04/2017
Fritz + Fränzi
Fritz + Fränzi
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man den Elan gleich mitnehmen und<br />
in guter Stimmung wieder loslegen.<br />
Sich auf Alltägliches einlassen<br />
Genuss hat viel mit einer bestimmten<br />
Haltung und Hingabe zu tun.<br />
Wenn wir es uns vornehmen, können<br />
wir fast alles geniessen: eine<br />
Auto- oder Zugfahrt, einen Tee oder<br />
Kaffee, eine kleine Runde Extraschlaf<br />
am Morgen, wenn wir den<br />
Wecker etwas früher stellen, damit<br />
wir noch ein wenig dösen dürfen,<br />
die Sonne oder den Regen. Wenn wir<br />
uns und anderen Zeit schenken,<br />
können wir andere Menschen<br />
geniessen: den Partner, die Kinder,<br />
Freunde.<br />
Dazu müssen wir nichts weiter<br />
tun, als uns zu überlegen, was wir in<br />
den nächsten Stunden mit Genuss<br />
angehen möchten. Diese Frage hilft<br />
dabei, den Moment bewusster zu<br />
erleben und da und dort eine kleine<br />
Portion Extragenuss einzustreuen:<br />
Die Autofahrt wird schöner, wenn<br />
wir uns entweder ganz auf das Fahrerlebnis<br />
konzentrieren oder es mit<br />
unserer Lieblingsmusik oder einem<br />
mitreissenden Hörspiel anreichern.<br />
Der Spaziergang mit dem Kind wird<br />
interessanter, wenn wir unseren<br />
Blick für die Natur öffnen und<br />
gemeinsam Pflanzen, Tiere und<br />
schöne Steine entdecken.<br />
Mut zum Blödsinn<br />
Viele von uns Erwachsenen sind<br />
durchdrungen vom Gedanken, sich<br />
stets nützlich zu machen. «Mach<br />
etwas Sinnvolles!», rufen wir unseren<br />
Kindern zu. Sich und sein Leben<br />
ständig zu optimieren und dauernd<br />
irgendwelchen Zielen oder Pflichten<br />
nachzujagen, kann uns jedoch ermüden.<br />
Ab und zu sollten wir den Mut<br />
haben, unsere Zeit zu verschwenden<br />
und in irgendwelchem Blödsinn zu<br />
schwelgen.<br />
Denn der Genuss liegt oft in den<br />
Dingen, die weder gesund noch<br />
sinnvoll sind: ein gutes Glas Wein,<br />
Süssigkeiten, fettiges Essen. Wenn<br />
wir uns diese Sachen gönnen, ohne<br />
ein schlechtes Gewissen zu haben,<br />
essen und trinken wir nicht mehr<br />
davon – aber wir geniessen sie stärker.<br />
Das Gleiche gilt für die etwas<br />
bescheuerten Hobbys, die wir gerne<br />
vor anderen geheim halten. Wenn<br />
ich morgens müde bin, dann liegt<br />
das oft daran, dass meine Kinder<br />
mich in der Nacht mehrmals ge -<br />
weckt haben. Manchmal trägt<br />
je doch Geralt die Schuld – mein<br />
Hexer, mit dem ich durch die wunderschön<br />
gestaltete Welt von «The<br />
Witcher 3» streife, mit Silber- und<br />
Stahlschwert gegen Monster und<br />
Banditen kämpfe und dabei das eine<br />
oder andere Herz schöner Zauberinnen<br />
erobere. So ein Abenteuer kann<br />
auch mal bis 2 Uhr morgens dauern.<br />
Peinlich? Ja. Aber spannend! Und<br />
die prachtvoll animierten Landschaften<br />
dieses Spiels «tun meinen<br />
Augen so gut».<br />
Viele von uns geniessen von Zeit<br />
zu Zeit etwas, das sie als peinlich<br />
empfinden. Die Amerikaner kennen<br />
dafür den Begriff «guilty pleasures»<br />
und umschreiben damit die Dinge,<br />
die wir gerne mögen – und von<br />
denen wir gleichzeitig das Gefühl<br />
haben, sie nicht mögen zu sollen.<br />
Die Playstation habe ich so platziert,<br />
dass meine Eltern sie nicht sehen,<br />
wenn sie zu Besuch kommen. Den<br />
Satz «ich hatte gehofft, diese Phase<br />
hättest du durch!» will ich nicht<br />
unbedingt hören. Dafür weiss ich,<br />
warum meine Mutter beim Telefonieren<br />
unruhig wird: Im Hintergrund<br />
läuft «Rosamunde Pilcher»,<br />
und sie mag es nicht so recht zugeben.<br />
Meine Frau liebt Vampirromane<br />
und meine Kollegin schaut in der<br />
Freizeit den Bachelor und «Zwischen<br />
Tüll und Tränen».<br />
Wenn wir diese Hobbys und Vorlieben<br />
schon vor anderen verheimlichen:<br />
Zumindest uns selbst könnten<br />
wir sie zugestehen und uns<br />
ihnen mit ganzer Wonne und roten<br />
Ohren hingeben. Und vielleicht<br />
gönnen wir diese Momente in<br />
Fragen Sie Ihre Kinder, wenn<br />
sie von der Schule nach Hause<br />
kommen: «Was möchtest du<br />
heute gerne noch machen?»<br />
gesundem Mass unseren Kindern<br />
und Jugendlichen, ohne ihnen mit<br />
dem Satz «Mach etwas Sinnvolles!»<br />
in den Ohren zu liegen.<br />
Kurztipps zum Thema «Geniessen»<br />
• Starten Sie den Tag mit der Frage:<br />
Was habe ich heute Schönes vor?<br />
• Fragen Sie Ihre Kinder, wenn sie<br />
von der Schule nach Hause kommen:<br />
«Was möchtest du heute<br />
gerne noch machen?»<br />
• Gönnen Sie sich entspannende<br />
Momente – auch wenn noch<br />
nicht alles erledigt ist. Ihre Todo-Liste<br />
kommt auch mal ohne<br />
Sie klar.<br />
• Planen Sie den Genuss. Suchen<br />
Sie sich bereits am Mittag den<br />
Film aus, den Sie gerne sehen<br />
möchten – anstatt am Abend einfach<br />
reinzuzappen. Fragen Sie<br />
sich, wie Sie sich die Zug- oder<br />
Autofahrt zur Arbeit und zurück<br />
versüssen könnten.<br />
• Vermiesen Sie sich selbst und<br />
Ihren Kindern lustvolle Momente<br />
nicht, indem sie scheinbar<br />
sinnlose Vergnügen als kindisch,<br />
nutzlos oder peinlich abwerten.<br />
Halten Sie sich stattdessen an das<br />
Zitat von Will Ferrell: «Kindisch<br />
ist ein Wort, das langweilige<br />
Menschen verwenden, um lustige<br />
Menschen zu beschreiben.»<br />
In der nächsten Ausgabe:<br />
Kinder unter Druck<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
April <strong>2017</strong>57