04/2017
Fritz + Fränzi
Fritz + Fränzi
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etriebene, sinnlose Handgelenksübungen<br />
der Kinder». Sehr, sehr<br />
viele Eltern beklagen die Belastung<br />
durch die Hausaufgaben und beschreiben<br />
den Streit, der ins Familienleben<br />
hineingetragen wird.<br />
Eltern ärgern sich auch über die<br />
Disziplinierungsmassnahmen, zu<br />
denen sie sich gezwungen fühlen,<br />
damit die Kinder die Aufgaben erledigen.<br />
Das einzig Positive, das sie<br />
den Hausaufgaben abgewinnen<br />
können, ist, dass sie den Eindruck<br />
haben, damit noch ein wenig im<br />
Bilde zu sein, was ihr Kind in der<br />
Schule gerade so lernt.<br />
Wie war das bei Ihnen? Sie haben drei<br />
Kinder zwischen 17 und 21 Jahren,<br />
also reiche Hausaufgabenerfahrung.<br />
Anfangs war ich total unkritisch. Ich<br />
dachte, Hausaufgaben seien einfach<br />
ein Teil der Schulperformance. Und<br />
anfänglich machen die Kinder die<br />
Hausaufgaben ja auch sehr gern,<br />
freuen sich darauf. Hausaufgaben<br />
zu haben, macht sie auch ein bisschen<br />
stolz. Aber Kinder sind sehr<br />
unterschiedlich. Mein ältester Sohn<br />
ist sehr zielorientiert, bei ihm gab es<br />
wegen Hausaufgaben nie viel Stress.<br />
Ganz anders mein zweiter Sohn, bei<br />
dem funktionierte die logische<br />
Argumentationskette ganz und gar<br />
nicht. Er ist der Typ, der gern das<br />
lernt, was ihn interessiert, ist also<br />
intrinsisch motiviert. Alles andere<br />
ist schwierig, und Druck erzeugt bei<br />
ihm nur das Gegenteil. Ich verbrachte<br />
insgesamt Jahre, in denen meine<br />
Kinder widerwillig am Küchentisch<br />
sassen und mich mit ihrer Lustlosigkeit<br />
zur Verzweiflung brachten.<br />
Irgendwann begann ich zu zweifeln:<br />
Muss das denn sein? So begann ich<br />
zu recherchieren.<br />
Immer häufiger liest man von Schulen,<br />
die Hausaufgaben bestreiken<br />
oder ganz abgeschafft wollen. Kommt<br />
jetzt die Wende?<br />
Wir befinden uns in einem vielfältigen<br />
Transformationsprozess. Es ist<br />
gut, dass Debatten darüber laufen.<br />
Die Gesellschaft, in der wir uns<br />
bewegen, ist individualistisch, die<br />
Arbeitswelt setzt auf Diversität, und<br />
in der Schule hat individuelles Lernen<br />
längst Einzug gehalten. Doch<br />
können wir in diesen individualistischen<br />
Zeiten mit heterogenen<br />
Klassen wirklich 25 Kindern dieselben<br />
Hausaufgaben geben, dieselben<br />
Prüfungsfragen stellen, die gleichen<br />
Lernziele setzen? Darüber müssen<br />
sich Pädagogen Gedanken machen.<br />
Die Politik nicht?<br />
Das erachte ich zumindest in<br />
Deutschland als aussichtslos, denn<br />
hier ist Schulpolitik Länderpolitik<br />
und ein letztes Feld für Eigenständigkeit,<br />
da mischt sich der Bund<br />
nicht ein. Aber ich bin überzeugt,<br />
dass man dieses System unterwandern<br />
und eine kleine Revolte anzetteln<br />
kann, ohne dass gleich die Politik<br />
mitmischt.<br />
Sie fordern, dass Lehrer der Hausaufgabendoktrin<br />
entgegentreten?<br />
Ja. Viele Lehrer sind sich bewusst,<br />
dass die eigene Hausaufgabenpraxis<br />
zwar nicht den Worten, wohl aber<br />
dem Sinn der gesetzlichen Vorgaben<br />
widerspricht. Das ist oft der Anlass,<br />
über kleinere Veränderungen im<br />
Schulalltag nachzudenken.<br />
Wie könnten solche Veränderungen<br />
aussehen?<br />
In einem ersten Schritt mit dem<br />
Lehrerkollegium schauen, wer wann<br />
wie viele Hausaufgaben erteilt. Oder<br />
mit den Schülern darüber diskutieren,<br />
wie sie das Thema Hausaufgaben<br />
empfinden. In einem zweiten<br />
Schritt die Hausaufgaben reduzieren.<br />
Das kann sein, nur noch an<br />
einem oder zwei Tagen Hausaufgaben<br />
vorzusehen. In einem dritten<br />
Schritt könnten Lehrer aus Hausaufgaben<br />
Schulaufgaben machen.<br />
Also individuelle Lernzeiten in den<br />
Schulstunden einplanen. Manche<br />
nennen diese auch Trainings- oder<br />
Arbeitsstunden. Darin werden<br />
Schülern gemäss ihrem Leistungsniveau<br />
individuelle Aufgaben gegeben,<br />
die sie im Unterricht erledigen<br />
– selbständig, aber eben unter professioneller<br />
Supervision der anwesenden<br />
Pädagogen.<br />
«Es ist nie zu spät für<br />
eine besssere Schule.<br />
Das Ende der Hausaufgaben<br />
könnte ein Anfang sein.»<br />
Wie könnten solche Aufgabenstunden<br />
aussehen?<br />
Es könnte einen Aufgabenpool<br />
geben, aus dem sich die Schüler<br />
bedienen. Sie können diese Aufgaben<br />
dann in der Klasse so lösen, wie<br />
es ihrer Lernstruktur entspricht:<br />
manche alleine in Stillarbeit, andere<br />
im Team mit anderen Kindern, wieder<br />
andere holen sich vielleicht Hilfe<br />
beim Lehrer. Der zweite wichtige<br />
Punkt ist ein gutes Feedback – und<br />
das muss individuell sein, also wirklich<br />
auf jeden einzelnen Schüler<br />
eingehen. Man merkt schon: Das<br />
kostet richtig viel Zeit, da müssen<br />
der Unterricht und die ganze Schule<br />
komplett neu organisiert werden.<br />
Das bedingt ein radikales Umdenken.<br />
Ja, aber es ist auch eine grosse Chance.<br />
Es ist nie zu spät für eine bessere<br />
Schule. Das Ende der Hausaufgaben<br />
könnte ein Anfang sein. Das Ende<br />
der Hausaufgaben würde nicht nur<br />
zu glücklicheren Schülern führen,<br />
es gäbe auch stressfreiere Lehrer und<br />
Eltern.<br />
Zur Person<br />
Armin Himmelrath, 50, ist freier<br />
Bildungs- und Wissenschaftsjournalist und<br />
Moderator. Nach seinem Lehramtsstudium<br />
in Deutschland arbeitet er heute u. a. für den<br />
«Spiegel», SpiegelOnline, Deutschlandradio<br />
und den WDR. Ausserdem unterrichtet<br />
er als Lehrbeauftragter an mehreren<br />
Universitäten und hat zahlreiche Bücher<br />
zu Bildungsthemen verfasst. Er hat drei<br />
Kinder und lebt in Köln.<br />
Fortsetzung des Dossiers auf Seite 36 >>><br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
April <strong>2017</strong>33