz + Fränzi
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ihrer Forschung. Der neunjjährige<br />
Jeremia untersucht momentan den<br />
Körper von Salzwasserkrebsen. Die<br />
Tierchen sind nur wenige Millimeter<br />
lang. Sie zu untersuchen, braucht<br />
Geduld und technische Hilfsmittel.<br />
Jeremia präsentiert ein stark vergrössertes<br />
Foto. «Ich habe diese Härchen<br />
hier entdeckt. Die haben wir vorher<br />
noch nie gesehen. Wir vermuten,<br />
dass nur die Männchen solche Härchen<br />
am Körperende haben.» – «Das<br />
wäre natürlich spannend», sagt<br />
Karol, 11 Jahre, «das wäre ein weiteres<br />
Merkmal für die Geschlechterunterscheidung.»<br />
Solche Förderprogramme gibt es<br />
längst nicht an jeder Schweizer Schule.<br />
Hochbegabte Kinder gibt es aber<br />
überall. Der Experte Victor Müller-<br />
Oppliger sagt: «Wir gehen davon<br />
aus, dass 10 bis 15 Prozent der Kinder<br />
das Potenzial hätten, mehr zu<br />
leisten. Und diese Kinder sollte man<br />
unbedingt fördern.»<br />
Dabei sei die Förderung von<br />
Hochbegabten in der Schweiz nach<br />
wie vor keine Selbstverständlichkeit.<br />
«Es ist grobfahrlässig, dass wir nicht<br />
besser hinschauen. Es ist problematisch<br />
für hochbegabte Kinder, die<br />
sich nicht verstanden fühlen und<br />
leiden. Und es ist ein Problem für die<br />
Volkswirtschaft, denn wir verpassen<br />
die Chance, Begabungen zu fördern,<br />
auf die unsere Gesellschaft zum<br />
Erhalt ihrer Wohlfahrt dringend<br />
angewiesen ist.»<br />
Im Atelier Plus meldet sich der<br />
neunjährige Noel zu Wort: «Wir<br />
fragten uns: Können die Salzwasserkrebse<br />
riechen? Wir haben einen<br />
Versuch gemacht, in dem wir acht<br />
Krebse und Algenfutter in eine Petrischale<br />
gegeben haben. Unsere Vermutung<br />
war, dass alle acht zum Futter<br />
schwimmen. Das war dann aber<br />
nicht der Fall. Wir fanden heraus,<br />
dass das Licht einen Einfluss hat. Die<br />
Salzwasserkrebse schwimmen weg<br />
vom Sonnenlicht.» Noel erhält den<br />
Auftrag, das Experiment mit der<br />
doppelten Versuchszeit zu wiederholen.<br />
«Die Schüler sollen lernen, sich<br />
in andere Projekte hineinzudenken<br />
und konstruktive Kritik anzubringen.<br />
Gleichzeitig lernen die Kinder<br />
so, andere Ideen anzunehmen und<br />
Kritik zu ertragen. Heute war es<br />
diesbezüglich noch harmlos», sagt<br />
Thomas Berset.<br />
Berset war ursprünglich Primarlehrer,<br />
promovierte später in Biologie<br />
und war lange in der Forschung<br />
tätig. Warum er beim Atelier Plus<br />
arbeitet? «Ich wollte den hochbegabten<br />
Kindern die Möglichkeit geben,<br />
das naturwissenschaftliche Forschen<br />
zu entdecken. Ausserdem betreibe<br />
ich Lernforschung und entwickle<br />
Lernmittel. Die hochbegabten Kinder<br />
sind sozusagen Teil meines Forschungsprojektes.<br />
Habe ich eine<br />
neue Idee für ein Lernmittel, teste<br />
ich sie hier bei meinen Schülern.»<br />
Thomas Berset schaut zu, wie<br />
Noel mit einer Pipette acht Salzwasserkrebse<br />
aus dem Aquarium fischt,<br />
um sie später für seinen Test in die<br />
Petrischale zu geben. «Ich gebe<br />
ihnen Strukturen vor, aber innerhalb<br />
dieser Strukturen haben sie alle<br />
Freiheiten», sagt die Lehrperson.<br />
«Der grösste Unterschied zum<br />
Unterricht in der Regelklasse ist,<br />
dass wir hier viel mehr Zeit haben.<br />
Wir können uns viel länger einem<br />
Thema widmen. Dieses Setting lässt<br />
es auch zu, dass die Kinder Misserfolge<br />
haben, dass sie mit ihrer Forschung<br />
in eine Sackgasse geraten.<br />
Solche Prozesse brauchen Zeit, sind<br />
aber enorm lehrreich.» Hinter all<br />
dem steht für Thomas Berset ein<br />
Ziel: «Im Grunde geht es darum, die<br />
hochbegabten Kinder anzustacheln<br />
und für die Welt der Wissenschaft<br />
zu begeistern.»<br />
Derweil werkeln die Schüler im<br />
Atelier Plus in Zweierteams an ihren<br />
Aufgaben. Es sind ausschliesslich<br />
Knaben. Das einzige Mädchen ist<br />
heute am Skitag. Der elfjährige Karol<br />
programmiert eine Webseite. Zu <br />
sammen mit einem anderen Schüler<br />
hat er im Tierpark stundenlang die<br />
Fütterung von Steinböcken beobachtet<br />
und verhaltensbiolo >>><br />
«Hochbegabte Kinder<br />
gibt es überall»<br />
Vor zehn Jahren gründete Rektor Adrian<br />
Dummermuth das Förderprogramm Atelier<br />
Plus, eines der ersten Angebote dieser Art.<br />
Adrian Dummermuth, warum haben Sie damals<br />
mit der Hochbegabtenförderung begonnen?<br />
An fast jeder Schule gab es sonderpädagogische<br />
Konzepte mit dem Ziel, lernbehinderte beziehungsweise<br />
lernschwache Schülerinnen und Schüler im<br />
Regelklassenverband zu integrieren. Auch unsere<br />
Schule hat schon sehr früh viel Geld und Zeit in ein<br />
solches Programm investiert – und macht es heute<br />
noch. Aber auf der Gegenseite des Spektrums gab<br />
es nichts. Für mich ist es eine Frage der Chancengerechtigkeit,<br />
dass man auch hochbegabten Kindern ein<br />
Angebot bereitstellt.<br />
Die Finanzierung war nie ein Problem?<br />
Nie. Die lokale Politik sah und sieht dieses Angebot als<br />
Bestandteil des Profils unserer Schule. Und die Kosten<br />
sind überschaubar. An unserer Schule haben wir ein<br />
Budget von 12 Millionen Franken. Das Atelier Plus kostet<br />
uns rund 40 000 Franken im Jahr.<br />
Wird in der Schweiz genug unternommen in<br />
Sachen Hochbegabtenförderung?<br />
Nein, die Spitzenförderung wird in der Schweiz noch<br />
immer stiefmütterlich behandelt. Hochbegabte Kinder<br />
gibt es überall, aber nicht überall werden sie gefördert.<br />
In der Gemeinde Arth mit den Schulstandorten Arth<br />
und Goldau haben wir rund 900 Primarschulkinder.<br />
Darunter hatte es all die Jahre genug Hochbegabte,<br />
um ein Förderprogramm zu betreiben.<br />
Hochbegabtes Kind?<br />
Was Eltern wissen müssen<br />
• Interessiert sich Ihr Kind auffällig früh für die<br />
verschiedensten Themen oder ist es den anderen<br />
Kindern allgemein weit voraus, könnte es<br />
hochbegabt sein.<br />
• Im Zweifelsfall kann eine Abklärung helfen. Solche<br />
Abklärungen macht zum Beispiel der<br />
schulpsychologische Dienst.<br />
• Ist Ihr Kind hochbegabt, informieren Sie die Schule<br />
und suchen Sie gemeinsam nach Möglichkeiten,<br />
Ihr Kind zu fördern.<br />
• Geben Sie Ihrem hochbegabten Kind die Chance,<br />
Kind zu bleiben. Unterstützen Sie auch Interessen<br />
des Kindes, die nicht die Schule betreffen.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
April <strong>2017</strong>65